George war froh, die hoffnungslose Washingtoner Atmosphäre gegen die Schönheit des Hudson-Tales eintauschen zu können; das herrlich sonnige Wetter machte alles nur noch schöner. Old Parrott, Absolvent von 1824, leitete die Fabrik, und er bestand darauf, seinem Besucher alles persönlich vorzuführen. In Hitze und Licht der Gießerei zubaden, war eine Art freudige Heimkehr. George war fasziniert von der Präzision, mit der die Arbeiter die Kanonenrohre ausbohrten, Vier-zehn-Inch-Eisenbarren erhitzten und zu den Bändern hämmerten, die das Markenzeichen von Parrott-Kanonen waren.
Parrott schien es zu begrüßen, daß jemand im Waffenamt tätig war, der etwas von seinen Problemen als Hersteller und Manager verstand. George mochte den älteren Mann, aber die wirkliche Entdeckung, sowohl persönlich als auch beruflich, war Captain Stephen V. Benet, an den sich George als Angehörigen der Klasse von 1849 erinnerte.
Benet, in Florida geboren und so dunkel, daß man ihn für einen Spanier hätte halten können, teilte seine Zeit zwischen der Gießerei und West Point, wo er Waffentheorie und Geschützwesen lehrte. Gemeinsam überquerten die beiden Männer eines Nachmittags den Fluß, um auf alten Spuren zu wandeln. Sie redeten über alles, von ihren alten Klassen angefangen bis zu den immer heftiger werdenden Angriffen auf die Institution.
Beim Abendessen im Post-Hotel sagte Benet: »Ich bewundere den Patriotismus, der Sie zur Annahme Ihres Postens bewegt hat. In Ripleys Department tätig zu sein – das verlangt nach Beileidsbezeugungen.«
»Die ganze Abteilung ist ein furchtbares Chaos«, bestätigte George. »Verrückte Erfinder in jeder Spalte, Papierstöße, ein Jahr alt, keine Standardisierung. Ich versuche, eine Liste der verschiedenen Typen von Artilleriemunition aufzustellen, die wir verwenden. Es ist ein echter Kampf.«
Benet lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Müßten mindestens fünfhundert sein.«
»Vielleicht schlagen wir uns selbst und ersparen den Rebs die Arbeit.«
»Für Ripley zu arbeiten muß jeden entmutigen. Er sucht nur nach Gründen, um neue Ideen abzulehnen. Er sucht nach Schwachstellen. Ich würde nach Positivem suchen, nach Gründen, um ja sagen zu können.« Benet warf seinem Besucher einen forschenden Blick zu und beschloß, ihm zu vertrauen. »Vielleicht schickt der Präsident deswegen Prototypen direkt zur Beurteilung hierher. Wußten Sie davon – daß Ripley umgangen wird?«
»Nein, aber es überrascht mich nicht. Andererseits muß ich Ihnen gestehen, daß Lincoln im Kriegsministerium gerade wegen seiner ständigen Einmischungen sehr unpopulär ist.«
»Verständlich, aber«, wieder dieser Blick, »wie sollen wir ohne das die Ripleys ausschalten?«
Mit dieser pessimistischen Frage im Gepäck kehrte George in die Stadt zurück.
Der heiße Juli tröpfelte dahin, und George saß bis spät abends an seinem Schreibtisch. Stanley sah er selten, Lincoln dagegen recht häufig. Der storchähnliche, leicht komisch wirkende Präsident eilte ständig von einem Regierungsbüro zum anderen, mit Bündeln von Plänen und Papieren und Memoranden und einigen gelegentlich recht obszönen Scherzen.
Obwohl der Leerlauf im Department überwog, konnte man Ripley nicht nur Schlechtes nachsagen. George entdeckte, daß der alte Mann den Kauf von hunderttausend europäischen Gewehren gefordert hatte, um die antiquierten Vorräte in den Lagerhäusern der Union zu ergänzen. Cameron hatte darauf bestanden, daß die Armee nur in Amerika hergestellte Waffen benützte, was George auf die zynische Vermutung brachte, daß einige Freunde des Ministers Waffenkontrakte besitzen mußten. Nach dem Manassas-Debakel sammelten sich noch mehr dunkle Wolken über Camerons Haupt, und sein Einkauf wurde nun als Fehlentscheidung angeprangert. Der Krieg würde nicht mit dem Sommer enden, und es waren nicht genügend Gewehre vorhanden, um die Rekruten zu bewaffnen und zu instruieren, die sich bereits in den Ausbildungslagern von der Ostküste bis zum Mississippi gemeldet hatten.
George wurde von der Arbeit am Entwurf für einen Mörser-Kontrakt abgezogen und damit beauftragt, ein neues Ripley-Angebot über den Ankauf von hunderttausend ausländischen Waffen zu erstellen. Das Angebot ging ans Kriegsministerium, mit einem halben Dutzend Unterschriften versehen, wobei Georges Unterschrift gleich nach der von Ripley kam. Nach drei Tagen des Schweigens ging er persönlich hinüber, um sich nach dem Schicksal des Angebots zu erkundigen.
»Ich hab’ es auf irgendeinem Schreibtisch entdeckt«, berichtete er bei seiner Rückkehr. »Mit der Bemerkung: abgelehnt.«
Ohne mit seinem ewigen Papiergewühle aufzuhören, schnappte Maynadier: »Aus welchen Gründen?«
»Der Minister wünscht das Angebot auf die Hälfte reduziert.«
Ripley horchte auf. »Was? Nur fünfzigtausend Stück?« Er brach in eine Schimpfkanonade aus, vor der seine sonstigen Wutanfälle verblaßten.
George berichtete an diesem Abend Constance: »Cameron genehmigte die Ablehnung, aber Stanley hat unterzeichnet. Ich bin sicher, er tat es mit dem größten Vergnügen.«
Ripley setzte George und einige andere davon in Kenntnis, daß sie alle im August befördert werden würden; Ripley selbst zum Brigadier. George würde dann drei Schleifen aus schwarzer Seide an seinem Waffenrock tragen und den Goldstern eines Majors. Aber die Sünden des Departments, die sich täglich wie die Blütenblätter einer Rose entfalteten, entmutigten ihn zu sehr, als daß er sich darüber hätte freuen können.
Seine Pflichten führten George häufig zum Washingtoner Arsenal in Greenleaf’s Point, einer sumpfigen Ebene am Zusammenfluß von Potomac und Anacostia, im Süden der Stadt. Dort standen zwischen den alten Gebäuden, sauber aufgereiht unter den Bäumen, Geschütze aller Art. George entdeckte, während er auf der Suche nach Munition in den Lagerräumen des Arsenals herumstöberte, eine merkwürdige Waffe mit einer seitlichen Kurbel und einem Trichter obendrauf. Er fragte Colonel Ramsay, den Kommandanten des Arsenals, danach.
»Drei Erfinder haben es Anfang des Jahres gebracht. Der offizielle Name in unseren Büchern lautet .58-Kaliber-Union-Repetiergewehr. Der Präsident taufte es Kaffeemühle. Es feuert sehr schnell – die Munition wird mit diesem Trichter nachgeladen –, und nach den ersten Tests wollte Mr. Lincoln die Waffe nehmen. Man sagte mir, er habe ein Memorandum an Ihren kommandierenden Offizier geschickt«, endete Ramsay mit deutlicher Betonung.
»Mit welchem Ergebnis?«
»Ohne Ergebnis.«
»Keine weiteren Tests?«
»Meines Wissens nicht.«
»Warum nicht?« George ahnte die Antwort bereits, die Ramsay prompt in böser Imitation des neuen Brigadegenerals lieferte: »Hab’ keine Zeit!«
Zu Constance sagte George später: »So eine vielversprechende Waffe vermodert, während wir unsere Zeit mit idiotischen Plänen verschwenden.«
Die nächsten schlechten Nachrichten für Ripleys Büro ließen nicht lange auf sich warten. Camerons Entscheidung gegen ausländische Waffen hatte den Agenten der Konföderation neunzig Tage Zeit gelassen, um die besten Waffen in England und auf dem Kontinent aufzukaufen. Als einige Musterexemplare vom verfügbaren Rest im Winder-Gebäude eintrafen, sank die Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt.
In der dunstigen Dämmerung nahm George ein Muster mit hinunter zum Arsenal. Bei der Waffe handelte es sich um ein .54-Kalibergewehr mit Zündhütchen der österreichischen Jägerbataillone, entwickelt nach dem Lorenzmodell von 1854; die Waffe war häßlich, sperrig und besaß einen brutalen Rückschlag. Nach drei Schüssen fühlte sich seine Schulter an, als hätte ihn ein Maultier getreten.
Er hörte, wie sich eine Kutsche näherte. Er befand sich gerade am Ende eines Piers, und so marschierte er zurück, um zu sehen, wer da kam. Die Kutsche war nicht genau zu erkennen, bis sie sich der Mole genähert hatte. George kannte den Fahrer, William Stoddard, einen von Lincolns Sekretären. In dessen Büro stapelten sich die Muster von Waffen, die von Erfindern in der Hoffnung, Ripley umgehen zu können, direkt an den Präsidenten geschickt wurden.
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