Es widerstrebte mir, noch einmal für Poppaea den Boten zuspielen, aber ihre Nähe lähmte meinen Willen, und daß sie sich so auf mich verließ, sprach mein männliches Bedürfnis an, die Schwachen zu beschützen. Zwar begann ich dunkel zu ahnen, daß Poppaea vielleicht gar nicht so schutzbedürftig sei, aber wie sollte ich ihr scheues unschuldiges Wesen anders auslegen als zu ihren Gunsten? Sie würde sich gewiß nicht so vertrauensvoll auf mich gestützt und mir erlaubt haben, sie zu umarmen, wenn sie gewußt hätte, was für Gefühle das in meinem schamlosen Leib weckte.
Nach langem Suchen fand ich Nero endlich im Zirkus des Gajus. Er übte sich mit seinem Viergespann und fuhr mit dem aus der Verbannung zurückgekehrten Gajus Sophonius Tigellinus um die Wette, den er zu seinem Stallmeister gemacht hatte. Der Form halber standen zwar Wachen an den Toren, aber es hatte sich trotzdem eine ganze Menge Volks auf den Zuschauerbänken versammelt, um Nero anzufeuern und ihm Beifall zu rufen.
Ich mußte lange warten, bis Nero endlich, staubig und verschwitzt, den Schutzhelm abnahm und sich die Leinenbinden abwickeln ließ, die seine Beine schützten. Tigellinus lobte seine raschen Fortschritte, tadelte ihn dann aber scharf wegen eines Fehlers, den er beim Wenden begangen hatte. Nero nahm den Tadel demütig entgegen. Er wußte, daß er gut daran tat, Tigellinus in allem, was Pferde und Gespanne betraf, ohne Einwände zu gehorchen.
Tigellinus fürchtete niemanden. Er war gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und behandelte seine Sklaven grausam. Groß und kräftig, mit schmalem Gesicht, so stand er da und blickte sich hochmütig um wie einer, der sagen will, daß sich mit Gewalt alles im Leben erzwingen läßt. Er hatte einmal alles verloren, was er besaß, und hatte sich in der Verbannung durch Fischfang und Pferdezucht ein neues Vermögen geschaffen. Es hieß, daß keine Frau und kein Knabe vor ihm sicher seien.
Ich gab Nero durch Mienen und Gesten zu verstehen, daß ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte, und er erlaubte mir, ihm zum Badehaus im Garten zu folgen. Als ich ihm Poppaea Sabinas Namen ins Ohr flüsterte, schickte er alle anderen fort und ließ mich gnädig seinen untersetzten Körper mit; Bimsstein abreiben, während er mich eifrig ausfragte und nach und nach alles erfuhr, was Poppaea mir gesagt hatte. Zuletzt bat ich ihn ernsthaft: »Laß sie also in Ruhe. Das ist alles, was sie sich wünscht, um nicht ständig zwischen ihren eigenen, einander widersprechenden Gefühlen hin und her gerissen zu werden. Sie will nur eine ehrbare Gattin sein. Du kennst ihre Unschuld und ihre Zurückhaltung.«
Nero lachte laut auf, wurde aber gleich wieder ernst, nickte mehrere Male und sagte: »Lieber hätte ich es freilich gesehen, wenn du mit dem Lorbeerkranz auf der Speerspitze zu mir gekommen wärst, Bote. Ich kann mich nur wundern, wie gut du die Frauen kennst. Ich aber habe genug von ihren Launen. Es gibt noch andere Frauen außer Lollia Poppaea, und ich will sie in Ruhe lassen. Sie soll nur selbst aufpassen, daß sie mir nicht mehr so oft vor die Augen kommt wie bisher. Grüße sie und sage ihr, ihre Bedingungen sind mir zu hoch.«
»Sie hat doch gar keine Bedingungen gestellt«, wandte ich verwirrt ein.
Nero betrachtete mich mitleidig und sagte: »Es ist das beste, du kümmerst dich um deine wilden Tiere und deine eigene Gattin. Schick mir Tigellinus, damit er mir das Haar wäscht.«
So ungnädig entließ er mich. Doch ich verstand ihn gut. Er liebte Poppaea und war nun enttäuscht, weil sie ihn abwies. Ich eilte mit meiner guten Nachricht froh zu Poppaea zurück, aber zu meiner Verwunderung war Poppaea nicht zufrieden, ja sie zerschlug sogar eine kleine Glasbüchse, so daß die kostbare Salbe auf den Boden tropfte und mir von dem betäubenden Duft ganz wirr im Kopf wurde. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer häßlichen Fratze, und sie schrie: »Wir werden sehen, wer zuletzt gewinnt, er oder ich!«
Ich erinnere mich noch gut an den Tag im darauffolgenden Herbst, an dem ich beim Aufseher über die Aquädukte saß und starrsinnig durchzusetzen versuchte, daß neue und größere Bleileitungen zum Tiergarten gelegt würden. Wir hatten schon tagelang jenen heißen Wind gehabt, der roten Staub mit sich führt und Kopfschmerzen verursacht.
Wegen der Wasserverteilung gab es ständig Streit, weil die Reichen und Vornehmen ihre eigenen Leitungen von den Aquädukten zu ihren Thermen, Gärten und Teichen legen ließen. Durch den raschen Bevölkerungszuwachs herrschte in Rom Wassermangel. Der Aufseher über die Aquädukte befand sich daher in einer schwierigen Lage. Er war nicht um sein Amt zu beneiden, obwohl einer, der bedenkenlos genug war, sich während seiner Amtszeit bereichern konnte. Ich war jedoch der Ansicht, daß der Tiergarten eine Sonderstellung einnahm und daß ich keine Ursache hatte, ihm Geld zu geben, um meine berechtigten Forderungen durchzusetzen.
Ich forderte, er lehnte ab. Wir kamen keinen Schritt weiter, und es gelang uns gerade noch, eine rein äußerliche Höflichkeit zu bewahren. Ich hätte am liebsten aufgegeben und die Sache auf sich beruhen lassen, aber ich fürchtete den Zorn Sabinas. Schließlich sagte ich gereizt: »Ich kenne die Verordnungen der Ädilen und den Senatsbeschluß über das Wasser auswendig. Ich kann mich an Nero selbst wenden, obwohl er mit solchen Kleinigkeiten nicht gern belästigt werden will, und ich fürchte, die Sache geht für dich schlechter aus als für mich.« Der Aufseher, ein langweiliger Mensch, lächelte spöttisch und entgegnete mir: »Tu nur, was du für richtig hältst. Ich an deiner Stelle würde aber Nero nicht ausgerechnet in diesen Tagen mit dem Streit wegen der Wasserverteilung behelligen.«
Ich hatte mich lange nicht mehr um den Klatsch in der Stadt gekümmert und fragte daher, was denn Besonderes geschehen sei. »Weißt du es wirklich nicht, oder tust du nur so, als hättest du noch nichts gehört?« fragte er mißtrauisch. »Otho ist zum Prokonsul in Lusitanien ernannt und aufgefordert worden, so rasch wie möglich zu reisen. Heute morgen hat Nero seine Ehe aufgelöst, selbstverständlich auf Ansuchen Othos. Alle anderen Angelegenheiten wurden aufgeschoben, weil sich Nero natürlich zuerst einmal der armen, schutzbedürftigen Poppaea annehmen mußte, die ins Palatium übersiedelte.«
Es war wie ein Keulenschlag auf meinen ohnehin schmerzenden Kopf. »Ich kenne Poppaea Sabina!« rief ich. »Sie würde so etwas nie aus freiem Willen getan haben. Nero hat sie mit Gewalt ins Palatium bringen lassen.«
Der Aufseher schüttelte seinen grauen Kopf. »Ich fürchte, wir bekommen eine neue Agrippina an Stelle der alten, die übrigens Antonias Haus verlassen und sich aufs Land zurückziehen muß, nach Antium.«
Ich achtete nicht auf seine gehässigen Andeutungen. Das Einzige, was ich klar erfaßte, war der Name Agrippina. Ich vergaß meine durstigen Tiere und das ausgetrocknete Becken der Flußpferde. Agrippina war, so glaubte ich, die einzige, die Poppaea Sabina vor Neros verruchten Absichten zu retten vermochte. So viel Einfluß mußte eine Mutter auf ihren Sohn haben, daß sie ihn daran hindern konnte, die schönste Frau Roms öffentlich zu schänden. Ich mußte Poppaea beschützen, da sie offenbar nicht mehr imstande war, sich selbst zu schützen.
Vor Erregung ganz von Sinnen, eilte ich zu dem alten Haus der Antonia auf dem Palatin, wo des Umzugs wegen ein großes Durcheinander herrschte, so daß mir niemand den Zutritt verwehrte. Agrippina raste vor Zorn. Octavia war bei ihr, das schweigsame Mädchen, dessen einzige Freude ihre Stellung als Gemahlin des Kaisers war. Auch ihre schöne Halbschwester Antonia, die Tochter des Claudius aus dessen erster Ehe, war anwesend und mit ihr ihr zweiter Gatte, der gleichgültige, schwerfällige Faustus Sulla. Als ich unerwartet unter sie trat, verstummten sie plötzlich. Agrippina begrüßte mich und rief mit schriller Stimme: »Was für eine Freude und Überraschung nach so vielen Jahren! Ich glaubte schon, du habest alles vergessen, was ich für dich getan habe, und seist ebenso undankbar wie mein Sohn. Desto mehr freue ich mich nun darüber, daß du als einziger Ritter in ganz Rom gekommen bist, um von einer armen Verbannten Abschied zu nehmen.«
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