Graf Crevecoeur beurlaubte sich, und kurz darauf konnte man das Geräusch der Schildwachen vernehmen, die auf ihre Posten zogen. Endlich war alles still, so daß nur das leise Gemurmel der unter den Mauern des Schlosses träge schleichenden Somme zu hören war.»Geht in die Halle, Freunde, «sagte Ludwig zu seinem Gefolge,»aber legt euch nicht zum Schlafe nieder. Haltet euch bereit, denn es gibt heute nacht noch Arbeit für euch, und zwar augenblicklich!«Oliver und Tristan zogen sich demzufolge in die Halle zurück, wo Balafré mit den beiden Unterbeamten des Generalprofoßen geblieben war, hüllten sich in ihre Mäntel und warfen sich auf die Dielen. Mittlerweile empfand ihr Gebieter in der Abgeschiedenheit seines einsamen Schlafgemachs Qualen, die man als Strafe für all das Ungemach ansehen konnte, das er anderen so oft schon zugefügt hatte. Mit kurzen, ungleichen Schlitten wandelte er in dem Zimmer auf und nieder, stand oft still, schlug die Hände zusammen und gab sich einer Gemütsstimmung hin, die er vor den Augen der Welt meisterhaft zu verbergen gewußt hatte. Endlich blieb er, die Hände ringend, vor dem Pförtchen stehen, das ihm der alte Mornay als Eingang zu dem Schauplatz der Ermordung eines seiner Vorfahren bezeichnet hatte, und machte allmählich seinen Empfindungen in einem abgebrochenen Selbstgespräche Luft…»Karl der Einfältige! — Karl der Einfältige! — Wie wird die Nachwelt Ludwig XI. nennen, dessen Blut wahrscheinlich die Flecken des seinigen auffrischen wird? Ludwig der Tor — der Alberne — Ludwig der Betörte — alles Ausdrücke, noch viel zu schwach, meine grenzenlose Dummheit zu bezeichnen! — Dieser Blödsinn, die hitzköpfigen Lütticher, denen Empörung so notwendig ist als das tägliche Brot, würden ruhig bleiben; — dieser Irrwahn, das wilde Tier der Ardennen lasse sich auch nur einen Augenblick in seiner viehischen Mordlust hemmen — diese Narretei, bei Karl von Burgund würden irgend einmal Gründe der Vernunft und Klugheit anschlagen, dreifacher Tor, der ich war! — Aber der niederträchtige Martius soll mir nicht entschlüpfen! — Er ist an allem schuld — er und der schändliche Priester, der verabscheuungswürdige Balue! Sollt ich je wieder dieser Gefahr entkommen, so will ich ihm den Kardinalshut vom Kopfe reißen, und sollt' auch das Gehirn dran hängen bleiben! Allein den andern Verräter hab ich in den Händen. — Noch bin ich König genug, um an einem Quacksalber, einem lügenhaften Sterngucker, einem schändlichen Betrüger Strafe zu nehmen, der mich mit einemmal zum Narren und zum Gefangenen gemacht hat! Die Konjunktur der Konstellationen — ja, die Konjunktur! Unsinn schwatzt er, der kaum einen dreifach gesottenen Schafskopf hinters Licht geführt hätte, und ich muß Narr genug sein, mir einzubilden, ich verstände ihn! Allein wir wollen bald sehen, was die Konjunktur der Konstellationen wirklich bedeutet! — Doch zuvor muß ich meine Andacht verrichten. «Ueber der kleinen Tür befand sich, vielleicht zur Buße der Untat, die hinter ihr verübt worden, eine kleine Nische, in der ein in Stein gehauenes Kruzifix angebracht war. Auf dieses Bild heftete der König sein Auge, wie wenn er niederknien wollte; aber plötzlich hielt er inne, als hielte er es für unbesonnen, sich dem Bilde zu nähern, ehe er sich der Fürsprache irgend eines ihm günstigen Heiligen versichert hätte, wandte sich von dem Kruzifix ab und wählte von den Bildern um seinen Hut das der heiligen Jungfrau von Clery aus, kniete vor ihm nieder und betete:»Süße Frau Clery! gebenedeite Mutter der Gnaden, die Du allmächtig bist mit dem Allmächtigen, habe Mitleid mit mir armen Sünder! Zwar hab ich Dich oft verabsäumt über Deiner gebenedeiten Schwester von Embrun; allein ich bin der König, — meine Macht ist groß, mein Reichtum unermeßlich. Wäre es auch anders, eher würde ich meinen Untertanen doppelte Kopfsteuer auflegen, als daß ich Euch beiden meine Schuld nicht abtragen sollte. Zerbrich diese eisernen Türen — fülle sie aus, diese furchtbaren Gräben und leite mich, wie eine Mutter ihr Kind leitet, aus dieser drohenden Gefahr! Hab ich Deiner Schwester den Oberbefehl über meine Garden gegeben, so soll die große, reiche Provinz Champagne Dein sein, und ihre Weinberge sollen ihren Ueberfluß in Deine Klöster ergießen. Zwar hatte ich die Champagne meinem Bruder Karl versprochen; aber der ist, wie Du weißt, jetzt tot — vergiftet von dem schändlichen Abte von Angely, den ich, wenn ich das Leben behalte, zur Strafe ziehen will! Ich versprach Dir dies schon einmal, aber diesmal will ich gewiß Wort halten. Wenn ich Kenntnis von diesem Verbrechen hatte, so glaube, teuerste Schutzfrau, daß es bloß deshalb verübt wurde, weil ich keine bessere Art und Weise kannte, die Unruhen in meinem Reiche zu dämpfen. Rechne mir also die alte Schuld nicht heute zu, sondern sei, wie Du immer warst, mild, wohlwollend und zur Versöhnung geneigt. Süßeste Frau, bitte für mich bei Deinem Sohne, daß er mir alle vergangenen Sünden vergebe, und eine — eine kleine Tat, die ich diese Nacht noch begehen muß — eine Sünde ist es nicht, teuerste Frau von Clery, — keine Sünde, sondern eine im stillen vollzogene Handlung der Gerechtigkeit; denn der Bösewicht ist der größte Betrüger, der je einem Fürsten Falschheit ins Ohr geflüstert hat. Er ist Deines Schutzes nicht würdig; denn er ist ein Heide! überlaß ihn mir und betrachte das, was ich vor habe, als ein gutes Werk. Sieh! Hier knüpf ich mein königliches Siegel an Dein Bild, zum Zeichen, daß ich betreffs der Grafschaft Champagne Wort halten werde, und daß ich Dich wegen einer Blutschuld nie wieder angehen will, da ich weiß, daß Du ein so mildes, sanftes und weiches Herz hast.«
Als der König solchermaßen sein Gewissen erleichtert oder vielmehr gleich einem Grabe übertüncht hatte, steckte er seinen Kopf zur Tür hinaus und rief Balafré ins Zimmer.»Mein wackrer Krieger, «sagte er,»Du hast mir lange gedient und Du bist nur wenig befördert worden. Heute handelt es sich hier für mich um Leben und Tod; aber ich möchte doch nicht gern als Undankbarer sterben und einen Freund unbelohnt, wie einen Feind ungestraft zurücklassen. Nun habe ich einen Freund zu belohnen — und das bist Du — und einen Feind gebührendermaßen zu züchtigen, und das ist der schändliche, verräterische Martius Galeotti, der mich durch seine Betrügereien und Vorspiegelungen hierher in die Gewalt meines Todfeindes gebracht hat, mit dem festen Vorsatze, mich zu verderben, wie ein Fleischer ein Stück Vieh zur Schlachtbank treibt.«—»Dafür will ich ihn zum Zweikampf herausfordern, «versetzte Balafré,»und Ihr sollt sehen, wie ich für Euer Recht fechten und an diesem Philosophen Rache nehmen will.«—»Ich lobe Deine Tapferkeit und Dienstergebenheit, «sagte der König,»aber dieser verräterische Bube weiß auch die Waffen gut zu führen, und ich möchte nicht gern Dein Leben aufs Spiel setzen, tapferer Krieger.«—»Mit Ew. Majestät Erlaubnis, ich wäre wohl kaum ein tapferer Krieger, «sagte Balafré,»wenn ich nicht wagte, es mit einem Manne, wie diesem, aufzunehmen.«—»Und dennoch, «sagte der König,»ist es nicht unser Wille, Dich einer Gefahr auszusetzen. Der Verräter kommt auf unsern Befehl hierher. Wir wünschen, daß Du, sobald Du Gelegenheit finden kannst, Dich an ihn machst und ihm eins unter die fünfte Rippe versetzest. — Verstehst Du mich?«—»Wohl versteh ich Euch, «antwortete Balafré;»aber mit Ew. Majestät Erlaubnis, auf solche Sache verstehe ich mich gar nicht. Ich könnte keinen Hund töten, der mich nicht selbst angefallen hätte.«—»Du wirst doch nicht auf Zartgefühl Anspruch machen?«sagte der König;»nachdem Du bei Sturm und Belagerung immer der erste gewesen?«
«Gnädigster Herr, «antwortete Balafre,»nie habe ich, das Schwert in der Hand, Eure Feinde gescheut noch geschont. Ein Sturm ist ein verzweifelt Ding und bringt Gefahren mit sich, die einem das Blut erhitzen, daß es, beim heiligen Andreas, immer ein paar Stunden zur Abkühlung braucht. Doch Gott wird armen Soldaten gnädig sein, denen die Gefahr den Kopf verrückt, und die dann der Sieg vollends gar von Sinnen bringt. Allein was Ew. Majestät verlangt, liegt außer meinem Wege; drum laßt den Sterndeuter, wenn er ein Verräter ist, den Tod eines Verräters sterben — aber damit mag ich nichts zu tun haben. Ew. Majestät hat hierfür den Generalprofoß, der taugt besser dazu, diese Sache abzumachen, als ein schottischer Edelmann von meiner Herkunft.«—»Du hast recht, «sagte der König,»laß das also ruhen. Sobald aber hinter Galeotti sich die Tür geschlossen hat, so trittst Du unter Waffen und bewachst den Eingang des Zimmers. Laß keinen Menschen herein, — das ist alles, was ich von Dir verlange. So gehe, schicke mir den Generalprofoß.«
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