Vorwärts! Vorwärts! sagte dieselbe Stimme mit dem kurzen, gebieterischen Tone.
Diesmalbegriff Danglars doppelt, durch den Klang des Worts und durch das Gefühl, denn der Mensch, der hinter ihm ging, triebihn so heftig vorwärts, daß erbeinahe auf seinen Führer stieß.
Dieser Führer war unser Freund Peppino, der auf gewundenem Pfade in das hohe Gras drang. Erbliebvor einem, von dichtemBuschwerk überragten Felsen stehen, in dessen Spalten er verschwand.
Der Mann, der Danglars folgte, forderte diesen durch Zeichen auf, dasselbe zu tun. Es unterlag keinem Zweifel mehr, der französischeBankerottierer war in den Händen römischerBanditen!
Danglars ergabsich, wie ein zwischen zwei furchtbare Gefahren gestellter Mensch, den die Angst mutig macht. Trotz seinesBauches schober sich hinter Peppino durch, ließ sich, die Augen schließend, hinabgleiten und fiel auf seine Füße. Als er die Erdeberührte, öffnete er die Augen.
Der Weg warbreit, aber dunkel. Peppino, der nun, da er zu Hause war, sich nicht mehr zu verbergen hatte, schlug Feuer und zündete eine Fackel an.
Zwei andere Männer stiegen, die Nachhutbildend, hinter Danglars herab; sie stießen diesen, wenn er stehenblieb, wie zufällig vorwärts und trieben ihn so auf einem sanften Abhangebis zum Mittelpunkte eines düster aussehenden Kreuzweges. In übereinandergesetzten Nischen, die in Form von Särgen ausgegraben waren, schienen sich an den Wänden unter dem weißen Gestein schwarze, tiefe Augen zu öffnen. Eine Schildwache schlug mit der linken Hand an den Kolben ihres Karabiners und rief sodann: Wer da?
Freunde! Freunde! sagte Peppino. Wo ist der Kapitän?
Dort, antwortete die Schildwache, über ihre Schulter aus einen aus dem Felsen ausgehöhlten Saal deutend, aus dem das Licht durch große gewölbte Öffnungen in den Gang drang.
GuteBeute, Kapitän, guteBeute! rief Peppino italienisch, nahm Danglars am Kragen seines Überrocks und führte ihn zu einer Öffnung, die einer Tür glich; durch diese Öffnung gelangte man in den Saal, wo der Kapitän seinen ständigen Aufenthalt zu haben schien.
Ist es der Mensch? fragte der Kapitän, der aufmerksam in Plutarchs Leben Alexanders las.
Er selbst, Kapitän, er selbst.
Sehr gut, zeigt ihn mir!
Auf diesen durchaus nicht höflichenBefehl hielt Peppino so rasch seine Fackel an Danglars' Gesicht, daß dieser lebhaft zurückwich, um sich nicht die Augenbrauen versengen zu lassen.
Sein verstörtes Gesichtbot alle Symptome einesbleichen, häßlichen Schreckens.
Der Mann ist müde, sagte der Kapitän, man führe ihn zu seinemBett!
Oh, diesesBett! murmelte Danglars; wahrscheinlich ist es einer von den Särgen, die aus der Mauer ausgehöhlt sind, und der Schlaf ist der Tod, den mir einer von den Dolchen, die ich im Schatten funkeln sehe, bringen wird.
Man erblickte in der Tat in den düstern Tiefen des ungeheuren Saales, auf ihren Lagern von getrockneten Kräutern oder von Wolfshäuten, die Gefährten des Mannes sich erheben, den Albert von Morcerf die Kommentare Cäsars lesend und Danglars in den Plutarch versenkt fand.
DerBankier stieß einen dumpfen Seufzer aus und folgte seinem Führer; er versuchte weder zubitten, noch zu schreien. Er hatte keine Kraft, keinen Willen, keine Gewalt, kein Gefühl mehr; er ging, weil man ihn fortzog. Er stieß an eine Stufe, begriff, daß er eine Treppe vor sich hatte, und hobmechanisch vier- oder fünfmal den Fuß auf. Dann öffnete sich eine niedrige Tür vor ihm; erbückte sich unwillkürlich, um nicht anzustoßen, undbefand sich in einer aus dem Felsen gehauenen Zelle. Diese Zelle war, wenn auch kahl, so doch rein und trocken.
EinBett von getrocknetem Grase, bedeckt mit Ziegenhäuten, war in einer Ecke dieser Zelle ausgebreitet. Bei diesem Anblick murmelte Danglars: Oh, Gott sei gelobt! Es ist ein wirklichesBett!
Es war zum zweiten Male, daß er in einer Stunde den Namen Gottes anrief; dies war seit zehn Jahren nicht vorgekommen.
Ecco, sprach der Führer, stieß Danglars in die Zelle und schloß die Tür hinter ihm. Ein Riegel klirrte; Danglars war gefangen.
Wäre indessen auch kein Riegel dagewesen, so hätte er doch der heilige Peter sein und zum Führer einen Engel des Himmels haben müssen, um mitten durch die Garnison zu kommen, welche die Katakomben von San Sebastianobesetzt hielt und um ihren Führer gelagert war, in dem unsere Leser sicher schon denberüchtigten Luigi Vampa erkannt haben.
Danglars hatte diesenBanditen, an dessen Dasein er nicht glauben wollte, als ihm Morcerf davon erzählte, ebenfalls erkannt. Er hatte nicht nur ihn, sondern auch die Zelle erkannt, in der Morcerf eingeschlossen gewesen war, und die aller Wahrscheinlichkeit nach den Fremden gewöhnlich als Wohnung diente.
Diese Erinnerungen, bei denen Danglars mit einer gewissen Freude verweilte, verliehen ihm wieder Ruhe. Da ihn dieBanditen nicht aus der Stelle töteten, hatten sie überhaupt nicht die Absicht, ihn zu töten. Man hatte ihn festgenommen, um ihn zu plündern, da er aber nur einige Louisd'orbei sich trug, so würde man sich, meinte er, damitbegnügen müssen.
Er erinnerte sich, daß Morcerf zu ungefähr viertausend Talern angeschlagen worden war; da er sich für eine viel gewichtigere Person hielt, als Morcerf, so schätzte er sein Lösegeld auf achttausend Taler, das heißt achtundvierzigtausend Franken. Esblieben ihm dann etwa fünf Millionen und fünfzigtausend Franken. Damit kommt man überall durch.
Mit diesemberuhigenden Gedanken streckte er sich auf seinem Lager aus und entschlummertebald.
Luigi Vampas Speisekarte.
Danglars erwachte nach längerem Schlafe.
Für einen Pariser, der an seidene Vorhänge, an samtüberzogene Wände, an den Wohlgeruch, der von dem Holze im Kamin aufsteigt, und ähnlichen Luxus gewöhnt ist, muß das Erwachen in einem Felsen wie ein schlechter Traum sein. Doch in einer Sekunde war sich Danglars der rauhen Wirklichkeitbewußt.
Ja, ja, murmelte er, ichbin in den Händen derBanditen, von denen uns Albert von Morcerf erzählt hat.
Seine ersteBewegung war, zu atmen, um sich Gewißheit zu verschaffen, daß er nicht verwundet sei.
Nein, sagte er, sie haben mich weder umgebracht noch verwundet, aber sie haben mich vielleichtbestohlen.
Er fuhr rasch mit den Händen in seine Taschen. Sie waren unberührt; die hundert Louisd'or, die er sich vorbehalten hatte, um seine Reise von Rom nach Venedig zu machen, waren noch in der Tasche seinerBeinkleider, und das Portefeuille, worin er den Kreditbrief über fünf Millionen und fünfzigtausend Franken aufbewahrt hatte, fand sich in seiner Rocktasche.
SonderbareBanditen, die mir meineBörse und mein Portefeuille lassen! sagte er zu sich selbst. Sie werden es, wie ich es mir gestern abend gedacht habe, auf Lösegeld abgesehen haben. Halt! Ich habe auch noch meine Uhr! Wir wollen einmal sehen, wieviel Uhr es ist.
Danglars Repetieruhr schlug halbsechs Uhr morgens. Ohne sie wäre Danglars in völliger Ungewißheit über die Stunde gewesen, denn das Tageslicht drang nicht in die Zelle.
Sollte er eine Erklärung von denBanditen verlangen, sollte er geduldig warten, bis sie ihn auffordern würden? Das letztere schien ratsamer; Tanglars wartete.
Er wartetebis um die Mittagsstunde. Während dieser Zeit ging eine Schildwache an seiner Tür auf und ab. Um acht Uhr morgens war die Wache abgelöst worden. Danglarsbekam Lust zu sehen, wer ihnbewachte.
Erbemerkte, daß Lichtstrahlen, die von der Lampe herrührten, durch die schlecht zusammengefügtenBretter der Tür drangen. Er näherte sich einer dieser Öffnungen gerade in dem Augenblick, wo derBandit ein paar SchluckBranntwein aus einem ledernen Schlauch nahm.
Zur Mittagsstunde fand wieder eine Ablösung statt; Danglars warbegierig, seinen neuen Wächter zu sehen, und näherte sich abermals der Spalte. Es war ein athletischerBandit, ein Goliath mit großen Augen, dicken Lippen und eingedrückter Nase! Sein rotes Haar hing auf seine Schultern in gedrehten Zöpfen wie eine Anzahl von Schlangen herab.
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