Wades glitzernder Blick, die stille Glut seiner Worte besänftigten und überzeugten Stanley.
»In Ordnung, Ben. Ich nehme den höchsten Posten, der mir angeboten wird.«
»Gut – ausgezeichnet!«
Cuffeys Guerillabande war mittlerweile auf zweiundfünfzig Mann angewachsen; fast ein Drittel davon waren weiße Deserteure. Sie hielten zwei Acres dicht bewaldeten, verhältnismäßig soliden Geländes am Rande des Salzsumpfes nahe des Ashley besetzt. Gewehre und Revolver nahmen sie den Weißen ab, die sie auf den Straßen ermordeten; Nahrungsmittel stahlen sie aus den Häusern, Farmen und Reisplantagen des Bezirks.
Dreimal schon hatte Cuffey Trupps angeführt, die Hühner von Mont Royal stahlen. Die Plantage selbst hob er sich für einen besonderen Tag auf. Er suchte den Himmel nach verräterischen Rauchwolken ab und schickte regelmäßig einen seiner weißen Jungs nach Charleston, um sich von der Situation dort berichten zu lassen.
In den kurzen, kühlen Tagen Anfang Februar suchte er den Himmel mit zunehmender Ungeduld ab. Er wußte, daß Sherman, der General, dessen Stil und dessen Ruf er bewunderte, Beaufort und Pocataligo passiert hatte und nach Norden zu auf Columbia marschierte. Bald schon, so hatte sich Cuffey ausgerechnet, würde der Konföderiertengeneral in Charleston den größten Teil seiner Truppen zur Verteidigung der Hauptstadt einsetzen müssen. Dann würde der ganze Bezirk offen und ungeschützt daliegen – und er, Cuffey, konnte damit tun, was er wollte.
122
Am nächsten Morgen gegen zehn erreichte Charles die Stelle, wo sich die Flußstraße mit dem Weg kreuzte, der zu dem großen Haus führte. Seine Lumpen, heiß und stickig, zogen ihn schwer nach unten. Sein winziger Zigarrenstummel – die letzte Zigarre, die er hatte – ging aus, als er den Weg hoch zu der vertrauten Dachlinie starrte, der oberen und unteren Veranda, zu den dichten Reben, die sich am Kamin hochrankten.
Rauch stieg vom Küchengebäude auf. Ein Negermädchen kam heraus und eilte zum Haupthaus. Eine Krähe segelte krächzend vorbei; wäre er nicht so müde gewesen, er hätte gelacht. Er war zu Hause.
Es war keine gute Zeit für eine Heimkehr. Sherman hatte geschworen, Georgia mit Blut und Tränen zu überziehen, und diesen Schwur hatte er eingehalten; dann war er weiter nach Norden gezogen, unter Umgehung des Ashley-Bezirks. Mit einem erschöpften Staunen in den Augen ging Charles langsam den Weg hoch. Dieser Ort hier schien vom Krieg völlig unberührt. Dann bemerkte er die Veränderungen an den Gebäuden und das Fehlen der Sklaven. Wieviele von ihnen mochten davongerannt sein?
Er ging bis zum Haus, vorbei an dem Kamin, und entdeckte halb verborgen hinter einer Säule eine Frau. Mit vagem Lächeln erhob sie sich von ihrem Stuhl, als er sich näherte. Höflich sagte er: »Hallo, Tante Clarissa.«
Sie betrachtete ihn einige Sekunden lang stirnrunzelnd – vor allem den Revolver und den eingewickelten Degen unter seinem Arm. Dann preßte sie die Handflächen gegen ihre Wangen und kreischte in tödlicher Furcht auf – die Ankündigung seiner Heimkehr.
Jetzt tauchten andere Leute auf. Zwei Hausdiener kamen herausgerannt, um sich um Clarissa zu kümmern. Wie alt und gebeugt sie aussehen, dachte Charles, während er darauf wartete, erkannt zu werden. Es dauerte lange.
»Charles? Charles Main?«
Er schob seinen Hut zurück, brachte aber kein Lächeln zustande; er war fast so erstaunt, wie Clarissa eben gewesen war. »Ja, Judith, ich bin’s. Was um alles in der Welt machst du hier?«
»Ich kann’s nicht erwarten, dich das gleiche zu fragen.«
»Ich habe mein Pferd bei Petersburg verloren. Ich habe den ganzen Weg hier runter gemacht, auf der Suche nach einem Ersatz.«
»Fahren die Züge?«
»Einige. Meistens bin ich gelaufen. Als ich North Carolina verließ, dachte ich, ich würde schon zuvor irgendwo ein Pferd oder wenigstens ein Muli auftreiben. War ein Irrtum«, endete er, als Orrys älterer Bruder auf die Veranda trat. Cooper erkannte Charles und stieß einen Jubelschrei aus. Das Ehepaar geleitete den Neuankömmling in das geliebte, vertraute Haus, aber Charles nahm es kaum zur Kenntnis. Ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf: Wußten sie über Orry Bescheid?
Charles badete in einer großen Zinkwanne in Coopers und Judiths Schlafzimmer – das gleiche weiträumige Zimmer, das einst Tillet und Clarissa und später vermutlich Orry und Madeline gehört hatte.
Seine Ankunft hatte viel Aufsehen erregt. Neger wimmelten überall im Haus herum – fast so, als wären sie Cooper und Judith gleichgestellt, dachte er ohne jede Feindseligkeit; er registrierte damit lediglich einen weiteren bemerkenswerten Wandel. Er begegnete einem muskulösen Vorarbeiter namens Andy und einer hübschen Negerin namens Jane, die ihm ernst die Hand schüttelte, während sie sagt: »Ich habe von Ihnen gehört.«
Die Botschaft ihres offenen Blickes, weder feindselig noch freundlich, war eindeutig: Du bist also in der Armee, die dafür kämpft, mein Volk in Fesseln zu halten.
Philemon Meek, der neue Verwalter, kam zum Mittagessen hereingeschlurft – das üppigste Essen, das sie auftischen konnten, sagte Judith verlegen. Jeder bekam einen Teller mit Safranreis, ein paar Erbsen, ein kleines Stückchen Maisbrot und zwei Stückchen Huhn, die zum zweiten oder dritten Mal gekocht worden waren.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Charles. »Im Vergleich zu der Kost weiter oben im Norden ist das hier ein Festmahl.«
Schnell begann er zu essen. Meek beobachtete ihn über seine Brille hinweg und berichtete Charles dann von der Guerillabande, die in der Nachbarschaft ihr Unwesen trieb.
»Die Bande hat sich hier im Tiefland eingenistet«, sagte Meek. »Ich habe gehört, der Anführer ist ein alter Bekannter von Ihnen – ein Nigger namens Cuffey.«
»Cuffey«, wiederholte er. »Nicht zu fassen. Glauben Sie, daß Mont Royal Ärger bekommt?«
»Wir bereiten uns auf diese Möglichkeit vor«, sagte Meek.
»Ich habe den Eindruck, es sind nicht mehr viele Männer auf der Plantage. Vom Vorarbeiter abgesehen hab’ ich nur Leute bemerkt, die so grau wie das Moos vorm Fenster sind.«
»Wir sind bei siebenunddreißig Leuten angekommen«, gab Cooper zu. »Die Freiheit ist ein Magnet für menschliche Wesen. Eine Zeitlang hab’ auch ich das vergessen, wie ich zu meiner Schande eingestehen muß. Ach was, wozu die Vergangenheit aufrühren? Ich möchte die Neuigkeiten aus Virginia hören. Warst du überhaupt in Richmond? Hast du Orry und Madeline gesehn?«
Cooper wartete auf eine Antwort. Langsam legte Charles die Serviette neben seinen Teller.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, der Überbringer schlechter Nachrichten sein zu müssen.«
Judith beugte sich vor. »Oh Gott – ist einer von ihnen krank? Madeline?«
Schweigen.
»Charles?« sagte Cooper fast unhörbar.
Er erzählte es ihnen.
123
Billy, als Invalide mit einer Brustwunde zu Hause, schlief sehr viel. Er war auch nicht wach, als Constance mit bleichem Gesicht den Brief zu Brett in die Bibliothek brachte.
»Er ist von George. Komm, setz dich, bevor du ihn liest.«
Die Nachricht über Orry traf Brett wie ein Hammerschlag. Constance ließ sich neben dem Stuhl auf die Knie sinken, während Brett schluckte und merkwürdige kleine, würgende Laute von sich gab. Sie hob die beiden Blätter auf, deutete hilflos auf sie und schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe das nicht. Madeline sagte, er sei noch in Richmond.«
»Das dachten wir alle.«
Jetzt fing Brett an zu weinen, wurde vom Schluchzen geschüttelt. Constance war überrascht, daß dieser Anfall in weniger als einer Minute vorüber war.
Eine halbe Stunde später dachte sie, was für eine bewundernswerte Frau Billy doch geheiratet hatte. Würde sie selbst sich in ähnlicher Lage als ebenso stark erweisen? Nachdem sie sich die verschwollenen Augen getrocknet und den Brief wieder an sich genommen hatte, sagte Brett: »Ich muß hinauf zu Madeline. Ist sie in ihrem Wohnzimmer?«
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