Und während Publius mit Syphax verhandelte, war der listige Kylon nicht müßig. Unauffällig stach er das Pferd mit dem Dolch. Es bäumte sich auf, zerriß den Zügel und sprengte zum Lagertor.
Händefuchtelnd trabte Kylon hinterdrein.
„Bleib stehen, du mein Augentrost!" schrie er, so laut er konnte. „Wo rennst du hin?"
Vor Schreck über das Gebrüll galoppierte das Pferd noch schneller. „Halt! Du Schakalfraß, halt!" kreischte Kylon mit verzweifelter Stimme.
Am Lager blieb das Pferd stehen. Kylon lief hin und hätte nur die Hand auszustrecken brauchen, um es am Zaum zu fassen. Aber er stolperte über seine eigenen Beine und klatschte bäuchlings zu Boden.
Als er aufstand und sich das verletzte Knie rieb, war das Pferd wieder weg und lief innen am Lagerwall entlang.
„O ihr Götter!" brüllte der Grieche wie ein Verrückter. „Weshalb habt ihr mich nicht als Schildkröte erschaffen? Dann würde mein Rücken die Prügel nicht fühlen, die ich nun erhalte! Mein Herr wird es mir nie verzeihen, daß ich sein Pferd durchgehen ließ!"
Er setzte sich auf die Erde und rieb sich schluchzend die Augen.
Sein Geschrei und Gejammer lockte die Numidier aus ihren Zelten. Anfangs lachten sie den Mann nur aus, dem sein Pferd davongelaufen war, denn ihre Pferde gehorchten auf den Pfiff wie Hunde. Dann aber wurde ihnen klar, daß das Pferd nicht ihm gehörte, sondern dem römischen Feldherrn, dessen Sklave er war. Ihr Spott wich dem Mitgefühl, hilfreiche Hände fingen das Pferd ein, und sie drückten dem Sklaven die Zügel in die Hand. Aber er war wahrlich ein dummer Tropf! Anstatt das Pferd schleunigst zum Königszelt zurückzuführen, aus dem der römische Feldherr jeden Augenblick heraustreten würde, bedankte er sich so weitschweifig und überschwenglich bei den Männern, die es eingefangen hatten, als hätten sie ihm das Leben gerettet. Und als sie ihm den nächsten Weg zum Königszelt zeigten, drückte er sich beiseite und machte einen großen Umweg, als wollte er seiner Strafe entrinnen oder sie mindestens so lange wie möglich hinauszögern.
Publius Scipio hatte seine Verhandlung mit König Syphax inzwischen wirklich beendet und wartete schon auf seinen angeblichen Sklaven. Er hatte Kylon in der Hoffnung mitgenommen, daß es diesem gelingen würde, beim Besuch im Lager des Feindes herauszufinden, wie viele Zelte darin standen und wie viele Krieger sie enthielten. Aber nie hätte er angenommen, daß Kylon es während der kurzen Unterredung fertigbringen würde, durch das ganze Lager zu laufen und sich überall umzusehen.
Als Publius Kylon herankommen sah, von mehreren Numidiern gefolgt, bemühte er sich, ein möglichst finsteres Gesicht aufzusetzen, nahm die Peitsche, die Kylon vorsorglich mitgebracht hatte, und ging drohend auf den Sklaven zu. Dabei wurde er Zeuge von Kylons großartiger Schauspielkunst. Worte waren zu schwach, um Kylons ausdrucksvolle Mimik wiederzugeben! Seine unsicheren, ängstlichen Schritte, die vorhängenden Schultern, der einschmeichelnd auf die Schulter gelegte Kopf, die unstet umherirrenden Augen - alles verriet den typischen Sklaven, nicht aber den geschmeidigen Intriganten, wie er in griechischen Komödien vorkommt, sondern den echten römischen Sklaven, der Peitsche und Folter kennt, der vor der Kreuzigung zittert. Publius war von Kylons Spiel derart mitgerissen, daß er unwillkürlich ausholte und ihm eins mit der Peitsche überzog.
Als das numidische Lager weit hinter ihnen lag, besann er sich.
„Kylon", sagte er leise, „heute hast du dich selber übertroffen. Jeder griechische Schauspieler würde dich um diese darstellerische Leistung beneiden. Verzeih, daß ich die Hand gegen dich erhob."
„Kein Herr ohne Peitsche, kein Sklave ohne Narben!" erwiderte Kylon und rieb sich die schmerzende Schulter. „Dein Peitschenhieb gehörte dazu, sonst hätten die Numidier unter Umständen Verdacht geschöpft. Und du sagtest doch selbst: Der beste Plan ist der, von dem der Feind nichts ahnt. Nur schade, daß ich Sophonisbe nicht zu Gesicht bekam. Sie soll so schön sein wie die Göttin Aphrodite, deren Taube dir den Brief brachte."
„Ohne deine Geschwätzigkeit wärest du nicht mit Gold aufzuwiegen, Kylon", meinte Publius. „Erzähl mir lieber, was du im Lager gesehen hast." „Mit Gold? Nun, Silber würde mir genügen. Man erzählt sich, daß du in Neu-Karthago mehr Silber erbeutet hast, als der Laderaum von drei Schiffen faßt. Und hättest du Neu-Karthago ohne meine Hilfe erobert?"
„Schweig, Kylon! Vergiß, daß du in Neu-Karthago warst! Für dein Schweigen habe ich dich doch extra bezahlt."
„Ich schweige schon, ich schweige schon!" brummte der Grieche hastig. „Hör also zu. Syphax hat in seinem Lager zweitausend Zelte, jedes Zelt faßt ungefähr dreißig Krieger. Demnach hat Syphax sechzigtausend Krieger, zu denen du noch die Truppen des nahegelegenen karthagischen Lagers rechnen mußt. Und daß dein eigenes Heer nur aus zwanzigtausend Leuten besteht..."
„Ja, das weiß ich!" fiel Publius ihm ungeduldig ins Wort. „Hast du im numidischen Lager sonst noch etwas feststellen können?"
„Nur, daß die Zelte mit Schilf gedeckt sind und daß höchstens drei Pferde gleichzeitig durch die Lagertore gehen."
„Warum hast du das nicht gleich gesagt", rief Publius erfreut. „Das ist doch das wichtigste. Du erhältst für jedes Zelt eine Sesterze. Zufrieden?"
„Und wieviel erhalte ich für die Tore und die Schilfdächer?"
„Wenn ich dich auch noch für die Dächer, die Tore und vielleicht gar für jeden einzelnen Krieger bezahlen würde, müßte ich in Kürze betteln gehen."
„Aber du hast mir doch mein Schweigen bezahlt!" widersprach Kylon unbeirrt. „Dann kannst du auch für die Dächer was springen lassen!" Publius lachte.
„Du kriegst die Dächer und die Tore bezahlt, wenn du dich ins karthagische Lager schleichst und feststellst, wie viele Krieger es enthält. Das ist das letzte, was ich von dir verlange."
„Das letzte?" wiederholte Kylon gedehnt. „Hast du das damals in Iberien nicht auch gesagt?"
Es war eine dunkle Nacht. Nur selten trat der Mond aus den Wolken und beschien das rechteckige Heerlager mit dem weißen Königszelt in der Mitte. Die Krieger schliefen fest. Am Abend zuvor waren Händler ans Lagertor gekommen und hatten ihnen nahezu umsonst Wein verkauft. Auch die Posten waren eingenickt, auf ihre Speere gestützt.
Syphax lag ebenfalls in tiefem Schlafe, erschöpft von den endlosen Verhandlungen mit den Karthagern und den Römern. Es war nicht leicht, zwischen den beiden Todfeinden Frieden zu stiften. Die Karthager glaubten, daß er die Pflicht hätte, sich ganz für ihre Interessen einzusetzen, weil er mit Sophonisbe verheiratet war. Dagegen hatten sie damals, als sie den Krieg gegen Rom begannen, nicht zu ihm gehalten, sondern zu König Gula. Doch nun war Gula gestorben, und sein Sohn Masinissa haßte die Karthager. Auch über den römischen Feldherrn Scipio mußte sich Syphax den Kopf zerbrechen. Er feilschte bei den Friedensverhandlungen um jeden Barren Silber, entschloß sich aber zu keinerlei Zusagen, weil er angeblich schon einen Monat auf einen Sendboten des römischen Senats wartete.
Der einzige Mensch, der im numidischen Lager nicht schlief, war Sophonisbe. Bei den Verhandlungen zwischen Syphax und dem römischen Feldherrn hatte sie zufällig erfahren, daß Masinissa noch lebte, daß er aus Iberien zurückgekehrt war und im Dienste der Römer stand. Der Vater hatte sie also gewissenlos belogen, nur um sie mit dem Manne zu vermählen, der jetzt an ihrer Seite lag und ihr doch unendlich fremd war. Was verband sie mit ihm? Das Wort, das sie ihrem Vater gegeben hatte, der sein Wort aber gebrochen und sie mit einem Barbaren verheiratet hatte? Oder wurde sie durch ihre schweren goldenen Ringe an Syphax gefesselt? Verzweifelt riß sie sich diese Ringe von den Fingern, aber das war nutzlos. Sie war gefangen.
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