»In Kentucky, Herr«, sagte Tom und blickte sich hilfesuchend um.
»Was hast du da gemacht?«
»Die Farm meines Herrn verwaltet«, sagte Tom.
»Schönes Märchen«, sagte der andere kurz, als er weiterging. Er verweilte einen Augenblick bei Adolf, dann spuckte er ihm einen Strahl Tabaksaft auf die blankgewichsten Stiefel, brummte ein verächtliches »Puh!« und ging vorbei. Jetzt hielt er vor Susan und Em–meline. Er streckte seine schwere, schmutzige Hand aus, zog das Mädchen zu sich und fuhr ihr damit über Brust und Hals, befühlte ihre Arme, betrachtete ihre Zähne und stieß sie dann zurück zu ihrer Mutter, deren geduldiges Gesicht die Pein verriet, die ihr jede Bewegung des gräßlichen Fremden verursacht hatte.
Das erschrockene Mädchen begann zu weinen.
»Hör auf, du Balg!« sagte der Verkäufer; »hier wird nicht geflennt, gleich geht es los.« Und schon wurde der Verkauf eröffnet.
Adolf ging gegen eine gute Summe an den jungen Herrn, der vorher seine Kaufabsichten geäußert hatte, und die anderen Diener St. Clares kamen an verschiedene Käufer.
»Los, rauf mit dir, Bursche, hörst du nicht?« sagte der Versteigerer zu Tom.
Tom bestieg den Block, warf ängstliche Blicke um sich; alles ging in einem allgemeinen Lärm unter — der Verkäufer ratterte seine Vorzüge Englisch und Französisch herunter, die Angebote knallten wie Raketen auf französisch und englisch zurück. Fast im selben Moment schlug dumpf der Hammer zum drittenmal auf, und hell erklang die letzte Silbe des Wortes >Dollars<, als der Versteigerer seinen Preis verkündete und Tom übereignet wurde. Er hatte wieder einen Herrn!
Man stieß ihn vom Block herunter; der stämmige, stierköpfige Mann packte ihn grob bei der Schulter, puffte ihn zur Seite und sagte mit rauher Stimme: »Da stell dich hin!«
Tom wußte kaum, wie ihm geschah; aber noch ging die Versteigerung weiter — ratternd, knallend, bald auf französisch, bald auf englisch. Der Hammer fällt herunter, und Susan ist verkauft. Sie steigt vom Block herab, hält inne und blickt sich sehnsüchtig um; ihre Tochter streckt die Arme nach ihr aus. In Todesangst blickt sie dem Mann entgegen, der sie kaufte — ein achtbarer Mann in mittleren Jahren, der ein wohlwollendes Gesicht hatte.
»Oh, Herr, bitte kaufen Sie doch meine Tochter!«
»Das tät ich gern, aber ich fürchte, das geht über meine Verhältnisse«, sagte der Herr und sah mitleidig zu, wie das junge Mädchen den Block bestieg und mit erschrockenen und ängstlichen Blicken um sich sah.
Das Blut steigt ihr siedendheiß in die sonst farblosen Wangen, ihre Augen haben ein fiebriges Feuer, und ihre Mutter bemerkt aufstöhnend, daß sie hübscher ist als je zuvor. Der Versteigerer nimmt seinen Vorteil wahr und preist ihre Vorzüge in wortreichem Kauderwelsch von Französisch und Englisch.
»Ich will tun, was in meinen Kräften steht«, sagte der wohlwollende Herr, drängte sich heran und beteiligte sich am Bieten. Aber schon in wenigen Augenblicken übersteigen die Angebote seine Geldbörse. Er verstummt; der Versteigerer erhitzt sich, aber die Angebote lassen nach. Es geht jetzt zwischen einem aristokratischen alten Bürger und unserem stiernackigen Bekannten hin und her. Der alte Aristokrat bietet noch ein paarmal, seinen Gegner mit verächtlichen Blicken messend; aber der Wirrkopf ist ihm überlegen, sowohl in der Hartnäckigkeit wie in der Ausdauer seiner Geldbörse, der Wettstreit dauert nicht lange. Der Hammer fällt, und ihm gehört das junge Mädchen mit Leib und Seele, wenn Gott ihr nicht beisteht.
Ihr Herr ist Mr. Legree, Besitzer einer großen Baumwollplantage am Red River. Sie wird zu Tom und noch zwei anderen Leuten abgeschoben und geht weinend mit.
Dem wohlwollenden Herrn tut es leid, aber schließlich passiert das alle Tage! Immer sieht man Mütter und Töchter bei diesen Verkäufen in Tränen ausbrechen. Das ist nicht zu ändern, und er geht mit seiner Neuerwerbung in anderer Richtung davon.
30. Kapitel
Die Überfahrt
Tom saß, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem unteren Verdeck eines kleinen, elenden Dampfers auf dem Red River, aber schwerer als die Ketten bedrückte ihn der Stein auf seinem Herzen. An seinem Himmel war alles untergegangen — Mond und Sterne; alles war an ihm vorübergeglitten, genau wie die Bäume am Ufer vorübergleiten, um niemals wiederzukehren. Die Heimat in Kentucky mit Weib und Kindern und der nachsichtigen Herrschaft; das Heim St. Clares mit Glanz und Luxus; Evas goldenes Köpfchen mit den Augen einer Heiligen; der stolze, heitere, schöne, scheinbar so sorglose, immer freundliche St. Clare; die Stunden der Muße und Entspannung — alles dahin! Und was blieb ihm statt dessen?
Es gehört zu den unerbittlichen Seiten des Sklavenschicksals, daß der Neger, anpassungsfähig und schmiegsam wie er ist, sich wohl in einer gebildeten Familie Geschmack und Gefühle aneignen kann, die dort die Atmosphäre bestimmen, dann aber erbarmungslos zum Leibsklaven des gemeinsten und brutalsten Herrn herabsinken kann — genau wie ein Stuhl oder Tisch, die einst ein prächtiges Lokal zierten, zuletzt verschrammt und angeschlagen ihren Platz in der Wirtsstube einer schmutzigen Kneipe oder sonst einer Stätte gemeiner Vergnügungen finden. Der große Unterschied besteht nur darin, daß Stuhl und Tisch keine Gefühle haben, wohl aber der Mensch, denn selbst eine gesetzliche Bestimmung, daß er >wie persönliches Eigentum zu behandeln und vor Gesetz anzusehen ist<, kann seine Seele nicht ausmerzen, die ihr eigenes kleines Reich an Erinnerungen, Hoffnungen, Neigungen, Ängsten und Wünschen besitzt.
Mr. Simon Legree, Toms Herr, hatte seine Sklaven auf verschiedenen Märkten zusammengekauft, bis er sie, acht an der Zahl, mit Handschellen, paarweise zu dem Dampfer >Privat< hinuntertrieb, der dort abfahrbereit für die Reise den Red River hinauf vor Anker lag.
Nachdem der Dampfer abgefahren und alle einigermaßen untergebracht waren, machte er im Vollgefühl seiner Tüchtigkeit, was charakteristisch für ihn war, die Runde, um alle nochmals in Augenschein zu nehmen. Er blieb vor Tom stehen, der zum Verkauf seinen besten Tuchanzug mit wohlgestärktem Hemd und blitzblanken Stiefeln angelegt hatte, und sprach ihn folgendermaßen an:
»Steh auf!«
Tom stand auf.
»Nimm die Halsbinde ab!« Und als Tom, behindert durch seine Fesseln, es versuchte, half er ihm, indem er sie ihm unsanft vom Hals riß und sich in die Tasche steckte.
Dann wandte er sich Toms Koffer zu, den er schon vorher durchstöbert hatte, entnahm ihm eine alte Hose und einen geflickten Rock, den Tom bei der Stallarbeit getragen, befreite Tom von seinen Handschellen und zeigte auf die Nische zwischen den Kisten:
»Geh dahin und zieh dich um.«
Tom gehorchte und kehrte in wenigen Minuten zurück.
»Zieh deine Stiefel aus«, sagte Mr. Legree.
Tom tat es.
»Da«, sagte der andere und warf ihm ein Paar grobe Schuhe hin, wie sie Sklaven gewöhnlich tragen, »zieh diese an.«
Bei dem eiligen Kleiderwechsel hatte Tom nicht vergessen, seine vielgeliebte Bibel in die andere Tasche zu stecken. Darin hatte er weise gehandelt, denn kaum hatte Mr. Legree Tom die Handschellen wieder angelegt, als er sich an eine genaue Durchsuchung der Taschen machte. Er zog ein kleines seidenes Taschentuch hervor und steckte es in die eigene Tasche. Einige Kleinigkeiten, die Tom besonders gehütet hatte, weil Eva einst über sie gelacht, betrachtete er mit verächtlichem Brummen und warf sie über die Schulter in den Fluß.
Toms Gesangbuch, das er in der Eile vergessen, nahm er auf und durchblätterte es.
»Hu, riecht nach Frömmigkeit. Du gehörst zur Kirche, wie?«
»Ja, Herr«, sagte Tom fest.
»Na, das werde ich dir bald austreiben. Bei mir dulde ich keinen von den jaulenden, betenden und singenden Niggers; richte dich danach. Also nimm dich in acht!« sagte er aufstampfend und warf Tom einen stechenden Blick aus seinen grauen Augen zu. »Ich bin jetzt deine Kirche! Verstehst du — du hast so zu sein, wie ich es sage!«
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