Die Ereignisse überstürzten sich.
Guillaumes Schlachtross, dessen Panzerung zu durchdringen Conn niemals hätte hoffen können, folgte seinem natürlichen Instinkt und scheute vor dem plötzlichen Hindernis. Wiehernd stellte es sich auf die Hinterhand – und Conn, der bereits wieder auf den Beinen war, ging zum Gegenangriff über.
Unter lautem Geschrei, den verbeulten Schild vor sich haltend, sprang er gegen das sich aufbäumende Pferd, das panisch schnaubte und zur Seite tänzelte, während sich sein Reiter im Sattel zu halten versuchte. Indem es jedoch zur Seite auswich, prallte Guillaumes Pferd gegen den Kadaver von Conns Araberhengst und verlor endgültig das Gleichgewicht. Mit den Hufen schlagend ging es nieder, und wie zuvor Conn stürzte nun auch Guillaume de Rein aus dem Sattel.
Er fiel zur linken Seite und stürzte auf den Schildarm. Der Aufprall war so heftig, dass die untere Hälfte des Schildes zu Bruch ging. Das Gurtzeug verhinderte jedoch, dass Guillaume ihn abstreifen konnte, und so schrie er gellend auf, als ihm der Arm beim Sturz unnatürlich verdreht wurde und mit einem berstenden Laut aus dem Schultergelenk brach.
Sein Ross hatte sich herumgewälzt und stand längst wieder auf den Beinen, Guillaume jedoch lag rücklings am Boden. Jammernd wälzte er sich herum und wollte sein Schwert heben, das er noch immer umklammert hielt – doch Conn war bereits über ihm.
Ihre Blicke begegneten sich, und zum allerersten Mal konnte Conn seinem Peiniger tief in die Augen sehen. Er sah die Fassungslosigkeit darin, die unausgesprochene Furcht und den Hass. Und dann, für einen kurzen Moment, Nias zerschundenes Antlitz – und in einem jähen Entschluss stieß er die Klinge senkrecht hinab.
Die Spitze drang zwischen den Metallplatten des Harnischs hindurch. Das Kettengeflecht bot kurzen Widerstand, dann fuhr der Stahl tief in Guillaumes Brust und durchbohrte sein Herz. Ein gellender Laut entfuhr dem Normannen, der von irgendwo aus den Reihen der Zuschauer von einem entsetzten Aufschrei beantwortet wurde.
»Mutter …!« Guillaumes Züge verzerrten sich vor Schmerz und Entsetzen, während er verzweifelt nach Atem rang, den harten Stahl in der Brust. Verzweifelt schaute er sich um, suchte mit fliehenden Blicken die Reihen der Zuschauer ab, während ihm Tränen in die Augen traten und das kalte Feuer darin zu löschen schienen. »Es tut weh«, ächzte er hilflos. »So weh …«
»Das ist für Nia«, flüsterte Conn.
Guillaume keuchte, Blut trat ihm über die Lippen, während seine Anhänger über das Feld eilten, um ihm zu Hilfe zu kommen. Als sie ihn erreichten, war er bereits tot.
Schwer atmend stand Conn über seinem besiegten Feind – und empfand nicht den geringsten Triumph. Die Mundwinkel vor Abscheu herabgezogen, packte er das Schwert und zog es aus de Reins Brust, eine entsetzliche Leere in seinem Inneren.
Suchend schaute er an den Felsen empor, blickte in teils verwunderte, teils entsetzte Gesichter, die verrieten, dass der Kampf anders ausgegangen war, als sie vermutet hatten. Conn atmete erleichtert auf, als er inmitten jener fassungslosen Mienen Chaya entdeckte.
Plötzlich hatte alles wieder einen Sinn.
Guillaume de Rein war tot.
Nias Tod war gerächt.
Und Chaya war frei.
Wankend vor Erschöpfung setzte er sich in Bewegung, auf die Felsenterrasse zu, von der aus die Fürsten und Edlen den Kampf verfolgt hatten. Die ungläubigen Blicke der noch immer schweigenden Menge verfolgten ihn, bis Conn stehen blieb und die noch blutige Klinge demonstrativ in die Höhe reckte.
»Ist der Wahrheit damit Genüge getan?«, rief er so laut, dass es vom schroffen Gestein widerhallte.
Herzog Robert war der Erste, der antwortete. »Ihr habt mit dem Mut eines Adlers und dem Herzen eines Löwen gefochten, Conwulf. Gott war auf Eurer Seite und hat Sein Urteil gefällt – wer möchte jetzt noch anzweifeln, dass Ihr die Wahrheit gesprochen habt?«
Niemand, auch keiner der Edlen widersprach. Jene Ritter, die Guillaumes Gefolge angehörten oder Mitglieder der Bruderschaft waren, hatten noch immer Mühe zu begreifen, was geschehen war. Ungläubig starrten sie auf den blutbesudelten Körper ihres Anführers, der leblos auf dem Kampfplatz lag.
»Ich und jeder, der sich dem Urteil dieses Gottesgerichts unterworfen hat, muss es damit als erwiesen ansehen, dass Guillaume de Rein plante, mich im Auftrag meines Bruders zu ermorden. In Dankbarkeit erkenne ich den treuen Dienst an, den Ihr mir erwiesen habt, indem Ihr den gedungenen Mörder erschlugt. Sein Leichnam soll verbrannt und sein Name aus den Aufzeichnungen gelöscht werden – Ihr aber, der Ihr der Wahrheit zum Sieg verholfen habt, sollt fortan einen festen Platz unter meinen Rittern haben.«
»Aber Sire!«, wandte einer der normannischen Edlen ein. »Bitte bedenkt, dass er ein Angelsachse ist, noch dazu ohne Namen und Besitz!«
»Und? Soll ich ich einen Streiter, der mein Leben gerettet und meine Herrschaft bewahrt hat, nicht belohnen, nur weil Euch seine Herkunft nicht passt, Lanfranc?« Der Herzog schüttelte das Haupt. »Bischof Adhémar mag Euch zum Ritter ernannt haben«, fuhr er dann an Conn gewandt fort. »Jedoch erst heute, auf diesem Feld, seid Ihr dazu geworden, Conwulf von Nakura!«
Das Lager, das man ihm zugewiesen hatte, war weich. Dennoch hatte Conn das Gefühl, dass jeder einzelne Muskel und jeder Knochen in seinem Körper schmerzte.
Der Kampf war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Sein Schildarm und sein Oberkörper waren von Blutergüssen übersät, von den Schnittwunden an Stirn und Schläfen ganz zu schweigen. Und Conn war müde, unendlich müde.
Dennoch wäre er noch am selben Tag zurück nach Acre geritten, um Chaya zurückzubringen und über Baldrics Auslösung zu verhandeln. Doch Herzog Robert hatte darauf bestanden, dass er zumindest eine Nacht blieb und seine Wunden versorgen ließ, und Conn hatte nicht mehr über die Kraft verfügt, ihm zu widersprechen.
Schweigend lag er in seinem Zelt und starrte hinauf zur kreisrunden, spitz geformten Decke. Da jede Bewegung weh tat, versuchte er sich nicht zu rühren und lauschte dem warmen Wind, der von Osten wehte und die Zeltbahnen flattern ließ, durch die das Licht der umliegenden Feuer schimmerte.
Für einen Moment mussten ihm dabei die Augen zugefallen sein, denn als er sie wieder öffnete, war er nicht mehr allein.
Eine schlanke Gestalt, von der er im Zwielicht nur die Silhouette sehen konnte, stand vor ihm. Er erschrak und fuhr in die Höhe, was ihn vor Schmerz beinahe laut aufschreien ließ. Aber dann erkannte er Chaya.
Er hatte sie seit dem Kampf nicht mehr gesehen. Der Herzog und seine Leute hatten ihn in Beschlag genommen und ihn über alles ausgefragt, was er über das Mordkomplott wusste – nun, da die Wahrheit seiner Worte bewiesen war, schenkte man ihm uneingeschränkt Glauben. Chaya jedoch war er nicht mehr begegnet. Er hatte ihr nicht sagen können, wie sehr er bedauerte, was geschehen war, noch was er für sie empfand – bis zu diesem Augenblick.
»Chaya, ich bin froh, dass es dir …«
Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern legte einen Finger vor den Mund und bedeutete ihm zu schweigen. Dann löste sie die Spange, die ihr schwarzes Haar zusammenhielt, und öffnete die Verschnürung ihres baumwollenen Kleides. Conn blieb vor Staunen der Mund offen stehen.
Im Gegenlicht des vielfachen Feuerscheins konnte er sehen, wie ihre schlanken Hände den Saum des Übergewandes rafften und es nach oben zogen, über ihren Kopf. Ihr Haar geriet dadurch in Unordnung, was sie in seinen Augen nur noch schöner aussehen ließ. Ihm wurde klar, weshalb sie gekommen war, aber der Gedanke, in seinem Zustand mit einer Frau zusammen zu sein, erschreckte ihn eher, als dass er ihn erregt hätte.
»Chaya«, begann er erneut, »ich …« – doch sie hatte bereits ihr Untergewand abgelegt. Sie ließ sich zu ihm herab und schlug die Decke beiseite, unter der er ebenso nackt war wie sie, und lächelte, als sie seine Männlichkeit in nicht weniger erschöpftem Zustand vorfand als ihn selbst. Kurzerhand schlüpfte sie zu ihm unter die Decke und schmiegte ihren Körper an den seinen.
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