Ein Jude ist nämlich nur dann willkommen, wenn er zahlen kann, Bettler haben die Christen selbst genug.«
Mirjams herabgezogene Mundwinkel verrieten, wie sehr es ihr gegen den Strich ging, ihre Nichte wie einen Mann reden zu hören. »Sprechen wir von erfreulicheren Dingen, Lea. Soviel ich weiß, will dein Vater unter unseren jungen Männern einen Bräutigam für dich aussuchen.«
Lea wurde rot, aber anstatt verschämt den Blick zu senken, straffte sie die Schultern und hob das Kinn. »Davon weiß ich nichts. Vater hat nur einmal erwähnt, dass er sich bald nach einer Braut für Samuel umschauen muss.«
Mirjam hob den Zeigefinger. »Du bist schon seit fast einem Jahr heiratsmündig, und wenn dein Vater noch lange wartet, wird man sich fragen, ob mit dir etwas nicht stimmt. Aber keine Angst, wir werden schon einen geeigneten Bräutigam für dich finden.«
Man konnte ihr ansehen, dass sie die Vorzüge der jungen Männer ihrer Sippe gegeneinander abwog. »Es ist schier unmöglich, einen Mann zu finden, der nicht zu dir aufblicken muss. Aber der eine oder andere dürfte über deine Körpergröße hinwegsehen, wenn er hört, wie hoch die Mitgift ist, mit der dein Vater dich ausstatten kann.«
Mirjams skeptischer Blick strafte ihre Worte jedoch
Lügen. Lea war größer als alle Männer der Sarninger Gemeinde mit Ausnahme ihres älteren Bruders, und schon die Art, wie sie sich bewegte, deutete daraufhin, dass sie eine herrische Frau werden würde. Daher würde es trotz des Reichtums ihres Vaters schwer werden, sie zu verheiraten.
»Samuel ist ja auch recht hoch aufgeschossen, aber bei ihm mache ich mir keine Sorgen. Er ist ein hübscher junger Mann und wird als ältester Sohn und Erbe eures Vaters gewiss einmal dessen Stelle als Hoffaktor eures Herzogs einnehmen.«
»Ernst Ludwig von Hartenburg ist Markgraf, nicht Herzog, Tante.«
Mirjam hob in einer verzweifelten Geste die Hände zum Himmel. »Man merkt dir an, dass du ohne Mutter aufgewachsen bist. Dein Vater hätte sich eine zweite Frau nehmen sollen.«
Lea lachte hart auf. »Er wollte dem Markgrafen nicht das viele Geld für die Erlaubnis in den Rachen stopfen. Es wird schon teuer genug werden, uns vier zu verheiraten.«
»Du tust so klug und bist doch noch so unverständig wie ein kleines Kind. Ein Mann braucht nun einmal ein Weib, so ist es von Gott beschlossen. Eine willige Magd kann keine Ehefrau ersetzen.«
Lea wollte gegen die Unterstellung protestieren, dass es in ihrem Haushalt willige Mägde gebe. Ihr Vater war über das Alter hinaus, in dem er sich noch viel aus Frauen machte. Mit dieser Erklärung hätte sie ihn jedoch vor der Verwandten beschämt, und deswegen wechselte sie schnell das Thema.
»Lebt hier in Sarningen nicht eine junge Frau, die aus Hartenburg stammt? Sie heißt Gretchen und hat einen Sar-ninger Magistratsbeamten namens Peter Pfeiffer geheiratet.«
»Die kenne ich. Sie wohnt keinen Steinwurf von hier entfernt in einer Nebengasse. Eine der Pforten in der Mauer, die unser Viertel umgibt, führt direkt zu ihrem Haus. Was willst du von ihr?«
»Ich soll ihr Nachrichten von ihrer Familie und Grüße von ihren Verwandten überbringen. Ihre Eltern sind unsere Nachbarn und gut mit uns bekannt. Am liebsten würde ich noch heute Abend zu ihr gehen, denn man hat mich dringend um den Besuch gebeten.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Lea hatte Gretchens Mutter zwar versprochen, ihre Tochter bei Gelegenheit aufzusuchen, doch sie hatte ihr erst Botschaft schicken und anfragen wollen, ob sie in ihrem Haus willkommen war. Die christliche Familie, in die Gretchen eingeheiratet hatte, war möglicherweise nicht bereit, eine Jüdin über ihre Schwelle treten zu lassen. Jetzt aber bot Lea der Besuch bei Gretchen eine Chance, für eine Weile der Tante und deren Heiratsplänen zu entkommen. Am nächsten Morgen, das nahm sie sich fest vor, würde sie ihren Vater fragen, ob er sie tatsächlich hier in Sarningen an den Nächstbesten verschachern wollte, der an ihrer Mitgift interessiert war.
Lea war sich sicher, dass Gretchen im Gegensatz zu ihrer Tante Verständnis für sie haben würde, denn sie war mit ihr und ihrer Familie immer gut ausgekommen, besser sogar, als es den christlichen Predigern in Hartenburg gefallen hatte. Ihr Vater hatte seinen Nachbarn mit einem großzügigen Kredit vor dem Schuldturm bewahrt und ihm später Gretchens Mitgift vorgestreckt, damit sie den jungen Peter Pfeiffer heiraten konnte. Deswegen hoffte Lea, Gretchens Familie würde ihr einen Schwatz mit ihrer Freundin erlauben, bei dem sie den unangenehmen Empfang in Sarningen für eine Weile vergessen konnte.
Sie blickte durch das winzige Fenster ins Freie und sah, dass die Sonne nur noch eine Handbreit über den Dä-chern der umliegenden Häuser stand. »Wenn du nichts dagegen hast, werde ich jetzt gleich zu Gretchen hinübergehen, Tante.«
»Ich komme mit.« Rachels Gesicht zeigte deutlich, dass sie keine Lust hatte, allein der Neugier und der nörgelnden Art ihrer Tante ausgesetzt zu sein.
Mirjam überlegte kurz und nickte dann. »Geht ruhig. Noomi wird euch hinauslassen. Ich bereite unterdessen das Abendessen vor.« Sie rief nach ihrer Tochter, die schon fleißig in der Küche werkelte, und wies sie an, Lea und Rachel zur westlichen Pforte zu bringen.
Noomi war ein mageres Mädchen in Rachels Alter, das sich nervös die Hände an der Schürze abtrocknete und seine Mutter kaum anzusehen wagte. »Soll ich auf sie warten?«
»Das ist nicht nötig. Wenn Lea laut genug gegen die Pforte klopft, hört sie schon jemand und macht ihr auf.«
Als sie durch den Hintereingang des Hauses ins Freie traten, blickte Noomi Lea besorgt an. »Wollt ihr wirklich in die Stadt hinaus? Bei der schlechten Stimmung unter den Christen würde ich mich nicht aus dem Viertel hinauswagen.«
Lea winkte ab. »Mach dir um uns keine Sorgen. Bei Gretchen Pfeifferin wird uns nichts zustoßen, denn sie ist unsere Freundin.«
Sie hatte keine Lust, ihrer verhuschten Base zu erklären, dass sie den Besuch auch dazu nutzen wollte, von Gretchen etwas über den wahren Grund für die aggressive Spannung in der Stadt zu erfahren. Daher lächelte sie ihr nur aufmunternd zu und folgte ihr mit Rachel durch eine Reihe winziger, aber liebevoll gepflegter Gärten, die die Juden direkt hinter ihren Häusern angelegt hatten, bis zu einer ungewöhnlich stabil wirkenden Pforte aus eisenbeschlagenen Eichenbohlen.
Noomi bemerkte Leas Stirnrunzeln und deutete auf die massiven Türangeln. »Mein Vater hat ein festeres Tor einsetzen lassen, nachdem es vor zwei Wochen schon einmal Unruhen gegeben hat. Damals haben ein paar böse Menschen behauptet, unsere Brüder in Mainz hätten ein Christenkind geschlachtet und sein Blut getrunken, und den Leuten hier weisgemacht, wir würden auch so etwas tun.«
Lea zog unbehaglich die Schultern hoch. »Auf diese Weise haben schon etliche Massaker an unserem Volk ihren Anfang genommen.«
Noomi hob beschwichtigend die Hand. »Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Die Leute haben nur herumgeschrien und Steine gegen unsere Mauer geworfen, aber als Alban von Rittlage seine Soldaten aufmarschieren ließ, haben sie sich sofort wieder beruhigt. Der Kaiser hat ihn hier eingesetzt, damit er in unserer Stadt für Recht und Ordnung sorgt, und er wird uns auch morgen beschützen, das hat er meinem Vater ausdrücklich versichert. Also lasst euch nicht von Mama erschrecken. Sie hat sich die Gehässigkeit der Leute zu Herzen genommen und hält es für ihre Pflicht, auf alles vorbereitet zu sein. In unserem Viertel kann uns jedoch nichts passieren.«
Lea ließ sich von der Zuversicht ihrer Base anstecken und stieß ihre Anspannung mit einem Seufzer aus. Von ihrem Bruder Samuel, der immer auf ihre Fragen einging und ihr viel erzählte, wusste sie, dass Kaiser Friedrich III. den Juden wohl gesonnen war und sie unter seinen Schutz gestellt hatte. Des Kaisers Wort mochte in einer Herrschaft wie Hartenburg nicht viel gelten, doch in einer freien Reichsstadt wie Sarningen besaß es großes Gewicht. Wahrscheinlich waren die Leute nur deshalb so unfreundlich, weil der Zinstag so knapp auf das dumme Gerede von einem ermordeten Christenkind folgte. Noo-mi zog den Riegel zurück und öffnete die Pforte. »Dort drüben ist das Haus der Familie Pfeiffer.«
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