Charles bekam keine Chance, dieses neue Gefühl auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen; die Kavalleristen erreichten den Schauplatz, nachdem der Sieg errungen worden war. Sie erfuhren, daß der Colonel sich ausgezeichnet und eine leichte Kopfwunde empfangen hatte, als er seine Infanterie gegen die zerbröckelnde Front der Bundesregimenter geführt hatte.
Präsident Davis war persönlich von Richmond gekommen, um den verschiedenen Kommandanten zu gratulieren, zu denen auch Hampton zählte, den Davis und Old Bory in seinem Zelt aufsuchten. Gegen Montagabend jedoch hörten Charles und viele andere, daß sich gewisse Regierungsmitglieder beklagt hätten; Beauregard habe seinen Vorteil nicht genutzt und Washington nicht erobert.
Charles behielt seine Meinung für sich. Woher sollten fettärschige Bürokraten wissen, daß eine Schlacht harte Arbeit war und daß selbst der größte Mut, der festeste Wille und das stärkste Herz sich der alles überwältigenden Erschöpfung beugen mußten.
Aber von diesen Klagen abgesehen war Manassas zu einem Triumph geworden, ein Beweis für den unerschütterlichen Glauben, daß Gentlemen jederzeit den Pöbel schlagen konnten.
Die Verluste waren gering gewesen. Der Stellvertreter des Kommandanten der Legion, Lieutenant Colonel Johnson aus Charleston, war von der ersten feindlichen Salve getötet worden. Barnard Bee, einer von Cousin Orrys Freunden von der Akademie, war tödlich getroffen worden, kurz nachdem er die Männer zu den Fahnen des verrückten Professors vom Virginia Military Institute, dem Narren Tom Jackson, geführt hatte. Jackson stand wie ein Steinwall nahe des Henry-Hauses, und es schien so, als würde ›Tom der Narr‹ ab sofort einen höflicheren Spitznamen erhalten.
Während Charles Sports Hufe vom Dreck säuberte, näherte sich Calbraith Butler, ein weiterer Truppenkommandant. Butler war ein gutaussehender Bursche mit angenehmen Manieren in Charles’ Alter. Er war mit der Tochter von Gouverneur Pickens verheiratet und hatte eine lukrative Anwaltspraxis aufgegeben, um die Edgefield-Husaren aufzustellen, eine der Einheiten, die Hampton zu seiner Legion zusammengefaßt hatte. Obwohl Butler über keine militärische Erfahrung verfügte, vermutete Charles, daß er sich im Kampf gut schlagen würde; er mochte Butler.
»Du solltest einen Neger für sowas haben«, riet Butler.
»Wenn ich so reich wie ihr Anwälte wäre, dann vielleicht.«
Butler lachte.
»Wie geht’s dem Colonel?« fuhr Charles fort.
»Guter Laune, angesichts des Todes von Johnson und der Verluste, die wir hinnehmen mußten.«
»Wie hoch?«
»Steht noch nicht genau fest. Ich hörte was von zwanzig Prozent.«
»Zwanzig«, wiederholte Charles mit einem leichten Nicken, um seine Befriedigung auszudrücken. Am besten dachte man an die Toten und Verwundeten nicht als Menschen, sondern berechnete sie in Prozenten; man schlief nachts besser.
Butler kauerte sich hin. »Wie ich höre, sind die Yankees nicht nur vor unseren Black Horses davongerannt, sondern allein schon beim bloßen Gedanken an sie. Sie rannten vor Braunen, Grauen, Rotschimmeln – jeder nur denkbaren Farbe. Hielten sie alle für Black Horse. Ich bedaure wirklich, daß wir das verpaßt haben. Aber wenigstens werden wir von den Früchten des Sieges kosten dürfen, so ungefähr in einer Woche.«
Er berichtete, daß dankbare Bürger in Richmond bereits einen Galaball angekündigt hatten, zu dem bevorzugte Offiziere von Manassas eingeladen waren. »Und weißt du was, Charlie, Kavallerieoffiziere sind die bevorzugtesten. Wir müssen den Ladies ja nicht erzählen, daß wir meilenweit von der Schlacht entfernt waren. Das heißt, bei mir fällt das ja flach. Meiner Frau zuliebe werde ich wohl nicht hingehen.«
»Warum nicht? Beauty Stuart ist verheiratet, und ich möchte wetten, er ist dabei.«
»Verdammte Virginier. Müssen überall in vorderster Front sein.« Während der Schlacht hatte Stuart einen vieldiskutierten Angriff die Sudley Road entlang geführt, was seinen Ruf, ein tapferer Mann zu sein – oder ein tollkühner Mann, je nachdem, wer die Geschichte erzählte –, weiter festigte.
»Ein Ball. Das klingt tatsächlich recht verlockend.« Charles gab sich Mühe, die Ambulanzen, die langsam vor der flammenden Scheibe der Sonne vorbeizogen, nicht zu beachten.
»Charmante weibliche Gäste aus der ganzen Gegend sind eingeladen. Die Gastgeber möchten nicht, daß es unseren tapferen Jungs an Tanzpartnerinnen mangelt.«
Nachdenklich sagte Charles: »Ich werde vielleicht gehen, wenn ich eine Einladung erbeuten kann.«
»Na also! Endlich ein Hauch von Leben in dem müden Kämpfer. Gut für dich.« Butler schlenderte davon; Charles nahm seine Arbeit wieder auf, und Sport stupfte zärtlich seinen Arm. Er überraschte sich selbst dabei, daß er vor sich hinpfiff, nachdem ihm klar geworden war, daß er mit etwas Glück Augusta Barclay auf dem Ball finden konnte.
34
Gegen sieben Uhr morgens waren sie in der Hauptstadt angekommen, durchnäßt und kurz vor dem Umfallen. George, Constance und die Kinder gingen direkt zum Willard-Hotel, Stanley, Isabel und die Zwillinge zu ihrem Herrschaftshaus; wortlos, grußlos.
George wusch und rasierte sich, wobei er sich zweimal schnitt, trank einen kräftigen Schluck Whiskey und meldete sich noch ganz benommen im Winder-Gebäude. Die Verzweiflung über die Niederlage war so groß, daß an diesem Morgen nichts erledigt wurde; gegen halb zwölf schloß Ripley das Büro. George hörte, der Präsident habe wieder einen seiner Depressionszustände. Kein Wunder, dachte George, als er sich zum Hotel zurückkämpfte.
Er fiel in einen tiefen Schlaf der Betäubung, aus dem er gegen neun Uhr abends sanft wachgerüttelt wurde. Constance meinte, er müsse etwas essen. Im Speisesaal des Hotels, der vollbesetzt war, in dem aber eine unnatürliche Stille herrschte, erkundigte sich George nach dem Stand der Dinge; die Antworten ließen ihn zusammenzucken. Am nächsten Tag stellte er weitere Fragen. Ausmaß und Konsequenzen der Tragödie bei Bull Run zeichneten sich langsam ab.
Die Verlustquoten waren noch vage, obwohl einige Zahlen bereits feststanden; Simon Camerons Bruder, Kommandant eines Highlander-Regiments, der Seventy-Ninth New York, war getötet worden. Scott und McDowell standen als Schuldige fest. Während George den größten Teil des Montags verschlief, war McDowell seines Postens enthoben worden; Georges alter Klassenkamerad McClellan war aus dem westlichen Virginia herbeigeordert worden und hatte den Oberbefehl über die Armee erhalten, um sie zu einer Einheit zu formen, die diesen Namen auch verdiente.
Am Dienstag wurde die Büroarbeit wieder aufgenommen. George erhielt einen kurzfristigen Reisebefehl, um sich mit der Produktion der Cold-Spring-Gießerei, am Fluß gegenüber von West Point gelegen, vertraut zu machen. Sein Vater hatte die Gießerei während Georges Kadettenjahren besichtigt. Die Gießerei produzierte jetzt großartige, von Robert Parker Parrott entworfene Artilleriewaffen. Der Verbindungsoffizier des Waffen-Departments war ein Captain Stephen V. Benet.
Dienstagnacht, nachdem George gepackt hatte, unterhielten er und Constance sich vor dem Einschlafen über den Wechsel im Oberkommando. »Lincoln und das Kabinett und der Kongreß, sie alle haben McDowell angetrieben. Sie zwangen ihn, schlecht ausgebildete Amateure in die Schlacht zu schicken. Die Freiwilligen kämpften natürlich nicht wie Berufssoldaten, und McDowell bekommt dafür die Schuld in die Schuhe geschoben – von Lincoln und dem Kabinett und dem Kongreß.«
»Ah«, murmelte sie. »Das erste Mädchen auf der Tanzkarte des Präsidenten hat sich als ungeschickt erwiesen, also Partnertausch.«
»Partnertausch. Das drückt es richtig aus.« Er schob sein Nachthemd hoch, um sich am Oberschenkel zu kratzen. »Ich möchte wissen, wie oft er das noch tun wird, bis der Ball vorbei ist?«
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