Julius stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, was an den Flanken vorging. Im Kampf gegen einen so übermächtigen Feind musste die Kavallerie eine Umzingelung vermeiden. Bei dem Anblick der leicht gebogenen Frontlinie von Spartacus’ Armee blitzte in Julius’ Kopf eine Erinnerung auf, an ein weit entferntes Schulzimmer und eine Lektion über die Kriege des Alexander. So groß die römische Armee auch war, sie konnte geschluckt und vernichtet werden, wenn die Flanken nicht stark blieben.
Noch während er hinschaute, spürte er eine Veränderung auf der linken Seite. Er sah, wie die Frontlinie auf der Höhe von Lepidus’ Legion einknickte und der Feind sofort in die Bresche strömte. Es war zu weit weg, um Einzelheiten zu erkennen, und als Julius gemeinsam mit Brutus voranschritt, geriet ihm das Bild wieder aus den Augen. Er fluchte.
»Brutus, kannst du Lepidus sehen? Sie brechen dort drüben durch. Kannst du erkennen, ob die Front hält?«
Brutus reckte sich so hoch auf wie möglich.
»Die Reihen sind gesprengt worden«, sagte er voller Entsetzen. »Bei allen Göttern… ich glaube, die machen kehrt!«
Julius wäre beinahe in den Mann vor ihm hineingestolpert, als dieser einen kürzeren Schritt machte. Er schaute auf die vier Reihen vor sich. Dort mähten die Triarii die Sklaven nieder und sahen nicht so aus, als würden sie irgendwann müde werden. Seine Gedanken rasten, und Angst befiel ihn. Wenn er die Primigenia nach links führte, um dort zu Hilfe zu eilen, wie er es Pompeius versprochen hatte, ließ er die Triarii schutzlos zurück. Wenn deren Reihe ausgedünnt oder niedergemacht wurde, fehlte die Verstärkung, mit der sie rechneten, und die Sklaven konnten in eine zweite Lücke eindringen, die Römer in Inseln aufspalten, die nach und nach immer kleiner gehauen würden.
Noch während er zögerte, sah er, wie die linke Flanke in sich zusammenfiel, als die Bresche breiter wurde und einige von Lepidus’ Männern sich vom Feind abwandten und die Flucht ergriffen. So etwas würde sich wie die Pest ausbreiten, denn die Fliehenden steckten die Reihen hinter ihnen mit ihrer Feigheit an. Julius traf seine Entscheidung.
»Primigenia! Säge nach links in die Flanke!« Wie zuvor wiederholte er den Befehl zweimal, und die vordersten Reihen hörten ihn, konnten jedoch nicht umkehren. Sie wussten, dass niemand hinter ihnen war, um sie zu decken, und sie deshalb umso entschlossener kämpfen mussten, solange sie verwundbar waren.
Die Primigenia bewegte sich rasch quer zur Angriffslinie, einige stießen Männer gegen Soldaten, die den Befehl nicht gehört hatten. Es war ein gefährliches Manöver, so mitten in der Schlacht, aber Julius wusste, dass er seine Männer einsetzen musste, um die Legion des Lepidus zu unterstützen, bevor die gesamte Flanke einbrach. Er rannte mit den anderen durch die Reihen, sprang über Leichen hinweg und rief unablässig Befehle, um seine Männer dicht bei sich und in Bewegung zu behalten. Im besten Falle blieben ihm ein paar Sekunden, um eine wilde Flucht und damit eine Niederlage zu verhindern.
Brutus kam als Erster an und rannte absichtlich einen fliehenden Legionär mit seinem Schild um. Julius und Ciro stellten sich ihm zur Seite, und gemeinsam bildeten sie den Kern, um den sich die Primigenia formierte, eine Mauer aus grimmigen Legionären, an denen die flüchtenden Römer vorbeimussten, um sich davonzumachen. Renius war im Gedränge verschwunden, war durch Hunderte wartender Soldaten von ihnen getrennt.
»Schwerter vor!«, brüllte Julius, das Gesicht zu einer animalischen Fratze verzogen. »Kein Soldat kommt an dieser Linie vorbei! Zeigt diesem Lepidus, wer wir sind! «
Der Schwarm haltlos davonhastender Männer kam zum Halten, als sich die Reihen der Primigenia vor ihnen aufbauten und ihren Rückzug blockierten. Das Leuchten der Panik verschwand aus ihren Augen, als sie die Schwerter sahen, die bereit waren, sie niederzuhauen. Es bestand kein Zweifel, dass sie eingesetzt werden würden. Die Männer der Primigenia wussten ebenso gut wie Julius, dass sie alle sterben würden, wenn die Legion des Lepidus vor der Flanke der Sklaven einknickte. Sie würden einfach überrannt werden.
Innerhalb weniger Augenblicke war so etwas wie eine Schlachtordnung in Lepidus’ kopflosen Haufen gebracht worden. Die Zenturios und Optios setzten die flachen Seiten ihrer Schwerter und ihre dicken Eichenstöcke ein, um ihre Soldaten wieder in Formation zu bringen. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen.
Die Sklavenarmee hatte die Schwäche gespürt, Befehle wurden geschrieen, die Hunderte der Angreifer in die Lücke schickten, um sie zu vergrößern. Julius wusste nicht, ob er wieder durch die Reihen zurückeilen und die von der Primigenia gerissene Lücke schließen oder hier die Stellung halten sollte, falls Lepidus’ Männer noch einmal einbrachen. Er wusste, dass sie noch immer nicht gefestigt waren, die entsetzten Soldaten bekamen die Todesangst, die sie schon einmal erfasst hatte, nur schwer unter Kontrolle. Beim zweiten Mal würde es einfacher sein.
»Julius?«, fragte Brutus, der auf einen Befehl wartete.
Julius warf seinem Freund einen Blick zu und sah seine Entschlossenheit. Es gab keine Wahl. Sie mussten selbst die Front übernehmen und beten, dass Lepidus’ Männer nicht hinter ihrem Rücken das Weite suchten.
»Primigenia! Vorwärts an die Front!«, rief er, und die siebenhundert Mann unter seinem Kommando setzten sich in perfekter Formation in Bewegung.
Die letzten von Lepidus’ Männern drehten sich um, um vor den Sklaven davonzulaufen, aber die Primigenia schlug sie nieder, bevor sie die Panik nach hinten tragen konnten. Sie gingen mit unbarmherziger Gründlichkeit vor, die den Sklaven, die den errungenen Vorteil eilig ausnutzen wollten, eine Lehre sein sollte.
Die Schilder der Primigenia krachten in die Bresche, und die Schwerter hoben und senkten sich, so rasch es ging, denn jeder Mann opferte die Umsicht der Schnelligkeit. Sie trampelten über die Verwundeten, ließen sie schreiend und oft noch lebendig zurück, doch die Primigenia schritt mit einer solchen Geschwindigkeit voran, dass sie Gefahr lief, die gesamte restliche Frontreihe hinter sich zu lassen und abgeschnitten zu werden. Renius erkannte dies sofort und begradigte die Linie mit rau gebrüllten Befehlen.
Julius kämpfte wie im Rausch. Sein Arm schmerzte, und von seinem Handgelenk zog sich eine lange Wunde in einer roten Linie fast bis zur Schulter. Dort war eine Klinge entlanggeschrammt, bevor er ihren Besitzer getötet hatte. Ein kräftiger Sklave in römischer Rüstung sprang auf ihn zu, wurde jedoch von den Beinen gerissen, als Renius neben Julius auftauchte und den Sklaven mit einem Stich in einer Lücke des Panzers durchbohrte.
Julius tötete den nächsten Mann, der ihm entgegenkam. Jetzt war er für die Tausenden von Übungsstunden dankbar, die seine Bewegungen lenkten, ehe er darüber nachdenken konnte. Er trat neben den äußeren Mann und stieß ihn in die anderen, verzichtete darauf, ihn zu töten, weil er lieber Verwirrung stiften wollte. Der Mann stolperte dem zweiten in den Weg, und Julius riss ihm mit einem raschen Stoß von der Seite die Kehle heraus, setzte dann über den fallenden Körper hinweg, um seinen Gladius in die keuchende Brust des Mittleren zu bohren. Die Klinge verkeilte sich zwischen den Rippen, und beinahe hätte er wütend aufgeschrieen, als seine Hand von dem blutigen Griff abrutschte und er einen Augenblick lang unbewaffnet dastand.
Der dritte Mann, der sich ihm entgegenwarf, schlug mit einem Legionärsgladius in einem Kreisschlag auf halber Höhe nach ihm, und Julius musste sich flach auf den Boden werfen, um der Klinge auszuweichen. Panik stieg in ihm auf, da er erwartete, dass das Metall in ihn eindrang und sein Blut sich mit dem glitschigen Matsch unter ihm vermengte. Der Mann starb mit Ciros Schwert im Mund, und Julius griff nach seinem eigenen Schwert, zog eine Leiche davon herunter und riss es unter lautem Knacken brechender Knochen los.
Читать дальше