»Ein Kurier?«, unterbrach ich ihn. »Was für einer? Aus Paris ist niemand geschickt worden.«
Alypius blickte mich fragend an. »Wie seltsam. Bist du dir sicher? Der Mann kam vor zwei Tagen und ist Reiter des kaiserlichen Kurierdienstes. Er wollte zu Lupicinus und behauptete, er käme aus Paris, mit einer dringenden Nachricht des Präfekten Florentius.«
»Verzeih, aber das ist unmöglich, denn Florentius befindet sich nicht in Paris. Er ist schon den ganzen Winter fort.«
Alypius’ Gesicht verdüsterte sich. »Nun, dann stecken wir in einer schwierigen Lage. Ich selbst habe den Mann nicht gesehen, sodass ich keinen persönlichen Eindruck geben kann. Aber der Stallmeister sagte, er sei überaus unruhig gewesen, als er erfuhr, dass Lupicinus nicht in London ist. Zunächst habe ich mir nichts dabei gedacht, doch nun erscheint es mir doch recht merkwürdig, da in Paris ja bekannt sein muss, dass Lupicinus London schon vor einiger Zeit verlassen hat.«
»Dürfen wir den Stallmeister persönlich befragen?«, bat Marcellus.
»Aber ja, natürlich.« Er winkte einen Diener heran und befahl ihm, uns zu den Ställen zu bringen. Als wir mit ihm zur Tür gingen, sagte er in vertraulichem Ton: »Ich hoffe, Julian … Ich meine, der Cäsar, oder vielmehr der Augustus … wird nicht glauben …«
»Der Mann hat dich belogen, denn das solltest du nicht erfahren«, sagte ich. »Aber jetzt müssen wir uns beeilen, damit wir diesen Kurier einholen, bevor er bei Lupicinus ankommt.«
Wir gingen nach draußen und über den Hof mit seinem Wasser speienden Neptunbrunnen, wo ich einst als Waise gesessen und überlegt hatte, ob ich Gratianus’ Angebot annehmen sollte, ins Heer einzutreten. »Ja«, sagte der Stallmeister, »ich erinnere mich genau an den Mann.« Er beschrieb sein Aussehen und fügte hinzu: »Er war keiner der gewöhnlichen Kuriere. Die kenne ich alle. Außerdem lehnte er es ab, sich von einem anderen Boten ablösen zu lassen, und behauptete, den Brief persönlich überbringen zu müssen.«
Inzwischen wurden die ersten Lampen angezündet, da es Abend wurde. Wir fragten nach der Route und ähnlichen Dingen, und nachdem wir Anweisung erteilt hatten, uns vor dem Morgengrauen Pferde zu satteln, gingen wir, um uns zu waschen und eine Mahlzeit einzunehmen.
Als wir später in einer Schenke saßen, die wir von früher kannten, sagte ich zu Marcellus: »Vielleicht kommen wir zu spät. Wenn er Lupicinus erreicht, ist das Spiel aus.«
Marcellus nickte. »Aber es könnte sein, dass er nicht weiß, was in dem Brief steht. Dann können wir ihn vielleicht davon abbringen.« Er blickte mir in die Augen und sagte nach kurzem Zögern: »Wenn nicht, werden wir ihn töten müssen.«
»Ja«, sagte ich.
Darüber hatte ich schon nachgedacht.
Beim ersten Morgengrauen brachen wir auf und trieben unsere Pferde, die wir unterwegs wechselten, hart an. Bei einer düsteren Siedlung namens Letocetum holten wir den Kurier ein.
Von Westen her war Regen aufgekommen, und so trafen wir nass und durchgefroren bei der Wechselstation ein. Doch wir hatten einiges zu erledigen. Ich kümmerte mich um die Absprachen mit dem Wirt, während Marcellus sich unter den Stallburschen umhörte.
Bei jeder Station waren wir unserer Beute ein Stück näher gekommen. Wir reisten ohne Eskorte und hatten unsere Rangabzeichen entfernt, da sich niemand gern mit einem Tribun auf eine Plauderei einlässt. Mit einem gemeinen Soldaten will sich dagegen jeder müßige Trinker die Zeit vertreiben, erst recht, wenn der ihm einen Krug Wein spendiert.
Und so erfuhren wir über vielen sauren Bechern, während wir eigentlich hundemüde waren und nur ins Bett wollten, dass unser Mann eine Schwäche hatte: Er besuchte nämlich auf Kosten des Kaisers die Bordelle, die er unterwegs fand. Und da ihn niemand drängte, erlaubte er sich, nach seinen nächtlichen Vergnügungen lange zu schlafen. Dadurch holten wir jeden Tag ein Stück auf. Nachdem er uns eine Weile hartnäckig entwischt war, holten wir ihn endlich in Letocetum ein, da sein Pferd lahmte und kein Ersatztier verfügbar war.
Vom Zimmermädchen hörten wir, dass er gerade nicht in seinem Zimmer war. Wir gingen zu dem kleinen Badehaus nebenan, doch der Diener erklärte, es gebe Schwierigkeiten mit den Rohrleitungen, und das Bad sei deshalb geschlossen. Danach gingen wir die Hauptstraße entlang und schauten in die Schenken und die billigen Speisehäuser, von denen es in Letocetum ziemlich viele gibt. Als wir schon glaubten, wir müssten in jede Hurenkammer spähen, zupfte Marcellus mich am Ärmel und deutete mit dem Kopf auf eine unbeleuchtete Ecke. »Da drüben!«, raunte er.
Beiläufig, als wollte ich unsere Umgebung in Augenschein nehmen, blickte ich in die gewiesene Richtung. Im Halbdunkel saß ein Mann in einem dicken Mantel allein an einem Tisch, vor sich einen Becher und einen Krug.
Wir nahmen unseren Wein und schlenderten über den sägemehlbestreuten Boden zu der Ecke hinüber. »Sei gegrüßt, Freund!«, sagte ich mit breitem Lächeln. »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«
Der Mann blickte auf und musterte mich misstrauisch. Er war ein bisschen älter als ich und hatte einen schmächtigen Körperbau, schlechte Haut und einen mürrischen, unzufriedenen Gesichtsausdruck. Eine Hand lag auf der groben, fleckigen Tischplatte, mit der anderen hielt er seinen Mantel zusammen, als wäre ihm kalt, obwohl die abgestandene Luft im Raum warm genug war.
Er zuckte die Achseln. »Das bezweifle ich«, erwiderte er und wandte den Blick ab.
Wir setzten uns trotzdem, stellten beherzt unsere Weinbecher zu seinem und lachten wie zwei geistesschwache Gewohnheitstrinker. Ich rief dem Schankburschen zu, uns noch einen Krug zu bringen, während Marcellus über Pferde, die Beschwerlichkeiten des Reisens und die erbärmliche Bewirtung in solch einem tristen, verregneten Außenposten schwatzte.
»Ja, wirklich!«, bekräftigte ich. »Was für ein Ort, um sich aufhalten zu lassen! Wir sind jetzt schon spät dran, und unsere Angelegenheit mit Lupicinus ist dringend.« Ich lachte gut gelaunt. »Aber genug von ernsten Dingen! Da kommt endlich der Wein. Lass uns trinken, mein Freund, und den Abend genießen – sofern das in diesem von den Göttern verlassenen Nest möglich ist.« Ich füllte in großspuriger Manier die Becher wie ein Mann, der seine Vergnügungen ernst nimmt.
»Ich heiße Marcellus«, sagte mein Freund grinsend und streckte die Hand aus. Der Mann betrachtete sie, nahm sie aber nicht.
»Firmus«, sagte er argwöhnisch.
Sein Gesicht war ausgezehrt, grau und pockennarbig, und er hatte dunkle Schatten unter den vorstehenden Augen. Ihm war offenbar bewusst, dass er kein einnehmendes Wesen hatte, und Aufmerksamkeiten von Freunden war er eindeutig nicht gewöhnt.
Marcellus plauderte und lachte in einem fort und trug dick auf, als wäre jeder Augenblick mit diesem Mann ein köstliches Vergnügen. Zuerst glaubte ich, Firmus habe den Haken, den wir nach ihm ausgeworfen hatten, nicht bemerkt, doch dann biss er an. »Was wollt ihr bei Lupicinus?«
Ich hielt inne, holte bedeutungsvoll Luft und sah mich auffällig nach allen Seiten um, bevor ich antwortete. In gedämpftem Tonfall sagte ich: »Wir haben einen Brief des Präfekten Florentius. Er ist eine sehr wichtige Person …« Ich tippte mir an die Nase und nickte. »Aber der Weise ist schweigsam, wie man sagt.«
Ich hob den Krug, um ihm von dem billigen Wein nachzuschenken. Doch er hob die Hand und hielt seinen Becher zu.
Dann beugte er sich vor und flüsterte: »Ich trage ebenfalls einen Brief des Präfekten bei mir.«
»Tatsächlich? Was für eine Überraschung! Dann haben wir mehr gemeinsam als gedacht.«
Da ich nicht zu viel Neugier zeigen wollte, füllte ich meinen Becher und begann mit Marcellus irgendwelchen Unsinn über das Schankmädchen zu reden. So verfuhren wir eine Weile wie zwei Schmierenkomödianten und unterbrachen uns ab und zu, um lüstern zu dem Mädchen zu schielen.
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