Es verging jedoch kein Tag, an dem Claudia mir nicht mit ihrem Jesus von Nazareth in den Ohren lag. Ich floh in mein Haus im Tiergarten. Dort machte mir wieder Sabina mit ihrer Bosheit das Leben unerträglich. Sie wurde immer hochmütiger, seit einer ihrer Verwandten eine führende Stellung in der Finanzverwaltung erhalten hatte, wodurch sie nicht mehr so sehr auf mein Geld angewiesen war. Sie war in Wirklichkeit die Vorsteherin des Tiergartens, sie bestimmte, was für Tiere gekauft werden mußten, und plante die Vorführungen im Amphitheater. Sie trat sogar selbst öffentlich auf, um zu zeigen, was für eine geschickte Löwenbändigerin sie war.
Ich glaube, Neros Leben war damals ebenso unerträglich wie meines. Als er seine Mutter nach Antium verbannte und Lollia Poppaea als seine Geliebte ins Palatium holte, kam er vom Regen ; in die Traufe. Das Volk nahm ihm die Zurücksetzung Octavias übel, und Poppaea weinte und jammerte und verlangte, er solle sich von Octavia trennen. Sie erschreckte ihn durch die Behauptung, Agrippina zettle eine Verschwörung gegen ihn an, was vielleicht nicht ganz frei erfunden war. Jedenfalls mußte Nero Antonias Gatten Faustus Sulla nach Massilia verbannen. Antonia folgte ihm, und es vergingen fünf Jahre, ehe ich sie wiedersah.
Seneca sprach sich mit Nachdruck gegen eine Scheidung aus, und der alte Burrus sagte öffentlich, wenn Nero sich von Octavia trenne, dann müsse er auch auf die Mitgift verzichten, das heißt ; auf den Rang des Imperators. Und Poppaea hatte kein Verlangen danach, mit Nero nach Rhodos zu gehen und dort ihr Leben als Gattin eines Künstlers zu beschließen.!
Agrippina beschwor vielleicht durch ihre Machtlüsternheit und ; Eifersucht ihr Schicksal selbst herauf. Sie besaß Reichtümer genug, die sie nach ihrem zweiten Gatten und nach Claudius geerbt hatte, und war trotz der Verabschiedung des Pallas noch immer sehr einflußreich. Wirkliche Freunde hatte sie freilich keine mehr, aber mehr als eine politische Verschwörung fürchtete Nero, sie könnte in ihrer Unbesonnenheit tatsächlich ihre Erinnerungen veröffentlichen, die sie in Antium mit eigener Hand niederschrieb, weil sie nicht einmal dem zuverlässigsten Sklaven zu diktieren wagte. Agrippina hatte selbst dafür gesorgt, daß man in Rom von diesen Erinnerungen wußte, und es gab daher so manchen, der ihr den Tod wünschte, weil er auf die eine oder andere Art mit in ihre Machenschaften verwickelt gewesen war.
Ich selbst klagte Agrippina in meinen Gedanken dessen an, daß sie mein Leben zerstört hatte, als ich noch jung war und Claudia liebte. Alles Schlimme, das mir widerfahren war, legte ich ihr zur Last. Einmal besuchte ich die alte Locusta in ihrem kleinen Haus. Sie lächelte mich an, soweit eine Totenmaske zu lächeln vermag, und sagte offenherzig, daß ich nicht der erste sei, der sie in dieser Sache zu sprechen wünsche. Vor mir waren schon andere bei ihr gewesen.
Sie hatte nichts dagegen, auch für Agrippina ein Gift zu mischen, nein, durchaus nicht. Es kam nur darauf an, wieviel man zu zahlen bereit war. Dann aber schüttelte sie den Kopf und behauptete, sie habe bereits alle Mittel versucht. Agrippina sei viel zu vorsichtig. Sie bereite ihre Speisen selbst zu und pflücke nicht einmal Früchte von ihren eigenen Bäumen, da sich diese besonders leicht vergiften ließen. Ich schloß daraus, daß auch Agrippina ihres Lebens nicht froh werden konnte, obwohl die Niederschrift ihrer Erinnerungen gewiß ihre Rachegelüste befriedigte.
Nero konnte erst mit Poppaea Frieden schließen, als er den festen Entschluß gefaßt hatte, seine Mutter zu ermorden. Agrippinas Tod war für ihn aus politischen Gründen ebenso notwendig wie seinerzeit der Tod des Britannicus. Ich hörte jedenfalls nichts davon, daß Seneca sich diesem Mord auch nur mit einem einzigen Wort widersetzt hätte, wenngleich er selbst freilich nichts damit zu tun haben wollte.
Die Frage war nur, wie der Mord so ausgeführt werden konnte, daß man allgemein an einen Unglücksfall glauben mußte. Neros Phantasie begann zu arbeiten. Er verlangte möglichst dramatische Umstände und beriet sich mit seinen vertrautesten Freunden.
Tigellinus, der gewisse persönliche Gründe hatte, Agrippina zu hassen, wollte sie mit einem Viergespann überfahren, sofern es gelang, sie in Antium auf die Straße zu locken. Ich dachte an Raubtiere, aber wie sollten wir diese in Agrippinas sorgfältig bewachten Garten bringen?
Nero glaubte, ich stünde ihm und Poppaea zuliebe auf seiner Seite, und ahnte nicht, daß mich allein meine Rachsucht leitete. Agrippina verdiente tausendfachen Tod für alle ihre Verbrechen, und ich betrachtete es als einen Beweis für die Gerechtigkeit des Schicksals, daß sie ihn durch ihren eigenen Sohn finden sollte. Auch Du, mein Sohn Julius, hast Wolfsblut in Deinen Adern, echteres als ich. Versuche es besser im Zaum zu halten, als es Dein Vater vermochte.
Wir verdankten es eigentlich Sabina, daß wir zuletzt eine brauchbare Lösung fanden. Ein griechischer Techniker hatte ihr den Entwurf zu einem kleinen Schiff gezeigt, das dazu bestimmt war, wilde Tiere aufzunehmen, und dessen Teile so miteinander verbunden waren, daß sie durch den Druck auf einen einzigen Hebel auseinanderfielen.
Sabina wollte diesen Entwurf unbedingt ausführen, um auch in dem neuen Theater, in dem ganze Seeschlachten vorgeführt werden konnten, ein Wort mitzureden. Ich selbst lehnte Meerestiere wegen der hohen Kosten ab, aber zuletzt siegte Sabinas Herrschsucht. Die neue Erfindung erregte schon im voraus so viel Aufsehen, daß Anicetus eigens zur Vorstellung aus Misenum nach Rom gereist kam.
Das Schiff bildete den Höhepunkt der Vorführungen. Es zerfiel wie geplant, die Tiere stürzten ins Wasser, und die Zuschauer sahen Auerochsen und Löwen mit Seeungeheuern kämpfen oder an Land schwimmen, wo sie von mutigen Jägern erlegt wurden. Nero klatschte begeistert Beifall und rief Anicetus zu: »Kannst du mir so ein Schiff bauen, aber größer und so prunkvoll, daß es ‘ der Mutter eines Kaisers würdig ist?«
Ich versprach bereitwillig, Anicetus wenigstens einen Teil der geheimen Zeichnungen des Griechen zu beschaffen, obwohl ich der Meinung war, daß dieser Plan zu viele Mithelfer erforderte, um geheimgehalten werden zu können.
Zum Lohn lud Nero mich zu dem Fest in Baiae ein, wo ich Gelegenheit haben sollte, die besondere Vorstellung mit anzusehen, die er sich ausgedacht hatte. In Gesellschaft und vor dem Senat begann er nun den reumütigen Sohn zu spielen, der sich mit seiner Mutter aussöhnen wollte. Mit ein wenig gutem Willen auf beiden Seiten lassen sich alle Zerwürfnisse beseitigen, erklärte er.
Agrippinas Kundschafter meldeten diese Worte unverzüglich nach Antium, und sie war daher weder sonderlich überrascht noch mißtrauischer als gewöhnlich, als sie von Nero einen in schönen Worten abgefaßten Brief erhielt, in dem sie zum Minervafest nach Baiae eingeladen wurde. Daß Nero das Minervafest für die Begegnung gewählt hatte, war an sich schon eine deutliche Anspielung, denn Minerva ist ja auch die Göttin der Schulknaben, und es erschien ganz natürlich, daß er die Versöhnung fern von Rom und der zänkischen Poppaea feiern wollte.
Am Tag der Minerva darf kein Blut vergossen werden, und es ist verboten, Waffen sichtbar zu tragen. Nero hatte anfangs vorgehabt, Agrippina mit dem neuen Prunkschiff aus Antium holen zu lassen, um mit dieser Ehrung zu bekunden, daß er seiner Mutter ihren früheren Rang zurückzugeben beabsichtigte. Wir errechneten jedoch mit Hilfe einer Wasseruhr, daß das Schiff in diesem Fall am hellichten Tag hätte versenkt werden müssen.
Zudem war Agrippina bekanntermaßen so mißtrauisch, daß sie die Ehrung vielleicht dankend abgelehnt hätte und zu Lande gereist wäre. Sie kam daher auf einer Trireme in Misenum an, die von ihren eigenen treuen Sklaven gerudert wurde. Nero empfing sie mit großem Gefolge, und um den politischen Charakter der Versöhnungshandlungen zu betonen, hatte er sogar Seneca und Burrus an seine Seite gerufen.
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