Oh! oh! sagte Danglars, der gleicht mehr einem Werwolf, als einem menschlichen Geschöpfe; in jedem Fallebin ich alt und zähe, und mein Fleisch ist nicht gut zubeißen.
Man sieht, Danglars hatte noch so viel Geistesgegenwart, daß er scherzen konnte. In demselben Augenblick setzte sich sein Wächter, als wollte er ihmbeweisen, er sei kein Werwolf, der Tür seiner Zelle gegenüber, zog aus seinem Schnappsack schwarzesBrot, Zwiebeln und Käse und fing an, diese Dinge mit großem Appetit zu verzehren.
Der Teufel soll mich holen, sagte Danglars, indem er durch die Spalte seiner Tür einenBlick aus das Mahl desBanditen warf, wenn ichbegreife, wie man solchen Unrat essen kann.
Doch die Geheimnisse der Natur sind unerforschlich, und es übt auf den Hungrigen der Anblick eines Schmausenden einen eigenen Reiz.
Danglars fühlte plötzlich, daß sein Abscheu in diesem Augenblick keinen Grund hatte, der Mensch kam ihm weniger häßlich, dasBrot weniger schwarz, der Käse frischer vor. Die rohen Zwiebeln endlich, ein abscheuliches Nahrungsmittel des Wilden, erinnerten ihn an gewisse PariserBrühen, die sein Koch so ausgezeichnetbereitete, wenn Danglars zu ihm sagte: Herr Deniseau, machen Sie mir heute einen guten Canaille‑Teller.
Er stand auf und klopfte an die Tür. — DerBandit hobden Kopf empor. Danglars sah, daß man ihn gehört hatte, und verdoppelte sein Klopfen.
Che cosa? fragte derBandit.
Sagen Sie doch! Freund, rief Danglars, mit seinen Fingern an die Tür trommelnd, es scheint mir, es wäre Zeit, daß man mir auch zu essen gäbe.
Doch, mag es nun sein, daß der Riese ihn nicht verstand, oder wollte er ihn nicht verstehen, jedenfalls setzte er, ohne sich stören zu lassen, sein Mahl fort.
Danglars fühlte seinen Stolz gedemütigt, und da er sich nicht weiter mit diesem Tiere einlassen wollte, so legte er sich auf seineBockshäute und sprach kein Wort mehr.
Es vergingen abermals vier Stunden; der Riese wurde durch einen andernBanditen ersetzt. Danglars, der ein furchtbares Zerren im Magen fühlte, stand sacht auf, hielt sein Auge wieder an die Spalten seiner Tür und erkannte das kluge Gesicht seines Führers.
Es war in der Tat Peppino, der die friedliche Wachebezog, sich der Tür gegenüber niederließ und zwischen seinenBeinen einen irdenen Topf, der warme, duftende Kichererbsen mit Speck enthielt, niedersetzte. Neben diese Kichererbsen stellte Peppino noch ein hübsches Körbchen mit Trauben und eine Flasche Orvietowein. Peppino war offenbar ein Leckermaul.
Als Danglars diese gastronomischen Vorbereitungen sah, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
Ah! ah! Wir wollen doch sehen, obder manierlicher ist, dachte er und klopfte sacht an die Tür.
On y va, sagte derBandit, der in Pastrinis Hause das Französische gelernt hatte.
Danglars erkannte jetzt in ihm wirklich den, der ihm so wütend: Dentro la testa! zugerufen hatte. Doch es war keine Zeit zu Vorwürfen, er nahm im Gegenteil sein freundlichstes Gesicht an und sagte mit liebenswürdigem Lächeln: Verzeihen Sie, mein Herr, wird man mir nicht auch zu essen geben?
Wie? rief Peppino, sollte Euere Exzellenz zufällig Hunger haben?
Zufällig, das ist herrlich! murmelte Danglars; es sind gerade vierundzwanzig Stunden, daß ich nichts mehr gegessen habe. Allerdings, mein Herr, fügte er laut hinzu, ich habe Hunger und sogar sehr großen Hunger.
Und Euere Exzellenz will essen?
Auf der Stelle, wenn es sein kann.
Nichts kann leichter sein, sagte Peppino, man verschafft sich hier alles, was man haben will, wenn manbezahlt, wie diesbei allen ehrlichen ChristenBrauch ist.
Das versteht sich, rief Danglars, obgleich die Leute, die einen verhaften und einsperren, ihre Gefangenen wenigstens auch nähren sollten.
Auf der Stelle, Exzellenz, was wünschen Sie?
Peppino setzte seinen Napf so auf die Erde, daß der Dampf unmittelbar Danglars in die Nase stieg.
Sie haben also Küchen hier? fragte derBankier.
Wie! Obwir Küchen haben? Vollkommene Küchen! — Und Köche? — Vortreffliche! — Wohl! Ein Huhn, einen Fisch, Wildpret, gleichviel was, wenn ich nur zu essenbekomme. — Ganz nach demBelieben Eurer Exzellenz; wir wollen sagen ein Huhn, nicht wahr? — Ja, ein Huhn.
Peppino richtete sich auf und schrie mit lauter Lunge: Ein Huhn für seine Exzellenz!
Peppinos Stimme widerhallte noch unter den Gewölben, alsbereits ein hübscher, schlanker, wie die antiken Fischträger halbnackter, junger Mensch erschien! Er trug das Huhn auf einer silbernen Platte.
Man sollte glauben, man wäre im Café de Paris, murmelte Danglars.
Hier, Exzellenz! sagte Peppino, indem er das Huhn aus den Händen des jungenBanditen nahm und auf einen wurmstichigen Tisch setzte, der nebst einem Schemel und demBette vonBockshäuten die ganze Ausstattung der Zellebildete. Danglars forderte ein Messer und eine Gabel.
Hier, Exzellenz! rief Peppino undbot ihm ein kleines stumpfes Messer und eine Gabel vonBuchsbaum.
Danglars nahm Messer und Gabel und schickte sich an, das Huhn zu zerschneiden.
Verzeihen Sie, Exzellenz, sagte Peppino, eine Hand auf die Schulter desBankiers legend, hierbezahlt man, ehe man ißt; sonst gibt'sbeim Fortgehen Differenzen.
Ah! ah! murmelte Danglars, das ist nicht mehr wie in Paris, abgesehen davon, daß sie mich wahrscheinlich schinden werden; doch wir wollen die Sache großartigbetreiben. Mein Freund, ich habe immer von der Wohlfeilheit des Lebens in Italien reden hören; ein Huhn wird in Rom zwölf Sous kosten; und dabei warf er Peppino einen Louisd'or zu.
Peppino hobden Louisd'or auf. Danglars näherte das Messer dem Huhn.
Einen Augenblick, Exzellenz, sagte Peppino aufstehend; Eure Exzellenz ist mir noch etwas schuldig.
Ich dachte doch, sie würden mich schinden! murmelte Danglars und fügte laut hinzu: Wieviel ist man Ihnen noch für dieses schwindsüchtige Huhn schuldig?
Eure Exzellenz hat mir einen Louisd'or auf Abschlag gegeben und ist mir noch viertausendneunhundertundneunundneunzig Louisd'or schuldig.
Danglars riß seine Augenbei diesem großartigen Scherze sehr weit auf. Ah! Sehr drollig, murmelte er, in der Tat, äußerst drollig.
Er wollte wieder zum Werke schreiten und das Huhn zerlegen; doch Peppino hielt ihm die rechte Hand fest und sagte: Erst das Geld, mein Herr.
Wie, Sie scherzen nicht?
Wir scherzen nie, Exzellenz.
Wie, hunderttausend Franken für dieses Huhn?
Exzellenz, es ist unglaublich, wieviel Mühe man hat, um Geflügel in diesen verfluchten Grotten aufzuziehen.
Gehen Sie! Ich finde das sehr komisch, in der Tat äußerstbelustigend: doch da ich Hunger habe, lassen Sie mich essen! Hier ist noch ein Louisd'or für Sie.
Dann macht es noch viertausendneunhundertundachtundneunzig Louisd'or, sagte Peppino mit derselben Gleichgültigkeit; mit Geduld werden wir zum Ziele gelangen.
Oh! versetzte Danglars, empört über diesenbeharrlichen Spott, oh, niemals. Gehen Sie zum Teufel! Sie wissen nicht, mit wem Sie zu tun haben.
Peppino machte ein Zeichen, und der junge Mensch nahm rasch das Huhn weg. Danglars warf sich auf seinBett. Peppino schloß wieder die Tür und fing an, seine Erbsen mit Speck zu essen.
Danglars kam sein Magen durchlöchert vor wie das Faß der Danaiden, er konnte nicht glauben, daß es ihm je gelingen würde, ihn zu füllen.
Er faßte übrigens noch eine halbe Stunde Geduld; doch es ist nicht zu leugnen, daß ihm diese halbe Stunde wie ein Jahrhundert vorkam. Dann stand er auf, ging abermals zur Tür und sprach: Hören Sie, mein Herr, lassen Sie mich nicht länger schmachten, sagen Sie mir sogleich, was man von mir will.
Exzellenz, sagen Sie vielmehr, was Sie von uns wollen. Geben Sie IhreBefehle, und wir werden sie ausführen.
So öffnen Sie vor allem!
Peppino öffnete.
Ich will, sagte Danglars, bei Gott! Ich will essen. — Sie haben Hunger? — Ei! Sie wissen es wohl. — Was wünscht Eure Exzellenz zu essen? — Ein Stück trockenesBrot, da die Hühner in diesen verfluchten Höhlen so ungeheuer teuer sind. — Brot! Es sei, rief Peppino. Holla! Brot!
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