Im Hinausgehen wurde er von Quincys scharfer, harter Stimme gestoppt. »Colonel. Überlegen Sie es sich noch mal, bevor Sie das tun.«
Ungläubig drehte sich Orry um und sah die Arroganz im Gesicht des Mannes. Er kochte über. »Wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid, freie Bürger zu terrorisieren und jede Meinung zu unterdrücken, die von eurer abweicht? Bei Gott, wir lassen keine verdammten Pinkertons in der Konföderation herumschnüffeln.«
Mit leiser Stimme sagte Quincy: »Ich warne Sie noch mal, Colonel. Mißachten Sie die Autorität dieses Amtes nicht. Irgendwann brauchen Sie vielleicht mal eine Gefälligkeit von uns.«
»Drohen Sie mir, Mr. Quincy, und ich schlage Sie mit dieser einen Hand in den Boden.«
Fünfundvierzig Minuten später verlor Castle Thunder einen Insassen. Aber da gab es noch viele andere, für die er nichts tun konnte. An die Warnung dieser machttrunkenen Dreckschleuder im schwarzen Anzug verschwendete er keinen zweiten Gedanken.
Im Kriegsministerium überwachte Orry, wie Bücher, Akten und Aufzeichnungen in Kisten verpackt wurden, als der Mai sich mit der Schlacht von Fair Oaks, praktisch an der Hausschwelle der Stadt, seinem schrecklichen Ende zuneigte. McClellan wehrte den Angriff der Konföderierten ungeschickt ab, wobei Joe Johnston schwer verwundet wurde und innerhalb von vierundzwanzig Stunden durch den früheren militärischen Berater des Präsidenten, aus dem Exil zurückgekehrt, ersetzt wurde.
Granny Lee übernahm zum ersten Mal das Kommando über die Armee von Nordvirginia. Das Vertrauen in ihn war nicht groß. Kisten wurden in noch größerer Hast gepackt, und ein Sonderzug blieb rund um die Uhr unter Dampf, um sofort das Gold des Schatzamtes abzutransportieren, falls Lees Linien durchbrochen wurden. Orry schwitzte und packte weitere Kisten und lauschte einem Gerücht, daß in Winders Amt ein Plan gegen ihn ausgebrütet wurde. Quincys vergessene Drohung kam ihm in den Sinn und verstärkte die Anspannung, unter der er stand. Er dankte dem Allmächtigen, daß Madeline nicht hier war und nicht unter diesem ganzen Wahnsinn zu leiden hatte.
Wieder donnerte es. An diesem schwülen Abend waren im oberen Stock sämtliche Fenster geöffnet. Powell ruhte auf seinen Ellbogen; Ashton bemühte sich, ihm eine gewaltige Erektion zu verschaffen, auf die Art und Weise, wie er es gern hatte. Dann drang er wie ein Bulle in sie ein. Sie rissen das Bettzeug los, verstreuten es in dem heftigen Getümmel in der ganzen Gegend. Er war großartig, er riß sie mit, wie er es immer tat, ließ eine Ekstase in ihr aufsteigen, die sie nur durch Schreie abreagieren konnte.
Von Erfüllung und Erschöpfung überwältigt schlief sie ein. Nachdem sie wieder erwacht war, sprach Powell nachdenklich, mehr zu sich, wie er es gern tat, nachdem sie sich geliebt hatten.
»Gestern hab’ ich das allgemeine Wehrpflichtgesetz mit einigen anderen Gentlemen diskutiert. Wir waren uns alle darüber einig, daß es einfach empörend ist. Sind wir Affen im Käfig, die auf Jeffs Befehl jederzeit zu springen haben? Wenigstens gibt es Möglichkeiten, das Gesetz zu umgehen.«
Ashton legte ihre Wange auf sein krauses Brusthaar und fuhr mit dem Fingernagel um eine seiner Brustwarzen. »Was für Möglichkeiten?«
»Zum Beispiel die Befreiung, wenn man hundertzwanzig Sklaven besitzt. Ich bezweifle, daß King Jeff sich Richtung Valdosta in Bewegung setzt, um festzustellen, daß von meinen Sklaven hundertachtzehn reine Phantasie sind.« Er lachte leise.
»Ich liebe dich«, flüsterte Ashton, »aber manchmal versteh’ ich dich wirklich nicht.«
»Wieso?«
»Du schimpfst auf die Wehrpflicht und King Jeff, wie du ihn nennst, aber du bist in Richmond geblieben, während die meisten ständigen Bewohner längst um ihr Leben gerannt sind.«
»Ich möchte das schützen, was mir gehört. Was dich einschließt, liebste Partnerin.«
»Und erfolgreiche Partnerin, möchte ich hinzufügen.«
»Sehr erfolgreich.«
»Du bist der Grund, weshalb ich geblieben bin, Lamar.« Das stimmte, wenn auch nur teilweise. Manchmal ängstigte sie das Artilleriefeuer zu Tode, und am liebsten wäre sie auf den nächsten Zug gesprungen, der die Stadt verließ. Sie tat es nicht, weil sie glaubte, Powell würde sie beim geringsten Anzeichen von Schwäche fallenlassen.
Dazu brauchte sie ihn zu sehr. In Lamar Powell hatte sie endlich einen Mann gefunden, der es in der Welt zu etwas bringen würde. Sie weigerte sich, das Risiko einer Trennung einzugehen.
Sie drückte einen zarten Kuß auf seine Brust. »Du haßt Davis wirklich, nicht wahr, Lamar?«
»Sei so nett und tu nicht so, als wäre das was Merkwürdiges. Ja, ich hasse ihn – und es gibt genügend Männer, die meine Meinung teilen. Wenn er stark wäre, sogar ein Diktator, ich würde ihn unterstützen. Aber er ist schwach. Ein Versager. Ist die Gegenwart von General McClellan, weniger als ein Dutzend Meilen von diesem Bett entfernt, nicht Beweis genug dafür? King Jeff wird sich beim Begräbnis des Südens hervortun, wenn man ihn nicht stoppt.«
»Stoppt?«
»Genau das sagte ich.« Eine schwüle Dunkelheit hatte sich ins Schlafzimmer geschlichen, eine Dunkelheit, die nach Garten roch. Trotz seiner leidenschaftlichen Gefühle blieb Powells Stimme kontrolliert. »Und mit Beredsamkeit wird niemand die Konföderation retten und der stümperhaften Karriere von Mr. Davis ein Ende bereiten. Dazu wird schon etwas Entschiedeneres notwendig sein. Endgültigeres.«
Ashton drängte ihren nackten Leib gegen den seinen; wie eine plötzliche Vision tauchte der Revolver vor ihrem geistigen Auge auf, mit dem er häufig hantierte. Sicherlich meinte er nichts in dieser Art.
Sicherlich nicht.
James Huntoon haßte den Mann, von dessen Existenz er etwas ahnte, dessen Namen er aber nicht kannte, und genauso haßte er den Präsidenten der konföderierten Staaten von Amerika. Er hätte ihn gern seines Amtes enthoben, am liebsten aber tot gesehen. Nach den Ereignissen dieses Junis zu urteilen, mochten die Yankees bald beides erreicht haben.
Auch im Finanzministerium waren die Kisten gepackt. Huntoon mußte wie ein Sklave schuften, was ihn ärgerte. Die Spekulationen über Ashtons häufige Abwesenheit machten sein Unglück voll. Diese Abwesenheiten wurden jetzt immer häufiger, dauerten immer länger und blieben ohne jede Erklärung.
Huntoon wünschte verzweifelt, dieser Stadt zu entrinnen. Er hatte zwei Eisenbahnfahrkarten gekauft – nach langen Bemühungen hatte er einen Mann sogar für das Privileg bestechen müssen, den dreifachen Preis bezahlen zu dürfen –, aber Ashton weigerte sich glatt, die Stadt zu verlassen. Allein weil er die Fahrkarten besaß, unterstellte sie ihm, er sei ein Feigling. Glaubte sie das wirklich, oder war das nur eine Ausflucht? Woher stammte dieser neue Mut, dieser Patriotismus, den er nie zuvor an ihr bemerkt hatte? Von ihrem Liebhaber?
Eines frühen Abends, als sie noch nicht zu Hause war, ging er ganz unschuldig an ihren Schreibtisch. Auf der Suche nach einem Ersatz für seine abgebrochene Feder fand er einen Packen Kontoauszüge und Briefe.
»Was ist das für ein Bankkonto in Nassau?« In Hemdsärmeln, mit nassen Ringen unter den Achseln, hielt er ihr das Päckchen eine Stunde später unter die Nase. »Wir haben kein Bankkonto in Nassau.«
Sie entriß ihm das Päckchen. »Wie kannst du es wagen, in meinem Schreibtisch herumzuschnüffeln?«
Er zuckte zusammen. »Ich – ich hab’ nicht herumgeschnüffelt. Ich brauchte eine Feder – verdammt noch mal, habe ich dir eine Erklärung abzugeben oder du mir?« schrie er mit ungewohntem Mut. »Du betrügst mich doch. Was haben diese Papiere zu bedeuten? Ich verlange eine Erklärung.«
»James, beruhige dich.« Sie merkte, daß sie zu weit gegangen war. Das mußte geschickt gehandhabt werden, sonst würde es ihre Liaison mit Powell bedrohen. »Bitte setz dich. Ich werde es dir erklären.«
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