»Du sagtest, er hat auf ihn geschossen. Du meinst doch nicht, er wurde – «
»Getötet? Natürlich wurde er das. Sonst würde doch niemand die Geschichte verbreiten. Okay, Billy, der Trunk war erfrischend. War nett, mit dir zu reden. Tut mir leid, daß ich dir das von deinem Freund sagen mußte. Ich muß jetzt gehen. Ich denke, der Krieg wird nicht mehr lange dauern. Ich hoffe, wir werden’s beide heil überstehen. Tut mir leid, das mit deinem Freund.« Er tippte an seine schmierige Mütze. »Leb wohl!«
George sagte ebenfalls »Leb wohl«, aber so leise, daß es vom Murmeln des Baches übertönt wurde. Langsam wandte er sich der Eisenbahnlinie zu. Sonnenschein überflutete sein Gesicht und blendete ihn.
Schwankend, zweimal stolpernd, ging er auf die hämmernden Geräusche zu. Als die Bockbrücke in Sicht kam, mußte er sich zurück in die Bäume flüchten, wo er sich versteckte und fünf Minuten lang beim Gedanken an seinen Freund und das Feuer im April weinte.
121
Februar. In der Finsternis über Washington tobte ein elektrischer Sturm. Die aufzuckenden Blitze verliehen dem Diamantanhänger, den Jeannie Canary zwischen ihren großen Brüsten mit den rosigen Spitzen trug, einen unheimlichen Glanz. Sie lag nackt in dem verschwitzten Bett und spielte glücklich mit ihrem neuen Schmuck.
Stanley band sich den Morgenmantel aus königsblauem Samt zu, dann schenkte er sich aus der Whiskeykaraffe ein. Es war nur noch ein kleiner Rest übrig. In Plüschslippern holte er sich aus der kleinen Küche der Fünf-Zimmer-Wohnung, in der er seine Geliebte untergebracht hatte, etwas zu essen und kippte den Inhalt seines Glases hinterher.
Miss Canary ließ den großen Stein in ihren Handflächen hüpfen; ein weiterer Blitz ließ ihn auffunkeln. »Du trinkst sehr viel heute abend, Liebling.«
»Schmieröl für die Maschinerie des Geistes.« Und ein Verteidigungsmittel gegen die ständige Furcht, daß man ihm all das – die kleine Tänzerin, die sechs Millionen Dollar, die sich bei Lashbrook’s angesammelt hatten, seine Macht in Republikanerkreisen – wegnehmen könnte, weil er es nicht verdiente. Er nahm einen kräftigen Schluck.
Miss Canary ließ dieses Thema fallen und brachte statt dessen eine Stanley vertraute Klage an.
»Ich wünsche mir so sehr, du würdest mit mir zu Mr. Lincolns Amtseinführung gehen.«
»Ich hab dir schon ein paarmal gesagt, das ist völlig unmöglich.« Isabel kehrte anläßlich dieses Ereignisses von einem langen Aufenthalt in Newport zurück. Sie hatte mit Geld nicht gespart, um Fairlawn in eine Ganzjahresresidenz zu verwandeln, und war dann dort eingezogen, ohne irgendein anderes Familienmitglied um Erlaubnis zu fragen. Der Besitz gehörte den drei Brüdern gemeinsam, aber das hatte Isabel ignoriert, als sie letzten Herbst das Kommando übernahm, kurz nachdem sie ihre unerziehbaren Söhne in einem kleinen Internat in Massachusetts untergebracht hatte.
»Aber ich möchte den Präsidenten so gern aus der Nähe sehen. Ich habe ihn noch nie von nah gesehen.«
»Da hast du nichts versäumt, glaub mir.«
»Du redest oft mit ihm, nicht wahr?« Stanley nickte und trank einen Schluck Whiskey. »Stimmt es, daß er nie badet?«
»Diese Behauptung ist zumindest stark übertrieben.«
Miss Canary kratzte sich. »Aber es heißt, Frauen meiden ihn, weil er riecht.«
»Einige Frauen meiden ihn, weil er gelegentlich mal eine ganz schön gewürzte Geschichte erzählt. Der Westernhumor, ein bißchen bäuerlich«, sagte er mit geringschätzigem Achselzucken. »Aber in erster Linie wird er wegen seiner Frau gemieden. Mary Lincoln ist eine eifersüchtige Harpyie.«
»Gestern abend im Theater«, sagte Miss Canary, »hörte ich eine schreckliche Geschichte über den Präsidenten. Einige Schauspieler planen, ihn zu kidnappen oder zu töten. Sie alle sollen Südstaatensympathisanten sein, aber Namen hörte ich keine.«
Stanley knöpfte sein Hemd zu und rülpste diskret. »Mein Liebes, wenn ich einen Penny für jede dieser Geschichten bekäme, dann hätten wir bald genug Geld für eine Seereise nach Ägypten.«
»Willst du mit mir nach Ägypten fahren?«
Schnell hob Stanley eine Hand. »Bloß ein Beispiel.« Das arme Kind stellte seine Geduld manchmal wirklich auf eine harte Probe. Aber das verzieh er ihr immer schnell, wenn sie ihre sexuellen Talente demonstrierte.
»Mußt du gehen, Liebling?«
»Ich muß. Um halb zehn erwarte ich einen Gast.«
»Weil du gerade von erwarten sprichst – ich warte immer noch auf meinen Monatswechsel für die Miete.«
»Tatsächlich? Ich werde meinem Buchhalter eins auf die Finger geben. Gleich morgen früh bekommst du ihn.«
Seine Kutsche brachte ihn durch regnerische Straßen zu dem großen Haus in der I-Street. Die Dienerschaft hatte das Gas angezündet und Erfrischungen zurechtgestellt. Doch sein Gast traf erst um elf ein.
Ben Wade warf seinen nassen Umhang ab. Der Butler hob ihn vom Boden auf. Stanley machte eine scharfe Geste. Der Mann ging hinaus und schloß die Tür hinter sich.
Wade eilte zum Herd, um sich aufzuwärmen. »Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe. Ich wartete, bis die River Queen zurückkehrte.« Er rieb sich, offensichtlich erfreut, die Hände. »Mr. Seward und unser geliebter Führer empfingen die Abgesandten der Konföderation in Hampton Roads. Man sagte mir jedoch, daß es zu keinem Waffenstillstand kommen wird.«
»Immer noch der gleiche zähe Punkt?«
Wade nickte. »Die Frage von zwei Nationen oder einer. Der Präsident beharrt weiterhin auf bedingungsloser Anerkennung des letzteren. Davis weigert sich weiterhin. Das bedeutet, daß Sie noch ein paar Monate der Armee Schuhe verkaufen können«, schloß er mit einem listigen Lächeln. Er verließ seinen Platz am Herd, nahm Teller und Gabel und spießte sich ein Stück Truthahnbrust vom Silbertablett. »Ich habe noch eine Neuigkeit.«
»Ich hoffe, es ist die Neuigkeit, auf die ich gewartet habe.«
»Nicht ganz. Ich kann Ihnen die Ernennung zum Chef des Versorgungsamtes für ehemalige Sklaven nicht besorgen.«
»Sie meinen, der Kongreß befürwortet die Einrichtung dieses Amtes nicht?«
»Oh doch. Das wird diesen Monat geschehen – spätestens nächsten.« Über dieses Amt wurde bereits seit dem letzten Jahr diskutiert; es ging dabei um die Regulierung all der Dinge, die die nach Beendigung des Krieges befreiten Sklaven des Südens betrafen. Alles von der Landverteilung bis zur Umsiedlung. Es war ein Weg zu ungeheurer Macht, aber wenn Stanley das Benehmen von Wade richtig deutete – der Senator schien mehr am Essen als am Gespräch interessiert zu sein –, dann war für ihn nicht nur diese Straße gesperrt, sondern das gesamte Thema erledigt.
Für Stanley bedeutete das soviel wie die Amtseinführung des Präsidenten für Miss Canary. »Ben, ich habe der Partei Unmengen Geld gegeben. Ich glaube, das berechtigt mich wenigstens zu einer Antwort. Warum kann ich den Job nicht haben?«
»Sie – äh – « Wade schien von einem Stückchen Truthahn auf seiner Gabel fasziniert.
»Eine offene Antwort, Ben.«
»Also gut. Sie wollen einen Mann mit größerer administrativer Erfahrung. Sie ziehen einen General in Erwägung. Oliver Howard steht ganz oben auf der Liste.«
Stanley wußte, was der Senator ihm in Wirklichkeit sagen wollte. Der radikale Flügel, der jetzt jede wichtige Angelegenheit entschied, hielt ihn für inkompetent.
Wade ging auf seinen reichen Gastgeber zu und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Schauen Sie, Stanley. Ich habe Ihnen nie garantiert, daß ich Ihnen den Posten sichern kann. Aber ich werde dafür sorgen, daß Sie zu einem der ersten Assistenten ernannt werden, wenn Sie mögen. Die wahre Macht wird sowieso auf dieser Ebene liegen – Howard wird lediglich eine Galionsfigur sein. Die in der zweiten Reihe werden es sein, die dafür sorgen, daß die Farbigen am Wahltag nach der republikanischen Pfeife tanzen. In einem Jahr können wir den Sprung von einer Minoritätspartei zur einzigen Partei, die wirklich zählt, schaffen.«
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