Ein Hindernis stellte sich dem Aufbau der Bank von Lehigh Station in den Weg. Rechtsanwalt Jupiter Smith eilte nach Washington, um zu berichten, daß die Legislative respektvoll vorgeschlagen habe, der Staat solle doch an den Bankprofiten, falls vorhanden, partizipieren. »Sie schlagen vor, George, daß wir dem Staat Aktien im Wert von vierzigtausend Dollar geben und eine zehnjährige Option, die gleiche Menge noch mal zum Nennwert zu kaufen.«
George bellte: »Oh, ist das alles?«
»Nein, noch nicht. Eine Spende in Höhe von zwanzigtausend Dollar für den Straßen- und Brückenfonds würde begrüßt werden. Aber ich wiederhole – die Vorschläge wurden äußerst respektvoll gemacht, George. Die Legislatoren erkennen, daß du ein bedeutender Mann bist.«
»Ich bin ein Mann, der einen großen Knüppel über den Schädel kriegt. Verdammt, Jupe, es ist Bestechung.«
Der Anwalt zuckte die Achseln. »Ich bezeichne es lieber als Gefälligkeit. Oder die übliche Praxis. Die Banken in Philadelphia und Pittsburgh mußten ähnliche Vereinbarungen treffen, um ihre Zulassungen zu bekommen. Mich stört es nicht, wenn du nein sagst. Ich kann dann einen gewaltigen Papierberg zu den Akten legen.«
»Und ein gewaltiges Honorar.«
Smith schaute gekränkt drein.
George kaute an seiner Zigarre. »Ich bezeichne es trotzdem als Bestechung.« Er kaute heftiger. »Sag ihnen zu.«
George erwies sich als schlechter Prophet in Militärangelegenheiten. McClellan blieb auf seinem Posten, da für ihn anscheinend kein kompetenter Ersatz zu finden war. Die einzigen erfolgreichen West-Point-Offiziere hatten sich auf die Seite des Südens geschlagen, was den Angriffen gegen die Akademie wieder Auftrieb gab. Mitte Juli erhielt George einen Brief mit der Bitte, dem Aufsichtskomitee von West Point als Ersatz für ein plötzlich verstorbenes Mitglied beizutreten. Die immer heftiger werdenden Angriffe bewogen ihn, anzunehmen, allerdings erst nach einer Unterredung mit Stanton. Der Minister erteilte ihm die Erlaubnis dazu, solange es nicht mit seinen momentanen Pflichten kollidierte.
George steckte bis zum Hals in Arbeit, aber er versicherte Stanton, daß es keine Probleme geben würde. Dem kurzen Gespräch konnte er nicht den leisesten Hinweis auf die Einstellung des Ministers zur Akademie entnehmen. Stanton war wie eine kreisförmige Festung konstruiert – sicher vor Angriffen aus jeder Richtung.
Obwohl die Berufung ins Aufsichtskomitee mehr Druck bedeutete, war George dankbar dafür. Sein Job war dermaßen frustrierend geworden, daß er morgens nur noch äußerst ungern die Augen aufschlug. Seine Arbeit an den Artilleriekontrakten wurde ständig durch zahllose andere Termine unterbrochen. Sollte das Ministerium die Einführung von Gewehrkugeln empfehlen – Patronen mit Zeitzündern, die erst nach dem Abschuß explodierten? Sollte das Amt Chlorgranaten testen, die beim Aufschlag ein schweres, tödliches Gas verströmten? George hatte außerdem weiterhin mit den Erfindern schwachsinniger Waffen zu tun.
Nur eines half ihm, im Winder-Gebäude zu überleben. Für Ripley war es unmöglich, sich in alles einzumischen, und mittlerweile schien er bereit zu sein, sich aus dem Artillerieprogramm herauszuhalten. Trotzdem fühlte sich George wie ein Mann, der an einer Klippe baumelte. Wie lange seine Hände sich noch festklammern konnten, wußte er nicht.
Von Billy kamen keine Briefe – ein weiterer Grund zur Sorge. Oft genug lag George, nachdem er sich lange den Kopf über Ripley und die Armee zerbrochen hatte, nachts wach und sorgte sich um seinen jüngeren Bruder oder seinen alten Freund Orry.
Bis auf Brett, die weiterhin in Lehigh Station wohnte, waren die Bande zwischen den Hazards und den Mains zerschnitten. Wo war Orry? Wo Charles? Ein Briefschmuggler würde es nicht leicht haben, einen von ihnen zu finden, obwohl es, falls unbedingt notwendig, wahrscheinlich zu schaffen war. Doch wichtiger noch als Briefe war, daß sie alle diese dunklen Zeiten unverletzt überstanden.
Wegen Stanley machte er sich niemals Sorgen. Sein älterer Bruder kleidete sich gut und lebte üppig. Er und Isabel standen mit den mächtigsten Männern Washingtons auf vertrautem Fuße und wurden bei den wichtigsten gesellschaftlichen Veranstaltungen der Stadt gesehen. George begriff nicht, wie ein derart unfähiger Mann es so weit bringen konnte.
»Es gibt wechselnde Zeiten, George«, sagte Constance. »Zyklen für alle Dinge – das steht in der Bibel. Stanley stand lange Zeit in deinem Schatten.«
»Und jetzt steh ich in seinem?«
»Nein, damit wollte ich nicht sagen – «
»Es ist die Wahrheit. Und es macht mich wütend.«
»Ich bin selbst ein bißchen eifersüchtig, wenn du es unbedingt wissen willst. Andererseits bin ich überzeugt davon, daß hauptsächlich Isabel für den Erfolg verantwortlich ist, und ich würde mich lieber aufhängen, als mit ihr zu tauschen.«
George paffte seine Zigarre. »Weißt du, ich kann nicht vergessen, daß ich Stanley geschlagen habe. Vielleicht ist das nur die ausgleichende Gerechtigkeit. Vielleicht ist das meine Strafe.«
»Hast du bemerkt, wie freundlich der Minister war?« sagte Stanley eines späten Abends im Juli. Nach einer Shakespeare-Aufführung in Leonard Grovers neuem Theater fuhren sie in ihrer Kutsche nach Hause. »Hast du das bemerkt, Isabel?«
»Warum sollte Stanton nicht freundlich sein? Du bist einer seiner besten Angestellten. Er weiß, daß er dir vertrauen kann.«
Stanley strahlte. Konnte es wahr sein? Lediglich einige wenige Aspekte in seiner Rolle als überzeugter Republikaner behagten ihm nicht so ganz. Einen davon erwähnte er Isabel gegenüber, als sie zu Bett gingen.
»Das Konfiszierungsgesetz soll diese Woche verabschiedet werden. Die Sklaven der eroberten Gebiete werden befreit, und der Einsatz farbiger Truppen wird gebilligt. Aber das ist noch nicht alles. Stanton hat es mir in der zweiten Pause erzählt, als du auf der Toilette warst.«
»Ich wäre dir dankbar, wenn du dieses Wort in meiner Gegenwart nicht benützen würdest. Sag mir, was du von Stanton erfahren hast.«
»Der Präsident arbeitet an einem Regierungserlaß.« Stanley legte eine Kunstpause ein, um die Wirkung zu steigern. »Er will alle Sklaven freisetzen.«
»Mein Gott. Bist du sicher?«
»Nun, zumindest alle Sklaven der Konföderation. Ich glaube nicht, daß er sich an die Sklaverei in Kentucky oder den beiden anderen Grenzstaaten wagt.«
»Ah. Für so einen großen Idealisten hätte ich ihn nicht gehalten. Es wird sich dabei nicht um eine humanitäre Maßnahme, sondern um eine Strafmaßnahme handeln.« Widerstrebend fuhr sie fort: »Lincoln hat den Charme eines Schweines, aber eins muß man ihm lassen: Er ist ein schlauer Politiker.«
»Wie kannst du sowas sagen, Isabel? Willst du, daß ganze Horden befreiter Nigger in den Norden schwärmen? Denk an die Unruhe, an all die Jobs, die anständige weiße Männer verlieren werden. Die ganze Idee ist ein einziger Skandal.«
»Du behältst diese Meinung besser für dich, wenn du dir die Freundschaft von Stanton und Ben Wade bewahren willst.«
»Aber – «
»Stop, Stanley. Wenn du im Hause des Teufels speist, dann kannst du nicht das Menü bestimmen. Spiel deine Rolle. Den loyalen Republikaner.«
Er tat es, obwohl ihm häufig bei all dem plötzlichen Gerede über Emanzipation, das durch die Büros und Flure, durch die Salons und Kneipen des offiziellen und inoffiziellen Washingtons schwirrte, die Galle überlief. Lincolns radikaler Vorschlag stieß viele Weiße vor den Kopf, die davon Wind bekamen; ganz sicher würde bei Inkrafttreten eines solchen Gesetzes ein sozialer Aufruhr die Folge sein. Stanley gehorchte jedoch seiner Frau und behielt seine Ansichten für sich.
Mit einer Ausnahme. Er lud seinen Bruder zu Willard’s zum Essen ein, damit er seinen Triumph auskosten konnte.
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