Obwohl McClellans Kommando auf die Potomac-Armee reduziert worden war, kämpfte er weiter um das, was er wollte: mehr Artillerie, mehr Munition, McDowells Corps, das zur Verteidigung von Washington zurückgehalten wurde. Als die Regierung die meisten seiner Forderungen ablehnte, beschloß McClellan, Magruder zu belagern, anstatt ihn anzugreifen, eine Entscheidung, mit der viele, einschließlich Lije Farmer, nicht einverstanden gewesen waren.
»Was ist los mit ihm? Es heißt, er nimmt die Anzahl der Feindtruppen, die seine Pinkertonspione durchgeben, und verdoppelt sie – aber selbst dann sind unsere Streitkräfte noch überlegen. Wovor hat er solche Angst?«
»Davor, seinen Ruf zu verlieren? Oder vielleicht die nächsten Präsidentenwahlen?« Es war kein reiner Scherz, wie Billy das sagte.
Der Feldzug gegen Yorktown begann am 4. April. Die Aufgabe des Pionierbataillons bestand darin, Knüppeldämme zu bauen und Brücken über Flüsse zu schlagen, damit Männer und Artillerie gegen Magruders Linien vorrücken konnten, die sich über fast dreizehn Meilen zwischen Yorktown und dem Warwick River erstreckten. Scouts berichteten von zahlreichen großen Geschützen in den feindlichen Stellungen.
Er erreichte die Reihe der Pontonwagen, eine gute halbe Meile oberhalb der Brücke. Wie sie vermutet hatten, war es der Schlamm: Der erste Wagen steckte bis zu den Achsen drin.
Da war nichts zu machen; der Wagen blockierte die anderen. Eine Ausweichmöglichkeit bestand nicht. »Okay, Fahrer – ich schicke euch ein paar Männer, und wir tragen die Boote zum Wasserplatz. Wir sind spät dran.«
Irgendwo in der Finsternis brüllte eine Phantomstimme: »Wer hat den Mist gebaut?«
Ein anderer klagte: »Tragen? Vom letzten Wagen kommt das einer Meile verdammt nahe.«
»Mir egal, und wenn’s fünfzig sind«, sagte Billy und stürmte zurück zu Lije Farmer.
An der unvollendeten Brücke trödelten die erschöpften Infanteristen herum. Es gab nichts zu tun, bis das nächste Boot zu Wasser gelassen und an die Spitze geschoben worden war. »Ich brauche Männer, um die Boote zu tragen, Lije. Ich habe versucht, den Wagen herauszuholen, aber der hängt fest. Niemand kommt vorbei.«
Ein Gewehr blitzte in den Wäldern jenseits des Flusses auf. Auf der Brücke schrie ein Soldat und griff sich ans Bein. Langsam kippte er nach vorn, aber die anderen zerrten ihn zurück, ehe er ins Wasser fallen konnte. Gleichzeitig packte Farmer seine Flinte am Lauf und schlug die nächste Laterne vom Pfosten. Mit einem Satz war Billy bei der anderen Laterne, während Schüsse und Geschrei aus der Dunkelheit drangen. Nachdem sie sämtliche Laternen gelöscht hatten, zogen sie sich ans Ufer zurück und erwiderten das Feuer. Nach fünfzehn Minuten hörten die Hinterhaltsschüsse der Rebellen auf. Nach weiteren fünfzehn Minuten zündeten Billy und Lije die Laternen wieder an, und die Arbeit ging weiter.
Gegen halb drei hatten sie genügend Boote im Wasser und genügend Bohlen und Planken gelegt, um das andere Ufer zu erreichen. Billy schrieb eine kurze Meldung, daß die Brücke fertig sei und schickte sie mit einem Kurier zum Hauptquartier zurück. Lije ordnete eine Pause an. Die Männer schliefen im Freien, in bestmöglicher Deckung für sich selbst und ihr Schießpulver. Billy nieste zum vierten Mal, während ihm beunruhigende Gedanken durch den Kopf gingen.
»Lije? Haben Sie das von den Shiloh-Gefallenen gehört, bevor wir gestern abend loszogen?«
»Ja«, kam die Antwort von der anderen Seite des Baumes, an dem Billy lehnte. »Es heißt, jede Armee habe ein Viertel ihrer Männer verloren.«
»Es ist unglaublich. Der Krieg verändert sich, Lije.«
»Und wird das auch weiterhin tun.«
»Und wohin führt das?«
»Zum endgültigen Sieg der gerechten Sache.«
Da bin ich mir gar nicht sicher, ob wir das alle erleben werden, dachte Billy und schloß die Augen. Seine Zähne klapperten, und er fing an zu zittern. Trotzdem schlief er, im Regen sitzend, irgendwie ein.
Am frühen Morgen befestigten die Pioniere die letzten Kabel an der Brücke und suchten die Wälder auf der anderen Seite nach Rebellen ab; als sie keine finden konnten, machten sie Pause und warteten ab. Bald genug schon würden sie woandershin geschickt werden.
In einem nächtlichen Biwak in der Nähe von Yorktown sagte Charles zu Abner Woolner: »Wir reiten nun schon seit ein paar Wochen zusammen, aber ich weiß kaum was von dir.«
»Gibt nicht viel, Charlie. Ich kann nicht gut lesen, noch schlechter schreiben, und rechnen gar nicht. Bin nicht verheiratet. War mal, aber sie starb. Sie und das Baby.« Es nötigte Charles Bewunderung ab, wie er das so geradeheraus sagte, ohne jedes Selbstmitleid.
»Hab’ eine Farm in der Nähe der North Carolina Front«, fuhr der Scout fort. »Kleine Klitsche.«
»Was hältst du von diesem Krieg?«
Ab schob seine Zunge hin und her. »Könnte deine Gefühle verletzen, wenn ich’s sag’.«
Charles lachte. »Warum?«
»Weil ich euch Plantagennabobs und euer gottloses, verschwenderisches Leben da unten an der Küste nicht ausstehen kann. Ihr habt uns in dieses Schlamassel gezogen. Ein paar von euch hier sind ganz in Ordnung, aber nicht viele.«
»Besitzt du Sklaven, Ab?«
»Nein, Sir. Hab’ nie welche gehabt und würd’ nie welche haben. Könnt’ nicht sagen, daß ich besonders viel für die Schwarzen übrig hab’, aber ich würd’ schon meinen, daß niemand gegen seinen Willen Ketten tragen soll. Ich weiß, was für Leute ich mag. Dich. Major Butler. Hampton – ich hab’ gemerkt, als ich mich bei ihm meldete, daß ich für den Gentleman nicht groß genug war, um in seiner regulären Truppe zu dienen, aber er hat’s mit keinem Wort erwähnt. Ich zieh’ ihn diesem tollen Jeb Stuart jederzeit vor.«
»Ich auch. Beauty ist ein alter Klassenkamerad von mir, aus West Point, aber ich hab’ nicht mehr die Achtung vor ihm, die ich einst hatte. Ich teile deine Gefühle über Hampton. Über die meisten Plantagenbesitzer übrigens auch.«
Ab Woolner lächelte. »Ich wußte, daß es einen Grund gibt, weshalb ich dich mag, Charlie.«
In sein Journal schrieb Billy:
Der General ist ein Paradoxon. Er verlangt von uns, seine Belagerungsartillerie, alle zweiundsiebzig Geschütze, in Stellung zu bringen, um eine Feindstellung zu beschießen, die man, wie viele glauben, mit einem einzigen kompakten Angriff einnehmen könnte. Ein Laie würde glauben, hier werde eine mindestens einjährige Belagerung vorbereitet.
Fragen werden gestellt. Warum wird das alles so gehandhabt? Warum ist Richmond das Ziel und nicht die konföderierte Armee, deren Vernichtung zweifellos die vollständige Kapitulation nach sich ziehen würde? Aber solche Fragen, obwohl weit herum in der Luft, werden keineswegs in Hörweite der ultraloyalen Offiziere gestellt, die der General um sich geschart hat.
Das Paradoxon, von dem ich schrieb, besteht darin, daß der General wenig tut, jedoch ungemein geliebt wird. Die Männer, die von seiner Hand zur besten Kampftruppe, die es auf diesem Planeten gibt, geschmiedet wurden, warten müßig – und jubeln ihm zu, sobald er sich bei ihnen blicken läßt. Bejubeln sie ihn, weil er sie vor den Risiken des Kampfes bewahrt?
Brett, ich werde allmählich bitter. Aber in dieser Armee herrscht nun mal Vetternwirtschaft. Einige nennen den General ›McNapoleon‹. Es ist nicht als Lob gedacht.
Als sich die Konföderierten Anfang Mai aus Yorktown zurückzogen, gehörten die Pioniere zu den ersten, die die verlassenen Befestigungen stürmten. Billy rannte zu einer Geschützstellung, nur um bei diesem Anblick in lautes Fluchen auszubrechen. Das große, schwarze, in die Luft ragende Feldgeschütz war nichts weiter als ein angestrichener Baumstamm. Die Stellung enthielt fünf weitere Attrappen.
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