Anicetus grinste liederlich, nickte verständnisvoll und erklärte: »Wir haben drei Häuser, das beste für die Dienstgrade, das zweite für die Mannschaft und das dritte für die Rudersklaven. Ob du mir’s glaubst oder nicht: ich bekomme manchmal Besuch von vornehmen Frauen aus Baiae, denen es anders keinen Spaß mehr macht und die eine Nacht in einem Bordell arbeiten wollen. Die älteren gehen am liebsten zu den Rudersklaven und übertreffen unsere erfahrensten Huren an Bereitwilligkeit. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit habe ich es so eingerichtet, daß die Neuen zuerst einmal die Dienstgrade bedienen, dann die Mannschaft und nach drei Jahren die Rudersklaven. Manche halten diesen anstrengenden Beruf zehn Jahre aus, aber ich möchte behaupten, daß im allgemeinen fünf Jahre reichen. Einige hängen sich natürlich schon vorher auf, ein gewisser Teil wird krank und untauglich, und andere fangen an zu saufen, daß sie zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wir bekommen aber ständig Nachschub aus Rom und anderen italienischen Städten. Die Flottenbordelle sind nämlich Strafanstalten für solche, die wegen unsittlichen Lebenswandels abgeurteilt werden, das heißt, weil sie einen Kunden bestohlen oder irgendeinem Grobian einen Weinkrug über den Schädel gehauen haben.«
»Was geschieht mit denen, die ihre Dienstzeit überleben?« fragte ich.
»Für die Ruderer ist so ein Weib noch lange gut genug«, antwortete Anicetus. »Sei unbesorgt. Keine verläßt meine Häuser lebend. Zuletzt finden sich immer gewisse Männer, die kein größeres Vergnügen kennen, als auf irgendeine viehische Art ein Weibsbild abzumurksen, und die können sich hier austoben. Meine Häuser haben ja unter anderem den Zweck, die anständigen Frauen und Mädchen der Umgebung vor den Seeleuten zu schützen. Ich habe da zum Beispiel einen Ehrenmann auf meiner Liste, der einmal im Monat Blut aus der Halsschlagader einer Frau saugen muß. Wegen dieser kleinen Schwäche ist er an die Ruderbank gekettet. Das spaßigste ist, daß er es hinterher immer bitter bereut und darum bittet, totgeschlagen zu werden.«
Ich glaubte nicht alles, was mir Anicetus erzählte. Er prahlte und wollte mich mit seiner Lasterhaftigkeit erschrecken, weil er im Innern ein schwacher, unzuverlässiger Mensch war. Außerdem 1hatte er von den Seeleuten das Flunkern gelernt.
Er führte mich zuerst zu einem kleinen runden Venustempel, von dem aus man das glitzernde Meer unter sich liegen sah und der, um alles unnötige Aufsehen zu vermeiden, durch einen unterirdischen Gang mit den Unterkünften der Seeleute verbunden war. Die ersten beiden Häuser, die mit einer Mauer umgeben waren, unterschieden sich in nichts von den sauberen, ordentlichen Lupanaren Roms. Sie hatten sogar fließendes Wasser. Das Haus für die Rudersklaven glich dagegen eher einem Gefängnis. Ich ertrug kaum den Anblick seiner Bewohnerinnen, so verkommen und vertiert waren sie.
So genau ich aber alle Frauen musterte, Claudia befand sich nicht unter ihnen. Ich entdeckte sie erst am folgenden Tag im Quartier der Seewache in Puteoli. Sie war gealtert. Die Haare und die Augenbrauen hatte man ihr des Ungeziefers wegen geschoren. Sie trug einen zerlumpten Sklavinnenmantel, denn sie verrichtete Sklavenarbeit in der Küche.
Nur ihre Augen sagten mir, daß ich Claudia vor mir hatte. Sie selbst erkannte mich auf den ersten Blick wieder, ließ es sich aber nicht anmerken. Es war nicht schwer, sie gegen einen Beutel Silber auszutauschen. Ich hätte sie auch umsonst haben können, um aber die Spuren zu verwischen, hielt ich es für das beste, mir durch das Bestechungsgeld Stillschweigen zu erkaufen.
Als wir uns in der besten Herberge der Stadt allein gegenüberstanden, waren Claudias erste Worte: »Du hast bestimmt sehr eifrig nach mir gesucht, mein lieber Minutus, sonst hättest du mich nicht so schnell gefunden. Seit unserem letzten Zusammensein sind ja erst sieben Jahre vergangen. Was willst du von mir?«
Auf meine inständigen Bitten erklärte sie sich endlich bereit, ordentliche Kleider anzuziehen, eine Perücke aufzusetzen und sich mit Augenschwärze Brauen auf die Stirn zu malen. Sie war, dank der Beschäftigung in der Küche, ziemlich dick geworden und sehr gesund.
Von ihren Erlebnissen in Misenum wollte sie nicht sprechen. Ihre Hände waren hart wie Holz, und sie hatte eine dicke Hornhaut auf den Fußsohlen. Die Sonne hatte sie dunkelbraun gebrannt, und man sah trotz der Kleidung und der Perücke auf den ersten Blick, daß sie eine Sklavin war. Je länger ich sie betrachtete, desto fremder wirkte sie auf mich.
Zuletzt sagte ich verzweifelt: »Agrippina, niemand anders als Agrippina ist an deinem Schicksal schuld. Ich wollte dein Bestes und wandte mich in meiner Dummheit an sie, um ein Wort für dich einzulegen.«
»Habe ich mich beklagt?« fragte Claudia scharf. »Alles, was mir angetan wurde, geschah mit Gottes Willen, um meinen Hochmut zu strafen und mich zu demütigen. Glaubst du, ich wäre noch am Leben, wenn nicht Christus meinem Herzen Kraft gegeben hätte?«
Wenn der Aberglaube der Christen ihr geholfen hatte, die Erniedrigung und den Sklavendienst zu ertragen, wollte ich ihr nicht widersprechen. Ich begann daher vorsichtig von mir selbst zu erzählen, und um ihr Vertrauen wiederzugewinnen, berichtete ich von meiner Begegnung mit Paulus und Kephas in Korinth und von meinem Freigelassenen Hierax Lausius, der Christ geworden war und großen Einfluß unter den anderen Christen hatte. Claudia hörte mir, den Kopf in die Hand gestützt, aufmerksam zu. Ihre dunklen Augen hellten sich auf, und sie sagte lebhaft: »Wir sind hier in Puteoli mehrere Brüder und Schwestern, die Jesus als den Christus anerkennen. Auch unter den Seeleuten gibt es Brüder, die sich bekehrten, als sie hörten, daß Jesus von Nazareth über das Wasser gegangen ist. Ich wäre sonst nicht aus dem geschlossenen Haus in Misenum herausgekommen.«
»Das Leben der Seeleute ist voller Gefahren«, sagte ich. »In Puteoli und Neapolis wird alles abgeladen, was aus dem Osten kommt. Es wundert mich daher nicht, daß die Juden auch den neuen Glauben hierhergebracht haben.«
Claudia sah mich forschend an: »Und du, Minutus?« fragte sie. »Glaubst du an etwas?«
Ich dachte eine Weile nach, schüttelte den Kopf und bekannte: »Nein, Claudia. Ich glaube an nichts mehr. Ich bin verhärtet.«
»Dann muß ich dir den rechten Weg zeigen«, sagte sie entschlossen und preßte ihre harten Handflächen gegeneinander. »Deshalb bist du hierhergeführt worden, deshalb hast du mich nach so vielen Jahren gesucht, um mich von der Sklaverei loszukaufen. Nach Misenum war die Sklaverei gewiß die größte Gnade, die Gott mir zuteil werden ließ.«
»Ich bin von niemandem geführt worden«, wandte ich gereizt ein. »Ich habe aus eigenem freiem Willen nach dir zu suchen begonnen, sobald ich aus Agrippinas Mund hörte, wie grausam sie mich getäuscht hatte.«
Claudia sah mich mitleidig an und sagte: »Minutus, du hast keinen eigenen Willen und hast nie einen gehabt, sonst wäre alles anders gekommen. Ich verlasse die Christen in Puteoli nicht gern, aber ich sehe ein, daß ich mit dir nach Rom gehen und Tag und Nacht auf dich einwirken muß, bis du deinen Hochmut ablegst und Untertan in Christi heimlichem Reiche wirst. Sieh mich nicht so entsetzt an. Bei ihm allein findet man wahren Frieden und wahre Freude in dieser verworrenen Welt, die bald untergehen wird.«
Ich dachte mir, daß Claudia nach all dem Schweren, das sie erlebt hatte, wohl nicht mehr ganz bei Sinnen war, und widersprach ihr deshalb nicht. Wir reisten zusammen auf einem Frachtschiff, das wilde Tiere an Bord hatte, nach Antium und von dort aus nach Ostia. In Rom angekommen, führte ich sie heimlich in mein Haus auf dem Aventin. Ich stellte sie als Dienerin an, und Tante Laelia gewann sie lieb und hielt sie für ihre einstige Amme. Sie war in ihren Gedanken ganz in ihre Kindheit zurückgekehrt und am glücklichsten, wenn sie mit Puppen spielen durfte.
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