»Habt ihr Angst, aus der Stadt vertrieben zu werden, weil du deinen Schmuck bei dir trägst?«, fragte sie besorgt. »Dann solltest du aber darauf achten, dass er beim Gehen nicht klirrt. Oder willst du die Leute darauf aufmerksam machen, was du unter deinem Kleid verbirgst?«
Mirjam hob erschrocken ihre Schürze und betastete den Rock.
Nun vernahm sie es ebenfalls. »Du hast gute Ohren, Lea. Mir ist nichts aufgefallen. Aber keine Sorge, es wird schon nichts passieren. Ich bin nur etwas nervös und habe deswegen meine Sachen an mich genommen. Schau, unsere Sippe lebt schon seit mehr als zweihundert Jahren in Sarningen, und außer einem Mord an einem ortsfremden Juden ist hier noch nie etwas vorgefallen.«
Zu Hause hatte Lea etwas ganz anderes gehört, aber da die Kritik ihres Vaters noch an ihr nagte, nahm sie Mirjams Erklärung mit einem skeptischen Nicken zur Kenntnis. »Bestimmt hast du Recht. Aber habt ihr denn schon herausgefunden, was die Christen so gegen euch aufgebracht hat?«
Mirjam zuckte hilflos mit den Achseln. »Esra ist schon beim kaiserlichen Vogt vorstellig geworden, doch Rittlage hat ihn ausgelacht und gesagt, ein paar unserer Schuldner hätten im Wirtshaus Drohungen gegen uns ausgestoßen. Wir müssten uns jedoch keine Sorgen machen, denn mit betrunkenem Kopf redeten die Leute halt viel dummes Zeug.«
»Sie tun auch viel, wenn sie betrunken sind, und kennen dann kein Maß und keine Hemmungen.« Leas Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
Miriam winkte ab und wollte ihrer Nichte schon sagen, dass sie alles viel zu schwarz sehe, aber Lea vergaß schon wieder die ihr gebotene Zurückhaltung und ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Ich finde es jedenfalls gut, dass du deinen Schmuck bei dir trägst, denn dann kannst du auf der Stelle davonlaufen, wenn die Leute euer Viertel stürmen.«
Mirjam nickte bedrückt, Rachel aber schürzte unwillig die Lippen. »Was redest du da für dummes Zeug? Wenn uns in dieser Stadt Gefahr drohen würde, hätte Vater uns gewiss nicht hierher gebracht.«
»Das ist kein Unsinn! Ein Jude ist immer und überall in Gefahr«, fuhr Lea sie an und biss sich auf die Lippen, als sie die mitleidig-verächtlichen Mienen ihrer Schwester und ihrer Tante auf sich gerichtet sah.
Die beiden mochten die üblen Vorzeichen nicht ernst nehmen und sich in trügerischer Sicherheit wiegen, bis es zu spät war, Lea zog es jedoch vor, Augen und Ohren offen zu halten. Nicht umsonst hatte sie stundenlang mit einer der ihr verhassten Handarbeiten in einer Zimmerecke gehockt und den Lehrern zugehört, die ihr Vater für Samuel und später auch für Elieser zu Gast geladen hatte.
Auf diese Weise hatte sie nicht nur gelernt, was in der Thora stand und wie man sie auslegen musste, sondern auch viel über das Leben des jüdischen Volkes und seiner Gemeinden erfahren.
Sie lächelte ihrer Schwester besänftigend zu. »Eine gewisse Vorsicht ist für uns Juden überlebenswichtig. Wenn Onkel Esra und Tante Mirjam fliehen müssen, wird es ihnen der gerettete Schmuck ermöglichen, sich in einer anderen Stadt einzukaufen.
Ein Jude ist nämlich nur dann willkommen, wenn er zahlen kann, Bettler haben die Christen selbst genug.«
Mirjams herabgezogene Mundwinkel verrieten, wie sehr es ihr gegen den Strich ging, ihre Nichte wie einen Mann reden zu hören. »Sprechen wir von erfreulicheren Dingen, Lea. Soviel ich weiß, will dein Vater unter unseren jungen Männern einen Bräutigam für dich aussuchen.«
Lea wurde rot, aber anstatt verschämt den Blick zu senken, straffte sie die Schultern und hob das Kinn. »Davon weiß ich nichts. Vater hat nur einmal erwähnt, dass er sich bald nach einer Braut für Samuel umschauen muss.«
Mirjam hob den Zeigefinger. »Du bist schon seit fast einem Jahr heiratsmündig, und wenn dein Vater noch lange wartet, wird man sich fragen, ob mit dir etwas nicht stimmt. Aber keine Angst, wir werden schon einen geeigneten Bräutigam für dich finden.«
Man konnte ihr ansehen, dass sie die Vorzüge der jungen Männer ihrer Sippe gegeneinander abwog. »Es ist schier unmöglich, einen Mann zu finden, der nicht zu dir aufblicken muss. Aber der eine oder andere dürfte über deine Körpergröße hinwegsehen, wenn er hört, wie hoch die Mitgift ist, mit der dein Vater dich ausstatten kann.«
Mirjams skeptischer Blick strafte ihre Worte jedoch
Lügen. Lea war größer als alle Männer der Sarninger Gemeinde mit Ausnahme ihres älteren Bruders, und schon die Art, wie sie sich bewegte, deutete daraufhin, dass sie eine herrische Frau werden würde. Daher würde es trotz des Reichtums ihres Vaters schwer werden, sie zu verheiraten.
»Samuel ist ja auch recht hoch aufgeschossen, aber bei ihm mache ich mir keine Sorgen. Er ist ein hübscher junger Mann und wird als ältester Sohn und Erbe eures Vaters gewiss einmal dessen Stelle als Hoffaktor eures Herzogs einnehmen.«
»Ernst Ludwig von Hartenburg ist Markgraf, nicht Herzog, Tante.«
Mirjam hob in einer verzweifelten Geste die Hände zum Himmel. »Man merkt dir an, dass du ohne Mutter aufgewachsen bist. Dein Vater hätte sich eine zweite Frau nehmen sollen.«
Lea lachte hart auf. »Er wollte dem Markgrafen nicht das viele Geld für die Erlaubnis in den Rachen stopfen. Es wird schon teuer genug werden, uns vier zu verheiraten.«
»Du tust so klug und bist doch noch so unverständig wie ein kleines Kind. Ein Mann braucht nun einmal ein Weib, so ist es von Gott beschlossen. Eine willige Magd kann keine Ehefrau ersetzen.«
Lea wollte gegen die Unterstellung protestieren, dass es in ihrem Haushalt willige Mägde gebe. Ihr Vater war über das Alter hinaus, in dem er sich noch viel aus Frauen machte. Mit dieser Erklärung hätte sie ihn jedoch vor der Verwandten beschämt, und deswegen wechselte sie schnell das Thema.
»Lebt hier in Sarningen nicht eine junge Frau, die aus Hartenburg stammt? Sie heißt Gretchen und hat einen Sar-ninger Magistratsbeamten namens Peter Pfeiffer geheiratet.«
»Die kenne ich. Sie wohnt keinen Steinwurf von hier entfernt in einer Nebengasse. Eine der Pforten in der Mauer, die unser Viertel umgibt, führt direkt zu ihrem Haus. Was willst du von ihr?«
»Ich soll ihr Nachrichten von ihrer Familie und Grüße von ihren Verwandten überbringen. Ihre Eltern sind unsere Nachbarn und gut mit uns bekannt. Am liebsten würde ich noch heute Abend zu ihr gehen, denn man hat mich dringend um den Besuch gebeten.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Lea hatte Gretchens Mutter zwar versprochen, ihre Tochter bei Gelegenheit aufzusuchen, doch sie hatte ihr erst Botschaft schicken und anfragen wollen, ob sie in ihrem Haus willkommen war. Die christliche Familie, in die Gretchen eingeheiratet hatte, war möglicherweise nicht bereit, eine Jüdin über ihre Schwelle treten zu lassen. Jetzt aber bot Lea der Besuch bei Gretchen eine Chance, für eine Weile der Tante und deren Heiratsplänen zu entkommen. Am nächsten Morgen, das nahm sie sich fest vor, würde sie ihren Vater fragen, ob er sie tatsächlich hier in Sarningen an den Nächstbesten verschachern wollte, der an ihrer Mitgift interessiert war.
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