Einen Moment lang herrschte enttäuschtes Schweigen. Dann brüllten sie. Es war kein Jubel, sondern ein gewaltiges, aufsässiges »Nein!«.
Eine einzelne Stimme in der Mitte stimmte erneut die Akklamation an: »Julian Augustus! Julian Augustus!« Sie wurde rasch aufgegriffen. Die Rufe wurden lauter, wütender, drohender, klangen wie eine wilde, schreckliche Melodie.
Bis dahin war Julian darüber hinweggegangen, vermutlich in der Hoffnung, die Männer würden abziehen und die Sache könne einfach vergessen werden. Alles andere – ihr Protest, die aufkeimende Meuterei, der Ungehorsam und die Trunkenheit – konnte mit guten Gründen erklärt und verziehen werden. Die Akklamation jedoch würde Unheil bringen.
Als das Getöse wieder anschwoll, gab Julian den Versuch auf, die Menge zu beruhigen, und stand mit gebeugtem Kopf da. Die Männer um mich her grinsten oder lachten einander an, dass man ihre Zähne und roten Mundhöhlen sah, aber es klang nicht freudig; stattdessen ergötzten sie sich an ihrer verhängnisvollen Macht. Es schien, als nähme es kein Ende. Dann aber, als die letzten Sterne am Himmel verblassten, erscholl vorn ein Schrei. Plötzlich wogte die Menge voran, und wir wurden mitgerissen wie Laub von einem Strom. Ich reckte den Hals und sah es. Oben auf der Treppe gab Julian mit ausgestreckten Armen das zeitlose Zeichen der Anerkenntnis, mit dem er die Akklamation doch noch annahm.
Sofort brandete wilder Jubel auf.
Schon stiegen Männer die Stufen zu dem kleinen Balkon hinauf, wo der Cäsar stand, und rempelten einander beiseite, um der Erste zu sein. Sie umringten und packten ihn. Kurz verschwand er in der Flut drängelnder Leiber. Dann wurde er über ihre Schultern gehoben und getragen. Jemand brachte einen blau-gelben Schild der Petulantes, und sie setzten ihn darauf und hoben ihn hoch, wobei sie aus Leibeskräften brüllten: »Julian Augustus! Julian Augustus! Julian Augustus!«
»Ein Diadem!«, rief jemand, und andere wiederholten: »Ein Diadem! Wo ist ein Diadem? Bringt ein Diadem!« Julian gab zu verstehen, dass er keines besitze – wie auch, da nur der Kaiser ein Diadem trug.
»Wie steht es mit deiner Gemahlin?«, rief jemand.
Es wäre ein unheilvoller Anfang, wenn er den Schmuck einer Frau trüge, erwiderte Julian.
Die Männer lachten. Sie hätten über alles gelacht. Dann wurde ein Feldzeichenträger namens Maurus nach vorn geschoben. Er nahm den Halsschmuck seines Ranges ab, der sodann über die Menge hinweg nach vorn gereicht und Julian auf den Kopf gesetzt wurde. Er passte kaum, aber das kümmerte niemanden. Ringsherum jubelten, pfiffen und brüllten die Männer.
Dann flaute der Lärm ab. Einer sah den anderen an und fragte sich, was als Nächstes käme. Julian nutzte den Augenblick und ergriff das Wort. Er dankte den Männern für ihre Zuneigung und Treue und versprach jedem eine Sonderzahlung von fünf Goldstücken und einem Pfund Silber. Dann befahl er ihnen, in ihre Quartiere zurückzukehren.
Diesmal gehorchten sie und zogen sich aus dem Hof zurück. Marcellus und ich standen allein unter einer blutig roten Morgendämmerung.
Wir fanden Julian im Audienzsaal. Decentius, der Notar, war bei ihm sowie Pentadius und der Quästor Nebridius. Sie alle redeten durcheinander. Im Hintergrund standen beim flackernden Schein der Kohlenpfanne einige von Florentius’ Beamten; auf ihren Gesichter spiegelte sich Entsetzen, nachdem ihre sorgsam festgefügte Welt mit einem Mal in Unordnung geraten war.
Decentius schrie wirres Zeug und gestikulierte wild mit den Armen.
»Geh selbst ins Lager und sag es ihnen!«, brüllte Julian zurück.
»Aber du musst es widerrufen. Das ist Verrat!«
»Meinst du, ich weiß das nicht? Ich habe dich gewarnt, was geschehen würde.«
Als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er das absurde Diadem noch auf dem Kopf trug, schleuderte er es zornig von sich. Es landete vor Decentius’ Füßen. Der Notar wich zurück und starrte es an, als wäre es eine angriffsbereite Schlange. »Nun?«, sagte Julian. »Da hast du deinen Aufruhr. Was gedenkst du dagegen zu unternehmen?«
Decentius setzte zu einer Antwort an, stockte dann aber und schüttelte nur den Kopf. Mit ungeduldiger Geste wandte Julian sich ab und begab sich mit energischen Schritten zur Tür.
»Warte!«, rief der Notar und wollte ihm hinterherlaufen. Aber Marcellus trat ihm in den Weg.
»Nein, Decentius«, sagte er. »Du hast genug getan. Lass ihn zu Bett gehen.«
»Du also auch!«, zischte er.
»Sei kein Narr. Die Männer sind abgezogen. Lass sie ihren Rausch ausschlafen.« Dann wandte er sich zu Pentadius und Nebridius, die ihn mit großen Augen ansahen, und sagte: »Wir waren dort. Julian blieb nichts anderes übrig. Sonst hätten sie den Palast gestürmt.«
Die beiden Männer wechselten einen entsetzten Blick. Mir schien, dass sie erst in diesem Augenblick begriffen, wie knapp sie dem Tod entronnen waren.
Von den Anwesenden war Nebridius der Einzige, der ein gewisses Ehrgefühl besaß. Er hatte Decentius und Pentadius unterstützt, da sie es verlangt hatten und weil es seine Pflicht gewesen war, doch hatte er es ohne Freude oder Genugtuung getan.
»Glaubst du, sie werden zur Vernunft kommen, wenn sie wieder nüchtern sind?«, fragte er.
Marcellus zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber sie sind wütend und gefährlich – und sie kennen jetzt ihre Macht. Nach dieser Nacht lässt sich schwer sagen, ob wir ihre Befehlshaber oder ihre Gefangenen sind.«
Wir verließen sie und ihre Beamten, die einander erschrocken anschauten, und kehrten in unsere Zimmer zurück.
Marcellus setzte sich aufs Bett und sagte: »Es gibt kein Zurück, Drusus, für keinen von uns. Was immer dieser Decentius sagt, die Akklamation kann nicht zurückgenommen werden, und Julian weiß das besser als jeder andere.«
»Ja, Marcellus. Aber wir haben uns schon vor langer Zeit für eine Seite entschieden.« Ich gähnte und rieb mir die Augen.
»Schlaf jetzt«, sagte er und drückte mir die Schulter.
»Nach allem, was passiert ist?«
Dann muss ich aber doch eingeschlafen sein, denn eben noch wälzte ich in Gedanken die Ereignisse der Nacht, und plötzlich rüttelte Marcellus mich und sagte: »Steh auf, Drusus, schnell! Sie sind wieder da.«
Ich griff nach Gürtel und Schwert. Marcellus stieß die Fensterläden auf und lehnte sich hinaus. Von jenseits des Tores waren Männerstimmen zu hören. Wenigstens ist es diesmal kein Aufruhr, dachte ich, während ich mir den Gürtel umschnallte.
Julian hatte sich wieder in den Audienzsaal begeben und war diesmal auf sie vorbereitet. Er saß auf dem Podest in einem Lehnstuhl, der mit weißem Leinen bezogen war, und trug seinen Purpurmantel. Oribasius und Eutherius standen neben ihm. Helles Tageslicht strömte durch die Fensterrose hinter ihm und fiel in staubdurchsetzten Strahlen auf den Steinboden.
Vor ihm stand eine Abordnung der Soldaten; es waren über zwanzig Mann. Julian sagte soeben, dass sie nichts zu befürchten hätten und dass er selbst wohlauf und nicht in Gefahr sei. Sie hörten ernst zu, nickten und waren von den Herrschaftsinsignien offenbar eingeschüchtert.
Später erfuhr ich, was sich zugetragen hatte.
Während Julian schlief, hatte Decentius, anstatt die Soldaten nüchtern werden und zur Vernunft kommen zu lassen, den Versuch unternommen, die Unteroffiziere der Petulantes zu bestechen, damit sie in die unbewachte Zitadelle eindringen und Julian als Verräter festnehmen. Wie schon zuvor hatte er sich verrechnet, da er nicht begriff, dass es nicht Gold war, was die Männer antrieb, sondern Ehre, Furcht und verletzter Stolz. Sie waren nicht von Julian gekauft worden und ließen sich auch jetzt nicht kaufen.
Decentius’ Vorgehen hatte sich schnell herumgesprochen, sodass es im Lager hieß, Julian sei in Gefahr oder gar verhaftet worden und stünde kurz vor der Hinrichtung. Daraufhin waren die Männer in die Zitadelle gestürmt. Sie würden nicht eher wieder abrücken, hatten sie gesagt, als bis sie Julian mit eigenen Augen gesehen und von ihm selbst gehört hätten, dass er sicher war.
Читать дальше