»Ein Brechmittel?«
»Das stärkste, was es gibt. Eines, das alles aus dem Leib herausspült. Genauso musst du es ihm sagen: Alles soll aus dem Leibe herausgespült werden.«
»Und Ihr gebt mir tatsächlich einen ganzen Taler dafür, dass ich Euch dieses Zeug besorge?«
»So ist es.«
»Und wieso geht Ihr nicht selbst ins Apothekenhaus?«
»Wenn du noch weitere dumme Fragen stellst, Bursche, dann suche ich mir einen anderen.«
Philipp war gereizt. Der halbwüchsige Faulpelz, der vor der Marktkirche herumgelungert war und den er angesprochen hatte, erwies sich als Tölpel. Aber um in der Offizin des Peter Hasenstock die notwendige Arznei zu erstehen, würde der wenige Verstand dieses Jungen hoffentlich ausreichen. Liebend gern hätte Philipp diese Aufgabe selbst erledigt, doch leider war die Gefahr des Wiedererkennens zu groß, und ein solches Risiko wollte er nicht eingehen, nicht auf einer der letzten Stationen seiner Reise.
»Ich mach das schon«, stotterte der Bursche rasch und rannte sogleich davon.
Nach nur wenigen Augenblicken war er zurück – mit leeren Händen.
»Nur das Weib des Apothekers war zugegen, und es verstand nicht, was ich von ihm wollte. Hinausgeschickt hat es mich.« Er war sichtlich enttäuscht, denn nun glaubte er, des sicher geglaubten Talers doch nicht habhaft zu werden.
»Auch gut«, grinste Philipp. Und reichte dem dürren Kerlchen zu dessen Verwunderung den versprochenen, aber unverdienten Lohn, dann machte er sich selbst auf den Weg in die nahe Osterstraße.
Ein Glöckchen erschallte, als er den Verkaufsraum betrat. Niemand war zugegen, keine Kundschaft, und auch von der jungen Hasenstöckin fehlte jede Spur. Ein süßlicher Geruch verschiedenster Duftstoffe schlug Philipp entgegen, und auch wenn jeder dieser Düfte für sich genommen ein Labsal gewesen wäre, so war doch die überwältigende Mischung so enorm, dass man sie förmlich in die Kategorie des Gestanks einordnen musste. Philipp wurde regelrecht übel. Er wäre gern wieder hinaus an die frische Luft gegangen, doch da kam sie plötzlich aus einem Hinterzimmer herausstolziert.
Schön war sie und sich ihrer Schönheit bewusst, aber ebenso nichtssagend war ihr Gesicht. Ein dümmlicher Stolz verbarg sich hinter ihren perfekten Zügen und machte sie in Philipps Augen sogleich hässlich. Er verabscheute derartige Frauen, sie jedoch verabscheuten ihn nicht. Im Gegenteil, ausgerechnet auf diese herausgeputzten, dummen Hühner pflegte er den meisten Eindruck zu machen.
Er schenkte ihr ein falsches, aber gewinnendes Lächeln und beobachtete, wie sie in Verlegenheit geriet, es sich aber nicht nehmen ließ, ihn mit einem koketten Augenaufschlag zu belohnen.
»Welch unerwartet angenehme Erscheinung«, sagte er nun und verneigte sich ein wenig.
Sie kicherte leise.
»Ich bin gespannt, ob Ihr mir helfen könnt, schöne Frau«, fuhr er fort, während sie damit fortfuhr zu kichern und nicht den Anschein erweckte, ihm tatsächlich behilflich sein zu können.
»Es geht darum, dass ich einem lieben Freund von mir endgültige Abhilfe verschaffen möchte. Er leidet sehr und bedarf eines starken, eines sehr starken Brechmittels. Zudem ist sein Blut sehr dick. Es wäre ihm eine Wohltat, wenn es wieder leichter wäre und ihm den Leib nicht so schrecklich aufblähte.«
Philipp hatte keine Ahnung, was er da, ohne nachzudenken, zurechtlog, aber er wusste, dass sein Gegenüber noch ahnungsloser war. Und so, wie sie ihn anschaute, würde sie ihm alles geben – alles. Doch alles, was er wollte, waren ein Brechmittel und eine Arznei zur Verflüssigung des Blutes.
»Da muss ich nachsehen«, piepste sie nun und verschwand, heftigst das wohlgeformte Hinterteil schwenkend, im Hinterraum.
Nach einer sehr, sehr langen Zeit kam sie zurück – ratlos, fast weinerlich dreinblickend.
Genau das war es, was Philipp sich erhofft hatte.
»Findet Ihr es nicht?«, fragte er mit sanfter Stimme, ganz so, als spräche er zu einem kleinen Kinde.
Sie schüttelte das schöne Köpfchen und schaute ihn unter ihren langen, bereits feuchten Wimpern traurig an. Offensichtlich war sie sich ihrer fehlenden Intelligenz bewusst, aber immerhin noch klug genug, diesen Mangel als Vorteil zu nutzen. Philipp konnte sich vorstellen, dass viele Männer auf genau diese Form der weiblichen Hilflosigkeit freudig ansprangen. Nicht so er. Dennoch spielte er um seines Vorteils wegen gerne mit.
»Wenn Ihr erlaubt, schöne Frau«, sagte er nun und ging mir nichts, dir nichts, sich eng an ihrem üppigen Leib vorbeidrückend, hinein in den weniger mit Arzneien, als vielmehr mit Spezereien gefüllten Hinterraum.
Lediglich ein Regal, das konnte er sofort ausmachen, war bestückt mit ausführlich beschriebenen Heilmitteln. Ausführlich beschrieben deshalb – da musste man nicht lange nachsinnen –, weil auch der Gemahl dieses tumben Schafes nicht mit dem für einen ordentlichen Apotheker notwendigen Wissen gesegnet war.
Philipp ging die vier Etagen des Holzregales durch, und es dauerte nicht lange, bis er gefunden hatte, wonach er suchte.
»Da haben wir es«, sagte er, an die junge Frau gewandt, die nun wieder einnehmend zu lächeln versuchte.
»Brechmittel aus Bingelkraut und anderen Essenzen. In geringen Mengen zu verabreichen, da giftig. Gefahr des plötzlichen, enormen Ausscheidens von Schlacke aus Rachen und Hinterteil besteht«, las er laut von dem unbeholfen gekritzelten, anhängenden Zettelchen vor und flüsterte danach: »Wunderbar.«
Dann griff er zum nächsten Fläschchen.
»Noch besser«, rief er aus.
»Das ist aber sehr gefährlich«, hauchte die Apothekersfrau nun neben ihm.
»Tatsächlich?«
»Ja, dieses Zeichen da …«, und damit deutete sie auf ein dickes schwarzes Kreuz auf dem Behältnis, »… mit diesem Zeichen versieht mein Gemahl nur Arzneien, die besonders giftig sind.«
»Was Ihr nicht sagt. Einen Blutsturz kann dieses Mittel im schlimmsten Falle bewirken«, murmelte Philipp, nun eingehend das kleine Papier studierend, welches an dieser Arznei angebunden war. »Ich werde es meinem Freunde in angemessener Menge verabreichen.«
»Das darf ich Euch nicht verkaufen. Nicht ohne mit meinem Gemahl gesprochen zu haben«, protestierte sie nur wenig überzeugend und wich Philipp dabei keinen Deut von der Seite.
»Aber, aber«, sagte dieser, einen Arm um ihre runden Schultern legend. »Ihr habt es bei mir mit einem studierten Medicus zu tun. Mein Name ist Philippus medicus oculorum de Florencia. Verzeiht, dass ich mich noch nicht gebührend vorgestellt habe.« Und dabei neigte er sein Gesicht so nah zu dem ihren, dass sie fast glauben musste, er wolle sie küssen, doch das tat er zu ihrer Enttäuschung nicht.
»Verkauft mir beide Fläschchen, schöne Frau. Und, falls sie die von mir beabsichtigte Wirkung zeigen, so wird es mir eine Freude sein, Euch einen erneuten Besuch abzustatten, um von meinem Erfolg zu berichten. Glaubt mir, meine Schöne, Ihr werdet dadurch noch sehr glücklich werden.«
Darauf drückte er ihr eine ganze Dukate in die zarte linke, küsste ihre rechte Hand und verschwand, die junge Susanna Hasenstock klopfenden Herzens zurücklassend.
Er hatte noch nicht ganz das Haus verlassen, da kam ihm aus einer engen Gasse, die in den Hinterhof des Hasenstock-Hauses führte, die Hübschlerin Hedi entgegen, bei welcher er erst vor einer Stunde vorstellig geworden war.
Sie blieb nur für einen Moment vor ihm stehen und nickte ihm kurz zu. Es war ihr bewusst, dass eine Frau wie sie nicht einfach so bei helllichtem Tage einen Mann auf offener Straße ansprechen durfte. Philipp jedoch verstand ihr Nicken. Sie hatte die Botschaft überbracht.
Der Streich würde also gelingen.
Im Grunde war ihm nicht nach derlei Verlockungen. Nicht nach all dem, was er in den letzten Tagen an Niederlagen und Demütigungen hatte erdulden müssen. Doch andererseits könnte es eine heilsame Ablenkung sein, sich einmal wieder im Frauenhaus von der Zigeunerin Hedi verwöhnen zu lassen. Sie war ein hemmungsloses Weib und nunmehr die Einzige, die gewillt war, es mit ihm, dem kranken Hasenstock, aufzunehmen. Alles was sie heute für ihre Dienste verlangte, war ein wenig Lippenrot sowie Puder für die geschundene Nase, und das brachte er ihr gern.
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