Er war nervös, als die alten, rußgeschwärzten Gebäude von Birkenhead vor ihm aufragten. Die Fähre schlug an, und Cooper ging als einer der ersten von Bord, schnell, aber nicht panikartig. Er drängte sich durch die Reihen der wartenden Kutscher und kletterte die gepflasterte Straße hoch, die zu einem Weg hinter dem Hamilton Square führte. Er flitzte hinein und drehte sich auf halber Strecke um. Keine Spur von dem Mann, der Porree aß.
Erleichtert betrat er das Wirtshaus Pig and Whistle, wo der Weg als Sackgasse endete.
Zu dieser Stunde hielten sich hier wie üblich nur ein paar Matrosen und Dockarbeiter auf. Cooper setzte sich an einen kleinen, runden Tisch, und die grauhaarige Frau des Besitzers brachte ihm einen Krug Bier, ohne eine Bestellung abzuwarten.
»Tag, Mr. Main. Evensong kommt zwei Stunden später.«
»So spät?« Er konnte seine Besorgnis nicht unterdrücken. »Warum?«
»Keine Ahnung, Sir.«
»Schon gut, Maggie. Danke.«
Verdammt. Zwei Stunden Zeit, die er totschlagen mußte. Der Mann auf der Fähre und jetzt das – gab es Ärger? Hatte Charles Francis Adam die Krone irgendwie überredet, die Enrica, Konstruktionsnummer 209, zu beschlagnahmen? Ein Schwarm alarmierender Phantasien wirbelte ihm im Kopf herum. Er zuckte zusammen, als die Glocke über der Tür bimmelte. Eine bullige Gestalt füllte das helle Rechteck.
Der Mann mit dem Porreesack kam schnurstracks auf seinen Tisch zu. »Mr. Cooper Main, wenn ich richtig informiert bin?« Ein schmieriges Lächeln; eine fleischige Hand wurde ausgestreckt. »Marcellus Dorking. Agent für private Nachforschungen.« Er zog seine Hand zurück. »Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«
Was zum Teufel sollte das? Matt Maguire, Broderick – keiner von Dudleys anderen Detektiven operierte derart kühn. Mit klopfendem Herzen sagte Cooper: »Ich kenne Sie nicht.«
Dorking glitt auf die lange Bank unter dem Fenster. Er legte den Sack auf den Tisch, rief nach einem Gin, holte einen Porree aus dem Sack und begann damit zu spielen, ein breites Lächeln auf dem Gesicht.
»Aber wir kennen Sie, Sir. Bullochs Bursche – richtig, eh? Kein Problem. Wir bewundern einen Mann mit Gewissen.«
»Wer ist wir?«
»Nun, wir, das sind die Parteien, die mich baten, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen, Sir.« Er biß den Porree mittendurch und kaute lautstark. Mit vollem Mund sagte er: »Parteien, die sich durch Captain Bullochs Interpretation des Auslandsanwerbungsgesetzes gestört fühlen.«
Cooper spürte, daß er sich in Schwierigkeiten befand. Würde er durchsucht werden? Würde die Nachricht in seinem Hut entdeckt werden? Unklug, so was schriftlich festzuhalten, erkannte er mit einiger Verspätung, aber keiner in Bullochs Büro war ein berufsmäßiger Spion.
Würde er verhaftet werden? Eingesperrt? Wie konnte er Judith benachrichtigen?
Dorking griff nach dem nächsten Porree. »Sie steh’n auf der falschen Seite, Sir. Dieses Niggersklavenzeugs – meine Frau ist sehr dagegen. Ich übrigens auch.«
»Entspringt Ihre Überzeugung Ihrem Gewissen oder Ihrem Geldbeutel, Dorking?«
Der Mann machte ein finsteres Gesicht. »Ich würd’ keine Witze reißen, Sir. Sie sind Ausländer, in schwere Gesetzesübertretungen verwickelt. Oh, ich kenn’ den Trick, Sir – Werften dürfen für kriegführende Länder, mit denen Großbritannien sich im Frieden befindet, keine Kriegsschiffe bewaffnen und ausrüsten. Aber nichts in dem Gesetz besagt, es sei illegal, ein Schiff hier zu bauen«, er wedelte mit dem grünen Stengel vor Coopers Nase herum, »und Kanonen und Pulver und Granaten dort zu kaufen«, der Porree flog davon, als er den Arm ausstreckte, »um sie dann drei oder mehr Seemeilen von unserer Küste entfernt zusammenzubringen.«
Cooper schwieg. Dorking beugte sich drohend vor. »In Ihrem Fall könnte man jedoch darüberwegseh’n – vielleicht sogar ein kleines Sümmchen zahlen –, wenn meine Klienten einige kurze Berichte über Ziel und Zweck eines Schiffes, das als 209 oder auch Enrica identifiziert wurde, erhalten würden. Wir sind doch immer noch auf gleichem Kurs, nicht wahr, Sir?«
Trotz seiner Furcht bleich vor Wut sagte Cooper: »Sie bieten mir Bestechungsgeld an, ja, Mr. Dorking?«
»Nein, nein! Lediglich etwas mehr finanzielle Sicherheit, Sir. Nur einige hilfreiche Fakten – zum Beispiel eine Erklärung für das merkwürdige Benehmen einiger Matrosen, die kürzlich in der Canning Street gesehen wurden. Sie marschierten mit Pfeifen und Trommeln und spielten eine Melodie namens ›Dixie’s Land‹. Die gleichen Jungs waren kurz zuvor bei John Lairds gesichtet worden. Innerhalb des Tores. Hab’ ich mich klar ausgedrückt? Na, was hat das für Sie zu bedeuten, Mr. Main?«
»Für mich bedeutet das, den Jungs gefällt die Melodie von ›Dixie’s Land‹, Mr. Dorking. Und für Sie?«
»Daß Laird vielleicht eine Mannschaft anheuert, Sir. Für den Probelauf des neuen Kriegsschiffs der Konföderation, könnte das nicht sein?« Der Agent für Nachforschungen warf den halben Porree auf den Tisch und brüllte zu Maggie hinüber: »Wo bleibt mein verdammter Gin, Frau?« Er gab Cooper Gelegenheit, seine schmalen Augen und seine zusammengebissenen Zähne zu bewundern, ehe er sagte: »Ich will offen zu Ihnen sein, Sir. Wenn Sie uns helfen, dann ist mehr als nur ein kleines Honorar für Sie drin. Sie haben auch noch die Gewißheit, daß Ihre Frau und die Kleinen in Sicherheit sind.«
Maggie war am Tisch angekommen. Cooper riß ihr das Glas aus der Hand und schüttete Dorking den Gin ins Gesicht. Der Mann fluchte; mit der linken Hand packte ihn Cooper an der Kehle.
»Wenn ihr meine Frau oder Kinder anrührt, dann find’ ich dich und bring’ dich persönlich um.«
»Ich hole Percy«, sagte Maggie und ging schon los. »Meinen Mann. Der wiegt zwei Zentner.«
Als Dorking das hörte, schoß er zur Tür, hielt dort nur lange genug, um zurückzurufen: »Niggerprügelnder Bastard. Wir werden dich aufhalten.« Er schüttelte den Papiersack. »Verlaß dich drauf!« Die Glocke bimmelte noch lange, nachdem die Tür zugefallen war.
»Alles in Ordnung, Sir?« fragte Maggie.
»Ja.« Cooper schluckte; der Schock setzte ein. Er konnte es nicht fassen, daß er gegen Dudleys Mann so gewalttätig vorgegangen war. Die Drohung gegen seine Familie hatte das provoziert.
Der Vorfall hatte ihn erschüttert. Er trank sein Bier aus und anschließend noch ein zweites, blieb aber stocknüchtern; hier war keine Erleichterung zu finden. Die Schatten auf dem Weg wurden länger und länger, und schließlich war es an der Zeit, zur Kirche von St. Mary, Birkenhead, aufzubrechen. Die Kirche lag nahe am Mersey, praktisch direkt neben Lairds und dem Schiff, das er noch nie gesehen hatte.
Innerlich angespannt, aber ohne Zwischenfall erreichte er die Kirche. Ein unauffälliger Mann löste sich von der Seite des Gebäudes. Er entschuldigte sich und lieferte eine kurze Erklärung für die Verspätung. Dann, nachdem beide die Umgebung nach möglichen Beobachtern abgesucht hatten, setzte Cooper seinen Hut ab und übergab dem Mann die zusammengefaltete Botschaft, der sich damit schnell entfernte. Das war alles.
Cooper rannte den größten Teil des Weges zur Anlegestelle der Fähre, verpaßte sie aber um drei Minuten und mußte eine Stunde auf die nächste warten. Wieder lehnte Cooper an der Reling, ohne allerdings das Wasser oder die Stadt wahrzunehmen; er sah nur Augen und Schnurrbart und malmende Zähne von Marcellus Dorking vor sich.
Wir werden dich aufhalten.
In seinem Kopf formte sich eine Frage, die ihn noch vor einer Woche in schallendes Gelächter hätte ausbrechen lassen. Aber nun –
»Sir?«
»Was ist?« Er erschrak, wurde dann verlegen; der Mann, der sich von hinten angeschlichen hatte, gehörte zur Mannschaft der Fähre.
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