Endlich knarrte und pfiff eine Tür (denn damals drehten sich selbst in den Palästen die Türen nicht so geräuschlos, wie heutzutage), aber leider nicht von der Seite, von welcher die Laute gehört worden war. Sie öffnete sich und herein trat eine weibliche Gestalt, begleitet von zwei andern, welchen sie ein Zeichen gab, zurückzubleiben, während sie selbst weiter vor in die Halle trat. An dem wankenden, ungleichen Gang, durch den sie sich nicht zum besten ausnahm, als sie durch die lange Galerie hinschritt, erkannte Quentin sogleich die Prinzessin Johanna, und mit der ihrem Stande ziemenden Ehrfurcht stellte er sich in Positur und senkte, salutierend, sein Gewehr. Sie dankte für diese Höflichkeit durch ein huldvolles Kopfnicken, und er bekam Gelegenheit, ihr Gesicht genauer zu betrachten, als er es diesen Morgen vermocht hatte.
Es lag wenig in den Zügen dieser unglücklichen Prinzessin, das für die Mängel in Gestalt und Gang hätte entschädigen können. Ihr Gesicht war an und für sich nicht unangenehm, ermangelte aber eigentlicher Schönheit, und ein sanfter Ausdruck leidender Hingebung lag in den großen, blauen Augen, die sie gewöhnlich auf den Boden heftete. Allein außerdem hatte sie eine äußerst blasse Gesichtsfarbe, ihre Haut war von kränklichem Gelb; und obgleich ihre Zähne weiß und regelmäßig waren, so waren ihre Lippen schmal und blaß. Die Prinzessin hatte eine Fülle blonden Haars, aber von so lichter Farbe, daß es beinahe ins Bläuliche spielte; und ihre Kammerfrau, die die reichen Flechten wahrscheinlich als eine Schönheit betrachtete, hatte die Sache eben nicht dadurch besser gemacht, daß sie dieselben rund um ihr blasses Gesicht in Locken ordnete, so daß sie ihm einen beinahe geisterhaften Ausdruck gaben, Um das Ganze noch schlimmer zu machen, hatte sie ein blaßgrünes, seidenes Kleid gewählt, wodurch sie im ganzen ein unheimliches und gespensterhaftes Ansehen erhielt.
Während Quentin diese sonderbare Erscheinung mit Augen verfolgte, in denen eine Mischung von Neugier und Mitleid lag, denn jeder Blick und jede Bewegung der Prinzessin schien letztere Empfindung hervorzurufen, traten von dem obern Ende des Gemaches zwei Damen ein.
Die eine von diesen war die junge Dame, die ihn auf Ludwigs Geheiß mit Früchten bedient hatte, als Quentin sein merkwürdiges Frühstück im Gasthof» zur Lilie «einnahm. Angetan mit all der geheimnisvollen Würde, die der Nymphe vom Schleier und von der Laute gebührte, und überdies, wenigstens Quentins Ueberzeugung nach, nunmehrige hochgeborene Erbin einer reichen Grafschaft, machte sie durch ihre Schönheit einen zehnmal tieferen Eindruck auf ihn denn damals, als er in ihr noch die Tochter eines elenden Dorfwirts und die Aufwärterin eines reichen und launenvollen Bürgers erblickte. Er wunderte sich nun, durch welch einen Zauber ihm ihr wahrer Stand habe verborgen bleiben können. Ihr Anzug war beinahe so einfach, wie früher, und bestand in einem Kleide tiefer Trauer ohne allen weiteren Schmuck.
Als Kopfputz diente ihr bloß ein Kreppschleier, ganz nach hinten zurückgeschlagen, so daß man ihr Gesicht vollständig sehen konnte, und einzig die Kenntnis ihres eigentlichen Ranges war es, die Quentin in ihrer Gestalt neue Zierlichkeit, in ihrem Gange eine vorher unbeachtete Würde erblicken ließ, sowie er in der Regelmäßigkeit ihrer Züge, ihrer blendenden Gesichtsfarbe, in ihren bezaubernden Augen ein Bewußtsein eignen Adels fand, das ihre Schönheit noch zu erhöhen schien.
Und hätte Todesstrafe darauf gestanden, so hätte Durward dieser Schönheit und ihrer Begleiterin dieselbe Ehrenbezeugung erweisen müssen, die er der königlichen Prinzessin dargebracht hatte. Sie nahmen sie mit einer Miene an, als wären sie an die Unterwürfigkeit geringerer Leute gewöhnt, und erwiderten sie mit Artigkeit; allein er glaubte zu bemerken, — vielleicht nur mit den Augen verliebter Jugend — daß die Dame leicht errötete, die Augen zu Boden schlug und unmerklich verlegen ward, als sie seine kriegerische Begrüßung erwiderte. Dies konnte nur darin seinen Grund haben, daß sie sich des vermessenen Fremdlings in dem benachbarten Türmchen in dem Gasthofe» zur Lilie «erinnerte; aber drückte diese Verlegenheit nicht Mißfallen aus? Diese Frage vermochte er sich nicht zu beantworten.
Die Begleiterin der jungen Gräfin, ebenso einfach und gleich dieser in tiefe Trauer gekleidet, stand in dem Alter, in welchem die Frauen noch am meisten den Ruf einer Schönheit zu erhalten suchen, mit der es schon seit Jahren auf die Neige geht. Indessen waren immer noch Reste genug vorhanden, um zu zeigen, wie groß die Macht ihrer Reize einst gewesen sein mußte, und deutlich sah man aus der Art ihres Benehmens, daß sie, früherer Triumphe sich erinnernd, immer noch ihre Ansprüche auf künftige Eroberungen geltend zu machen suchte. Sie war schlank und anmutsvoll, obgleich etwas stolz in ihrem Benehmen, und erwiderte Quentins Gruß mit einem Lächeln gnädiger Herablassung, wobei sie im nächsten Momente ihrer Nachbarin etwas ins Ohr flüsterte. Darauf wandte diese sich gegen den Krieger, als ob es auf eine Weisung der älteren Dame geschähe, jedoch ihr antwortete, ohne ihre Augen aufzuschlagen. Quentin konnte nicht umhin, zu vermuten, daß diese der jungen Dame zugeflüsterte Bemerkung sich auf sein gutes Aeußere bezöge; und er war (ich weiß nicht, warum) entzückt bei dem Gedanken, daß die fragliche Partei nicht für nötig fand, ihn nochmals anzuschauen, um sich von der Wahrheit der gemachten Bemerkung zu überzeugen. Wahrscheinlich dachte er, daß sich zwischen ihnen bereits eine Art geheimnisvollen Wechselgefühls, das der unbedeutendsten Kleinigkeit Gewicht verlieh, auszubilden beginne.
Diese Bemerkung war indessen das Werk eines Augenblicks; denn seine Aufmerksamkeit wurde sogleich von dem Zusammentreffen der Prinzessin mit diesen fremden Damen in Anspruch genommen. Sie war bei ihrem Eintreten stehen geblieben, um sie zu empfangen, vielleicht weil sie wußte, daß ihre Haltung im Gehen ihr nicht vorteilhaft anstehe. Da sie etwas Verlegenheit zeigte in der Art, wie sie den Gruß der Damen empfing und erwiderte, so veranlaßte dies die ältere Fremde, die den Rang derjenigen, an die sie sich wandte, nicht kannte, sie so zu begrüßen, als ob sie durch diese Unterredung mehr Ehre erzeigte, als empfinge.
«Es freut mich, «sprach sie mit einem Lächeln, das zugleich Herablassung und Ermutigung ausdrücken sollte,»daß es uns endlich vergönnt ist, die Gesellschaft einer so achtbaren Person, wie Ihr zu sein scheint, genießen zu dürfen. Ich muß sagen, daß meine Nichte und ich eben nicht viel Ursache haben, dem Könige Ludwig für seine Gastfreundschaft vielen Dank zu wissen. Ei, Nichte, so zupft mich nur nicht am Aermel! — Ich bin gewiß, — ich lese in den Augen dieser Dame Mitgefühl für unsere Lage. Seitdem wir hierher gekommen, schöne Dame, wurden wir um weniges besser, denn als Gefangene behandelt, und nach tausend Aufforderungen, unsere Sache und unsere Personen unter den Schutz Frankreichs zu stellen, hat uns der allerchristliche König eine elende Dorfschenke zu unserem Aufenthalt, und nun einen Winkel seines verwitterten Palastes angewiesen, aus dem wir erst gegen Sonnenuntergang hervorkriechen dürfen, als ob wir Fledermäuse oder Eulen wären, deren Erscheinung beim Tageslicht für eine üble Vorbedeutung gehalten wird.«—»Es tut mir leid, «sprach die Prinzessin, verlegen ob der unangenehmen Lage, in welche die Unterhaltung sie versetzte,»daß wir bisher nicht imstande waren, Euch nach Würden aufzunehmen. — Eure Nichte ist, wie mir scheint, etwas mehr zufriedengestellt.«
«Mehr, — mehr, als ich auszudrücken vermag, «antwortete die junge Gräfin.»Ich suchte bloß Schutz und habe Einsamkeit und Zurückgezogenheit zumal gefunden. Die Abgeschiedenheit unseres früheren und die noch größere Einsamkeit des uns jetzt angewiesenen Aufenthalts erhöhen in meinen Augen noch die Gnade, die der König uns Unglücklichen angedeihen ließ.«
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