»Welche soll mir gehören?« fragte er Sambo unterwürfig.
»Weiß nicht. Geh meinetwegen hier rein«, antwortete dieser. »Da ist vielleicht noch Platz für einen; schon jetzt ein ganzer Haufen Nigger in jeder; weiß nicht, wo ich die andern unterbringen soll.«
Spät am Abend strömten die müden Bewohner der Hütten heim–Männer und Frauen, in schmutziger, zerrissener Kleidung, verdrossen und abgearbeitet, keineswegs geneigt, die Neuankömmlinge freundlich zu begrüßen. Die kleine Siedlung hallte wider von Geräuschen, die wenig ermunternd klangen; heisere gutturale Stimmen stritten um die Handmühlen, in welchen die Arbeiter noch Mais mahlen mußten, um daraus einen Kuchen zu backen, aus dem ihr Abendbrot bestand. Vom ersten Morgengrauen an waren sie auf dem Feld gewesen, wo die Aufseher sie mit schwingender Peitsche zur Arbeit trieben, denn man stand mitten in der Ernte und unterließ kein Mittel, um aus jedem Arbeiter das letzte an Kraft und Leistung herauszupressen.
Als die Kolonne hereinströmte, blickte Tom vergeblich nach einem Gefährten aus. Er sah nur verdrossene, verbitterte, mürrische Männer und schwache, mutlose Frauen; die Starken stießen die Schwachen — er sah die tierische Selbstsucht von Menschen, von denen nichts Gutes mehr erwartet oder verlangt wird und die, in jeder Weise wie Tiere behandelt, so tief gesunken waren, als es für Menschen nur möglich ist. Noch bis in die späte Nacht hinein währte das Maismahlen, denn für die vielen waren verhältnismäßig wenig Mühlen vorhanden, und die Schwachen und Müden wurden von den Stärkeren verdrängt und kamen erst zuletzt an die Reihe.
»Heda«, sagte Sambo, ging zu der Mulattin und warf ihr einen Sack Mais vor die Füße, »wie zum Teufel heißt du?«
»Lucy«, antwortete das Weib.
»Also, Lucy, du bist jetzt mein Weib, du mahlst hier den Mais und backst meine Kuchen, verstanden?«
»Ich bin nicht dein Weib und will es nicht sein!« stieß sie mit dem Mute der Verzweiflung hervor; »geh weg!«
»Du kriegst einen Fußtritt«, sagte Sambo und hob drohend seinen Fuß.
»Bring mich ruhig um — je eher, desto besser! Ich wollte nur, ich wäre schon tot!« erwiderte die Frau.
»Wart, Sambo, wenn du die Arbeiter verminderst, sag ich es dem Herrn«, sagte Quimbo, der fleißig die Mühle drehte, von welcher er hinterhältig drei müde Frauen weggestoßen hatte, die auch ihren Mais mahlen wollten.
»Und ich sage ihm, daß du die Weiber nicht an die Mühle läßt, du alter Nigger«, entgegnete ihm Sambo. »Bleib du nur in deiner Reihe.«
Tom war hungrig von seinem Tagesmarsch und fiel fast um vor Erschöpfung.
»Da«, sagte Quimbo und warf einen groben Sack zu Boden, der einen Scheffel Mais enthielt; »da, Nigger, greif zu — und heb es gut auf, das muß eine Woche reichen.«
Tom wartete bis zu später Stunde auf einen Platz an der Mühle; aber als es dann soweit war, mahlte er mitleidig für zwei Frauen, die sich mit der Mühle mühten, schürte ihnen das herabgebrannte Feuer zu neuer Glut und richtete dann sein eigenes Mehl. Das war bisher noch nie geschehen, dieses kleine Zeichen der Nächstenliebe, und es erweckte ein Echo — ein Ausdruck weiblicher Güte erschien auf ihren harten Gesichtern. Sie rührten ihm seinen Kuchen an und überwachten das Backen; Tom aber saß im Schein des Feuers und zog seine Bibel heraus — ihn verlangte nach Trost.
»Was ist das?« fragte eine der Frauen.
»Eine Bibel«, antwortete Tom.
»Großer Gott, hab keine mehr gesehen, seit ich in Kentucky war.«
»Seid ihr in Kentucky aufgewachsen?« fragte Tom.
»Ja, in guten Verhältnissen; dachte nie, daß ich es bis hier bringen würde«, erwiderte die Frau und seufzte.
»Na, lies doch mal!« forderte eine andere Tom neugierig auf, als sie sah, wie aufmerksam er darin vertieft war.
Tom las: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich will euch erquicken.«
»Das sind gute Worte«, meinte die Frau; »wer sagt das?«
»Der Heiland«, erwiderte Tom.
»Ich wollte nur, ich wüßte, wo er zu finden ist, dann würde ich hingehen. Manchmal denke ich, ich finde keine Ruhe mehr. Mein Körper ist so ausgelaugt, ich zittere jeden Tag, und Sambo geifert immer hinter mir her, weil ich nicht schneller pflücke, und abends wird es oft Mitternacht, bevor ich mein Essen kriege. Dann hab ich mich kaum umgedreht und meine Augen zugemacht, da hör ich schon wieder das Horn zum Aufstehen blasen, und dann fängt der Morgen wieder an. Wenn ich nur wüßte, wo der Heiland ist, würde ich es ihm klagen.«
»Er ist hier, er ist überall«, sagte Tom.
»Ach, das kannst du mir nicht weismachen. Der Heiland ist nicht hier, aber alles Reden hat keinen Zweck. Besser, man kriecht hinein und schläft.«
Die Frauen verschwanden in ihrer Hütte, und Tom saß allein beim sinkenden Feuer.
Silbern und hellstirnig ging der Mond am purpurnen Himmel auf und blickte still und ruhig herab, wie Gott herabblickt auf die Stätte des Elends und der Unterdrückung — auf den einsamen schwarzen Mann, als er mit verschränkten Armen dasaß, die Bibel auf den Knien.
Auf dem Boden lagen bereits müde Schläfer hingestreckt, und die abgestandene Luft stieß ihn fast zurück; als einzige Hülle eine zerlöcherte Decke um sich schlagend, kroch er ins Stroh und schlief ein.
Es dauerte nicht lange, und Tom war mit allem vertraut, was er in seiner neuen Umgebung zu hoffen und zu fürchten hatte. Er war erfahren und tüchtig bei allem, was er anpackte, und aus Gewohnheit wie aus Prinzip zuverlässig und treu. Von Haus aus ruhig und friedlich, hoffte er durch unablässigen Fleiß wenigstens das Schlimmste von sich fernhalten zu können. Er sah genug Elend und Erniedrigung, um in Verzweiflung zu versinken; aber er beschloß, in himmlischer Geduld auszuharren, sich in die Hände Gottes zu befehlen und die Hoffnung nicht fahren zu lassen, daß ihm noch eine letzte Flucht offenstünde.
Legree nahm wohl Notiz von Toms Anstelligkeit. Er schätzte ihn als erstklassigen Arbeiter; dennoch spürte er eine geheime Abneigung gegen ihn — die innere Antipathie des Bösen gegen den Guten. Er sah deutlich, daß, wenn seine Wut und Heftigkeit auf die Hilflosen niederfiel — wie es häufig geschah -, Tom es bemerkte; denn so fein sind die Schwingungen unserer Gefühle, daß sie sich auch ohne Worte übertragen; selbst die Gefühle eines Sklaven können einen Herrn ärgern. Tom bekundete auf verschiedene Weise ein Zartgefühl, ein Mitleid mit seinen Leidensgenossen, das ihnen seltsam und neu war und von Legree mit eifersüchtigem Auge beobachtet wurde. Er hatte Tom gekauft, halb in der Absicht, eine Art Verwalter aus ihm zu machen, dem er seine Geschäfte für die kurze Zeit seiner Abwesenheit anvertrauen könnte. Die erste, zweite und dritte Vorbedingung für diese Stellung bestand aber seiner Ansicht nach in Härte. Also beschloß Legree, da Tom den Arbeitern gegenüber keine Härte zeigte, ihn zunächst selbst abzuhärten. Nachdem Tom einige Wochen da war, sollte damit der Anfang gemacht werden.
Eines Morgens, als die Arbeiter zur Feldarbeit abgefertigt waren, sah Tom mit Befremden einen Neuling unter ihnen, dessen Äußeres seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, groß und schlank gebaut, mit auffallend rassigen Händen und Füßen, sauber und anständig gekleidet. Nach ihrem Gesicht zu urteilen, konnte sie zwischen fünfunddreißig und vierzig sein; aber es war ein Gesicht, das man nicht wieder vergaß — eines von denen, die auf den ersten Blick in uns die Vorstellung einer wilden, schmerzlichen und romantischen Geschichte erregen. Ihre Stirn war hoch, und die Augenbrauen waren klar und schön gezeichnet. Ihre gutgeformte Nase, ihr feingeschnittener Mund und die anmutigen Umrisse ihres Kopfes und Nackens verrieten, daß sie einmal sehr schön gewesen sein mußte; aber ihr Gesicht hatte scharfe Linien des Schmerzes, des stolzen, bitteren Leidens gezeichnet. Ihre Hautfarbe war bleich und ungesund, ihre Wangen schmal, ihre Züge scharf, ihre ganze Gestalt abgemagert.
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