»Na gut, damit wäre das erledigt. Wir bleiben.«
»Du mußt nicht.«
»Was?«
»Ich meine es ernst, Charles. Du kamst auf der Suche nach einem Ersatzpferd her, nicht um weiterzukämpfen.«
»Zum Teufel, Cousin, außer Kämpfen habe ich nichts gelernt. Die gegenwärtigen Unannehmlichkeiten haben mich für jede zivilisierte Beschäftigung ungeeignet gemacht.«
Sie starrten einander an; keiner von ihnen lächelte. Charles spürte Ungeduld, so, als ob er es kaum erwarten könnte. Das überschwengliche Gefühl kehrte wieder, intensiver als zuvor. Eine Schlacht stand bevor, jawohl. In der Ferne krächzte eine Krähe, und eine zweite Krähe antwortete.
125
Jedesmal, wenn Virgilia eine Kutsche hörte, eilte sie ans vordere Fenster, nur um wieder enttäuscht zu werden. Warum kam Sam so spät? War daheim etwas schiefgegangen?
Gegen halb acht war die kleine Ente verschmort, und Virgilia befand sich in heller Aufregung. Sie hörte das Geräusch eines Pferdes, wirbelte auf die Tür zu und riß sie auf.
»Sam? Oh, ich habe mir solche Sorgen gemacht!«
Es verwirrte sie, daß er nicht gleich vom Sitz seines Einspänners kletterte. »Ich mußte Emily schnell zur Bahn bringen. Ihr Vater in Muncie ist krank geworden. Sie hat die Kinder mitgenommen. Sie wird mindestens eine Woche fort sein.« Das Licht von der Tür her ließ sein Lächeln sichtbar werden. »Ich kann die Nacht über bleiben, falls ich dazu eingeladen werde.«
»Oh, Darling, das ist ja wunderbar.«
Im Haus legte sie lachend die Arme um seinen Hals und küßte ihn. Er liebte es, ihre Zunge in seinem Mund und anderswo zu spüren. »Sollen wir jetzt oder später essen? Ich fürchte, die Ente ist fast schwarz.«
»Probieren wir sie. Dann können wir mit dem restlichen Abend anfangen, was wir wollen.«
Er ging in den Keller und holte eine der zahlreichen Weinflaschen, mit denen er sie versorgt hatte. Dann prosteten sie sich zu. Es war ein schwerer Bordeaux, ein ausgezeichneter Wein, alles andere als billig. Nachdem er einen Schluck gekostet hatte, sagte er: »Verdammtes Theater mit diesem Inaugurationsball – hast du schon gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Was soll damit sein? Klingt doch großartig. Im Star stand, bloß zehn Dollar für Essen und Tanz im Patent Office.«
»Aber eine Anzahl unserer dunkleren Brüder äußerten den Wunsch, ebenfalls dabei zu sein. Einige der Kongreßfrauen, meine eingeschlossen, hätte beinahe der Schlag getroffen. Emily regte sich eine Stunde lang über die Vorstellung auf, sie könnte von Fred Douglass oder irgendeinem anderen Pavian zum Tanz aufgefordert werden. Das Ball-Komitee mußte schnell beschwichtigen. Die Formulierung war höflich, aber die Botschaft war klar. Keine Kartenverkäufe an Nigger.«
»Ich finde das schändlich.«
»Verwechsle Freiheit nicht mit Gleichheit, Virgilia. Das erstere ist in Ordnung, ein Werkzeug, um Stimmen zu sammeln. Letzteres würde niemals toleriert werden, jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten.«
Sie wandten sich angenehmeren Themen zu. Der Wein entspannte Virgilia und versetzte sie in eine für sie untypische verspielte Stimmung. »Darf ich mich nach dem Platz bei der Inaugurationszeremonie erkundigen?«
»Ich habe einen für dich besorgt. Reservierte Sektion für Würdenträger nahe der Plattform.«
»Oh, großartig, Sam. Ich danke dir.«
»Aber das ist noch nicht alles. Ich habe es auch geschafft, mittags einen Sitz auf der Senatsgalerie für dich zu bekommen. Lincoln wird unten sitzen und seine Frau ganz in deiner Nähe. Wenn alle zur Ablegung des Eides und zur Ansprache des Präsidenten hinausgehen, werden Emily und ich ganz vorn auf der Plattform sitzen.«
Ihre Beschwingtheit ließ sie sagen: »Vielleicht winke ich, wenn ich dich und deine Frau sehe.«
Unter dem Tisch hatte er ihre Hand gestreichelt. Jetzt ließ er sie los.
»Ich schätze derartige Bemerkungen nicht.« Sein ernster Ton überraschte sie.
»Sam, ich habe doch nur gescherzt.«
»Ich nicht.«
Verängstigt und ernüchtert sagte sie hastig: »Es tut mir leid, Liebling. Ich weiß, daß wir in der Öffentlichkeit nicht zeigen dürfen, daß wir uns kennen. Ich würde nie etwas tun, was deine Karriere gefährden könnte.« Sie drückte seine Hand. »Glaubst du mir das?«
Beängstigendes Schweigen. Dann, als ihm die Strafe für sie ausreichend erschien, verschwand der harte Zug aus seinem Gesicht. »Ja.«
Virgilia wechselte schnell das Thema. »Ich bin nicht begierig, eine Ansprache vom Gorilla zu hören, aber ich möchte ihn gern aus nächster Nähe sehen. Schaut er wirklich so schlimm aus?«
»Der Mann sieht aus wie eine Mumie. Dreißig Pfund Untergewicht, dazu ständiger Schüttelfrost, hab’ ich gehört. Die Leute flüstern sich zu, er sei todkrank. Unglücklicherweise hindern ihn seine Krankheiten nicht daran, mit seiner maultierhaften Sturheit seine Programme durchzudrücken.« Er probierte ein Stückchen Ente. »Sehr gut.«
»Das ist es bestimmt nicht, aber nett von dir, zu lügen.«
Das brachte ihn wieder zum Lächeln. »Mache ich gut, nicht wahr? Ich übe auch jeden Tag. Hast du den Entwurf meiner Rede gelesen?« Sie nickte. »Was hältst du davon?«
Virgilia legte ihre Gabel nieder. »Du sagtest mir, Lincoln würde in seiner Antrittsrede dem Süden gegenüber einen versöhnlichen Ton anschlagen.«
»Soweit ich das feststellen konnte, ja.«
»Ich fürchte, deine Rede klingt ähnlich.«
»Tatsächlich? Zu sanft?«
»Viel zu allgemein und zu höflich. Da erinnert nichts an Shermans Bemerkung, daß er Georgia mit Blut und Tränen überziehen wird. Du mußt für die Öffentlichkeit der Mann sein, der den ganzen Süden auf Jahre mit Blut und Tränen überziehen wird, um ihn für seine Verbrechen zu bestrafen. Deine Rede muß ein ganz einfaches, lebhaftes Konzept enthalten, das du bei jeder Gelegenheit wiederholst. Wenn die Leute dann an Kongreßabgeordnete denken, dann kommt ihnen zuerst dein Name in den Sinn.«
Er gluckste. »Das ist ein ehrgeiziges Ziel.«
»Es ist das, was du willst, oder? Natürlich bekommt man nichts umsonst. Und wenn es nicht funktioniert? Na gut, dann wird dein Name eben an zweiter Stelle stehen. Aber wenn du etwas Geringeres als den ersten Platz anstrebst, dann wirst du ein Nichts sein.«
Wieder ertönte sein leises Lachen. »Du bist eine bemerkenswerte Frau. Ich habe Glück, dich zur Freundin zu haben.«
»So lange du willst, Darling. Sollen wir die Rede durchsehen?«
»Nicht jetzt.«
Beinahe hätte er den Tisch umgeworfen, so eilig hatte er es, hinter sie zu treten und sie zu umarmen. Sie blieb sitzen, preßte sich gegen die Versteifung in seiner Hose. Sie drehte sich halb um, griff danach, stöhnte leise auf. Seine Hand tastete nach ihren Brüsten. Gemeinsam taumelten sie ins Schlafzimmer, zerrten einander hastig die Kleider vom Leib. Er kniete neben dem Bett nieder, küßte ihre nackten Brüste.
Niemals würde sie ihn gehen lassen. Sie würde ihm helfen, ihn trösten, anleiten – ihm in jeder Beziehung eine Ehefrau sein, nur nicht im legalen Sinne.
Er warf sie auf den Rücken; ihre Petticoats bauschten sich noch um die Knöchel. Sie schrie nach ihm, die Arme ausgebreitet. Sein Geschlecht fühlte sich riesig an, als er sich in sie bohrte. Er war ein potenter, ein sehr potenter Mann, und das nicht nur physisch. Mit ihm – durch ihn – würde sie den armen Grady und die Millionen seinesgleichen rächen. Sie würde sich von ihrem tiefsten Haß befreien.
Sie würde den Süden mit Blut und Tränen überziehen.
126
Am nächsten Morgen sprang der Zeiger der Uhr auf Mont Royal auf eine Minute vor sechs, als ein glühendes Licht funkensprühend in weitem Bogen aus der Dunkelheit geflogen kam. »Sie sind da!« rief Philemon Meek.
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