Darum allein ging es.
Nicht um Bekenntnisse, sondern um Gesinnung. Nicht darum, woran jemand glaubte, sondern um die Natur seiner Handlungen.
Das erkannte Conwulf in diesem Augenblick, in dem hoch über ihm, auf dem Tempelberg von Jerusalem, die siegreichen Kreuzfahrer mit Feuer und Schwert über die wehrlosen Bürger der Stadt herfielen und Juden wie Muslime zu hunderten töteten.
Auf der langen Pilgerschaft, die sie vom fernen Europa in die Heilige Stadt geführt hatte, hatten sie Gott gesucht, am Ende jedoch nur sich selbst gefunden, ihre menschliche Gier und ihre Rachsucht. Conn und seinen Gefährten hingegen war es vergönnt gewesen, eine wenn auch nur geringe Ahnung vom Himmelreich auf Erden zu erhaschen, von jener Harmonie, die unter den Kindern Gottes herrschen konnte und es eines fernen Tages vielleicht auch würde.
Chaya hatte am Ende fest daran geglaubt.
Berengar Trost darin gefunden.
Baldric sie noch erfahren.
Und sie verpflichtete Conn dazu, die Mission, die er sich selbst auferlegt hatte, zu Ende zu bringen. Und Bahram al-Armeni, sein einstiger Feind und Gegner auf dem Schlachtfeld, der ihm als einziger Gefährte verblieben war, würde ihm dabei helfen.
Dieses Versteck war nicht länger sicher.
Die Lade musste fortgeschafft werden, an einen anderen, weit entfernten Ort, wo sie vor Eiferern sicher war, wessen Glaubens sie auch sein mochten, bis die Menschen reif sein würden, dieses Geschenk von unschätzbarem Wert recht zu gebrauchen.
Irgendwann.
Eines fernen Tages, der, davon war Bahram überzeugt, schon jetzt in den Sternen stand.
EPILOG
Ascalon
Im 69. Jahr des Königreichs von Jerusalem
So ist es geschehen. Und niemand soll behaupten, Wichtiges wäre weggelassen und Unwichtiges hinzugefügt worden, nur um das Herz des Lesers zu erfreuen. Denn ich habe alles genauso aufgeschrieben, wie es mir von jenen berichtet wurde, die dabei gewesen sind.
Wohin Conwulf und Bahram die heilige Lade brachten, entzieht sich meiner Kenntnis, und ich werde auch nicht darüber spekulieren; jedoch wurde sie seit jenem dunklen Tag, da die Kreuzfahrer Jerusalem eroberten und mit Mörderhand über die Einwohner herfielen, nicht mehr gesehen. Manche behaupten, dass Gott sich abgewandt habe angesichts der Bluttaten, die die Streiter in seinem Namen verübten, doch ich bin weder in der Lage, dies zu bestätigen, noch will ich es bestreiten.
Was ich weiß, ist, dass Bahram al-Armeni niemals in seine Heimat Tal Bashir zurückgekehrt ist. Auch wurde er nicht jener Mann der Wissenschaft, der er stets hatte sein wollen. Nach den Ereignissen von Jerusalem kehrte er in den Dienst des Kalifen zurück, wo er versuchte, zwischen Muslimen und Christen zu vermitteln, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Er tat dies so voller Überzeugung, dass der Kalif ihn zum ersten christlichen Großwesir des Reiches ernannte.
Von Eleanor de Rein hat man nie wieder gehört. Manche wollen gesehen haben, wie sie nach der Einnahme von Jerusalem durch die von Blut besudelten Straßen irrte, von Wahnsinn gezeichnet und immerzu Eustaces Namen murmelnd, den sie unter all den Toten zu finden hoffte; andere behaupten, sie hätte sich auf die Nachricht von Eustaces Niederlage hin selbst entleibt. Unstrittig ist jedoch, dass ihr niemals jene Macht zuteil wurde, die sie sich zugedacht hatte und für die sie bereit gewesen war, jeden Frevel zu begehen. Von der Geschichte vergessen, endete sie wie so viele, die dem Pilgerzug unlauteren Herzens und in dunkler Absicht gefolgt waren.
Von Caleb Ben Ezra ist bekannt, dass er nach dem Fall von Jerusalem nach Ascalon ging, zusammen mit dem Kinde Chayas und Conwulfs, das ihm anvertraut worden war. Auch Ascalon wurde schließlich von den Kreuzfahrern eingenommen, und mit ihnen gelangte auch Conwulf in die Stadt, die ihm fortan zur neuen Heimat wurde. Die große Pilgerfahrt, die ihren Teilnehmern so große Mühen abverlangt und so viele Opfer gefordert hatte, war zu Ende.
Der Knabe jedoch wuchs in der Obhut zweier Väter heran, die ihm nicht nur ihre Liebe schenkten, sondern auch all ihr Wissen und ihre Kenntnisse. Als Sohn zweier Welten lernte er den Umgang mit dem Schwert ebenso wie mit der Feder, hatte an der Wahrheit der Bibel ebenso teil wie an jener von Thora und Talmud, und so ist es kein Zufall, dass kein anderer als er es gewesen ist, der diese Geschichte niedergeschrieben hat, um sie der Nachwelt zu erhalten.
Solange mein Vater lebte, brachte ich es nicht über mich, jene Ereignisse, von denen er mir bis ins hohe Alter so häufig berichtete, in Zeichen zu fassen und sie der stillen Geduld des Pergaments anzuvertrauen. Nun jedoch, da er lange tot ist und auch ich selbst im Herbst meines Lebens stehe, fand ich endlich den Mut und die Kraft, all diese wundersamen Ereignisse in Worte zu fassen.
Was meine Mutter betrifft, so habe ich mein Wissen über sie vor allem von meinem Onkel; mein Vater hat nie sehr viel über sie gesprochen, sei es, weil es ihn zu sehr grämte oder weil er keiner Erinnerungen bedurfte, um ihrer zu gedenken. Gleichwohl hege ich die Zuversicht, dass er nun auf ewig mit ihr vereint ist.
Ein Christ und eine Jüdin.
In jenem Himmelreich, das allen gehört.
Baldric Ben Salomon
Anno Domini 1168
Nachwort des Autors
Zugegeben, es ist nicht sehr einfallsreich, die Arbeit an einem Roman mit einer Reise zu vergleichen, und ich stelle diesen Vergleich auch nicht zum ersten Mal an – aber er ist eben in einem Maße zutreffend, wie sich das nicht von vielen Vergleichen sagen lässt. Als Autor plant man diese Reise, legt ihr Ziel fest und ihre Länge, doch ahnt man bei der Abfahrt noch nicht, welche Unwägbarkeiten am Wegesrand warten und welchen Menschen man unterwegs begegnen wird. Und hat man das Ziel endlich erreicht, so ist man erfüllt von den Eindrücken, die die Reise hinterlassen hat … So wie ich, während ich diese Zeilen schreibe.
Im Fall von DAS BUCH VON ASCALON reichen die Vorbereitungen eine ganze Weile zurück. Die Grundidee spukte mir bereits vor acht Jahren durch den Kopf, und ich legte sie damals dem Verlag zusammen mit einem weiteren Storyentwurf vor, der den Titel DIE BRUDERSCHAFT DER RUNEN trug. Stefan Bauer, damals wie heute mein Lektor bei Lübbe, riet mir in weiser Voraussicht, mich zunächst an Sir Walter Scott und am alten Schottland zu versuchen und DAS BUCH VON ASCALON noch ein wenig ruhen zu lassen – ein Rat, für den ich mich nachträglich nur bedanken kann. Wann immer ich Zeit und Inspiration dazu fand, arbeitete ich jedoch weiter an der Geschichte des jungen Conwulf, der unfreiwillig ins Mahlwerk der Geschichte gerät und vor dem Hintergrund von Ereignissen, deren Auswirkungen bis in unsere Tage zu spüren sind, einem Jahrtausende alten Geheimnis nachspürt – bis die Zeit endlich reif dafür war, auch diese Geschichte zu erzählen. Nach über achtjähriger Vorbereitung konnte die Reise beginnen, und ich möchte all jenen danken, die mir als Weggefährten zur Seite gestanden haben: Natürlich Stefan Bauer und Judith Mandt von Bastei Lübbe für ihre unermüdliche und freundschaftliche Unterstützung; meinem Agenten Peter Molden, dessen Zuspruch mich angespornt und ermutigt hat; Daniel Ernle für die wie immer großartige Arbeit, die Conns Reise auch stilistisch nachempfindet; Helmut Pesch für die wunderbare Karte, die es uns ermöglicht, das Itinerar der Figuren nachzuvollziehen; Simone Brack für das Durchsehen der fremdsprachigen Passagen sowie Susanne Witting für die wertvollen Hinweise zur jüdischen Kultur; und natürlich danke ich meiner wunderbaren Familie, meiner Frau Christine und meiner Tochter Holly, ohne die Reisen dieser Größe und dieses Umfangs nicht möglich wären und, mehr noch, die sich niemals scheuen, mich auf meinen Reisen zu begleiten.
Am Ziel des Weges angelangt, überwiegt ein Gefühl kreativer Erleichterung, mit der man auf die zurückgelegte Strecke blickt – und natürlich stellt sich die Frage, wie andere wohl empfinden werden, die sich auf denselben Pfad begeben. In diesem Sinne hege ich die Hoffnung, dass Sie, lieber Leser, diese Reise in eine andere, weit zurückliegende Zeit ebenso fasziniert hat wie mich.
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