»Geschützattrappen«, sagte er angewidert.
Lije Farmers weißer, lang gewordener Bart wehte in der Maibrise. »Du hast mich getäuscht, und ich wurde getäuscht. Dem täglichen Spott bin ich preisgegeben – ein jeder macht sich lustig über mich.«
»Prince John ist ein Meisterartillerist. Amateurtheater liebt er auch noch. Eine tödliche Kombination. Ich frage mich, ob es noch mehr von den Dingern gibt?«
Es gab. Um die Demütigung zu vollenden, berichtete ein Deserteur, Magruder hätte in Yorktown ein paar Einheiten auf und ab marschieren lassen, um dem Feind zu suggerieren, er würde die Stellung mit wesentlich mehr als den dreizehntausend Mann halten, die er nun zurückgezogen hatte. Während Magruder den Feind mit Tricks und guten Nerven hingehalten hatte, war der Großteil der Rebellenarmee weiter oben auf der Halbinsel in Stellung gegangen, eine heimlich vorbereitete und leichter zu verteidigende Position. Little Macs Zögern hatte Johnston einen weiteren Vorteil verschafft – zusätzliche Zeit, um Verstärkungen aus dem westlichen Teil des Staates heranzuholen.
»Dieser verdammte Krieg mag sich eine ganze Weile hinzieh’n«, sagte Billy. »Unsere Seite mag mehr Fabriken haben, aber ich werde das Gefühl nicht los, die andere Seite hat mehr Hirn.«
Darauf hatte Lije keinen Bibelspruch parat.
Die Maiwälder rochen nach Regen. Charles, Ab und ein dritter Scout namens Doan saßen, zwischen den Bäumen versteckt, bewegungslos auf ihren Pferden und beobachteten den Trupp auf der Landstraße: zwölf Yankees in Zweierreihe, die von Tunstall’s Station in Richtung Bottom’s Bridge am Chickahominy ritten. Johnston hatte sich auf die andere Seite des Flusses zurückgezogen. Pessimisten stellten fest, daß diese Demarkationslinie an manchen Stellen nicht mehr als zehn Meilen von Richmond entfernt war.
Die drei Scouts waren zwei Tage lang auf der Yankeeseite des Chickahominy gewesen, ohne greifbare Ergebnisse. Sie hatten die Richmond & York-Bahnlinie auf Anzeichen von Verkehr hin kontrolliert, hatten nichts entdecken können und waren auf eigener Fährte zurückgeritten, auf das flache Flußland zu, als sie die Yanks gehört hatten. Sofort versteckten sich die Scouts im Wald.
Charles hatte seinen .44 Colt gezogen, seine Schrotflinte war griffbereit. Er war nicht scharf auf einen Kampf; viel lieber hätte er die Identität dieser Yanks gekannt und gewußt, was sie auf dieser Straße zu suchen hatten.
»Berittene Schützen?« flüsterte er, nachdem er die orangefarbenen Quasten an den Hüten der beiden Offiziere entdeckt hatte.
»Unwahrscheinlich, bis auf die zwei Schulterstreifen«, erwiderte Ab. »Wenn einer der anderen Jungs in seinem Leben mehr als zwei Stunden auf ‘nem Pferd gesessen hat, bin ich Varina Davis.«
Doan beugte sich näher heran. »Wer zum Teufel sind sie dann? Ihre Uniformen sind so verdammt dreckig, man kann ja gar nichts erkennen.«
Charles strich seinen Bart. Er brachte Schlamm mit Flußbänken in Verbindung, und Flußbänke mit seinem Freund Billy. »Möcht’ wetten, das sind Pioniere.«
»Könnte sein«, sagte Ab. »Aber was tun sie? Die Sümpfe erkunden?«
»Ja. Für Brücken. Suchen Stellen zum Überqueren. Das kann das erste Anzeichen vom Vormarsch sein.«
Sport scheute. Charles beruhigte den Grauen mit den Knien, während ein Teil seines Gehirns ein seltsam flüsterndes Geräusch am Boden registrierte. Er verfolgte das nicht weiter, weil Doan sprach.
»Können wir sie nicht ein bißchen abschießen, Cap?«
»Nichts dagegen einzuwenden, aber ich halte es für klüger, wenn wir zur nächsten Straße weiterreiten. Je eher wir mit dieser Meldung überm Fluß sind, desto besser.«
»Klapperschlange«, flüsterte Ab. Die Schlange glitt zwischen den Vorderbeinen seines Pferdes hindurch. Das Pferd tänzelte zurück und wieherte lang und laut.
»Das wär’s«, sagte Charles. Rufe auf der Straße, jemand bellte Befehle. Die erschreckte Schlange verschwand. »Los, weg von hier.«
Ab hatte Schwierigkeiten mit seinem Pferd. »Komm schon, Cyclone, verdammt noch mal!« An Gewehrfeuer, aber nicht an Reptilien gewöhnt, bäumte sich das Pferd auf und hätte beinahe seinen Reiter abgeworfen. Charles packte es vorn am Halfter, die Vorderhufe knallten auf den Boden, und Ab blieb im Sattel. Aber wertvolle Sekunden waren verloren gegangen; das scheuende Pferd war dabei in einen Lichtstreifen zwischen den Bäumen geraten. Zwei Yankees am Ende der Kolonne entdeckten Ab und brachten ihre Gewehre in Anschlag.
Charles zog seine Schrotflinte, feuerte beide Läufe ab, schoß dann noch dreimal mit dem Revolver. Die Yanks rutschten aus dem Sattel, brüllten: »Deckung.«
»Los, Jungs«, schrie Charles, sich an die Spitze setzend. Die Yanks würden wahrscheinlich in den Straßengräben Deckung suchen; die Scouts konnten so einen Vorsprung gewinnen.
Nach einem kurzen, scharfen Ritt galoppierte Charles auf die Straße zu, dicht gefolgt von Ab und Doan. Ein Blick zurück zeigte ihm zwei auf der Straße stehende Yanks. Der Rest lag in Deckung.
Beide Yanks feuerten auf die Scouts. Eine Kugel streifte die seitliche Krempe von Charles’ Hut. Nach einigen Sekunden waren sie außer Schußweite. Charles schob seinen Revolver ins Halfter und konzentrierte sich auf den Ritt. Die Straße schlängelte sich durch Wälder, in denen sumpfige Tümpel glitzerten.
Hinter ihnen brach die Straße auf, ein Ausbruch von Feuer mit einem Schrapnellschauer. Ab war so entnervt, daß er beinahe in einen der Tümpel galoppiert wäre. Charles zerrte an den Zügeln, wendete, sah einen rauchenden Krater vor sich und Doan, der sich unter seinem gestürzten Pferd hervorwühlte.
Doan gab erstickte Laute von sich. Das Pferd war erledigt. Die vergrabene Granate, ausgelöst durch eine Friktionszündvorrichtung, hatte tödliche Fragmente in Schulter und Brust des Tieres geschleudert.
Doan befreite sich aus dem linken Steigbügel. Das Pferd glitt mit dem Schwanz voran in das Loch. Wie ein verwirrtes Kind marschierte Doan im Kreis herum. Hinter den Biegungen der Straße verborgen konnte man die Yanks hören, die sich im Galopp näherten.
Charles begann zu schwitzen. Er trieb Sport an den Rand des Loches, doch der Graue scheute vor dem sterbenden Pferd zurück. »Steig auf«, sagte Charles und klatschte hinter sich auf Sports Rumpf. Doans Verwirrung hielt an. Ab feuerte einen Schuß die Straße runter, obwohl noch kein Yank in Sicht war.
Plötzlich begann Doan zu weinen. »Ich kann ihn nicht verlassen.«
»Er ist erledigt, und die Kompanie Q ist ein besserer Platz als irgendein Yankee-Lager.« Der erste blaugekleidete Reiter kam um die Biegung. Charles packte Doan am Kragen. »Steig auf, verdammt, oder wir werden alle geschnappt.«
Doan schaffte es, auf den Grauen zu klettern und sich an Charles’ Taille festzuklammern. Charles zog Sports Kopf herum, und sie galoppierten auf den Chickahominy zu. Ab drückte sein Pferd beiseite, um den Grauen vorbeizulassen, und feuerte seine Waffe auf die anstürmenden Reiter ab. Seine Chance zu treffen war gering, aber er bremste die Verfolger.
Selbst mit dem doppelten Gewicht benahm sich Sport großartig. Charles fühlte, wie Doan hinter ihm zitterte. Plötzlich brüllte der Scout: »Verfluchte Wilde.«
»Wer?«
»Die Yanks, die dieses verdammte Ding in der Straße vergraben haben.«
»Du mußt Brigadier Rains oder sonst jemandem von unserer Seite die Schuld geben. Bevor wir aus Yorktown abzogen, pflanzte Rains diese Minen überall in Straßen und Docks. Wie sieht’s aus, Ab?« rief er dem aufschließenden Scout zu.
»Wir sind diesen Krämerseelen ein gutes Stück voraus. Schaut dort drüben – die Brücke.«
Als sie auf die Bottom’s Bridge zudonnerten, wurde Charles schlagartig klar, daß es genausogut Sport hätte treffen können. Eine vergrabene Bombe wählt sich ihr Opfer nicht aus.
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