Nero hatte sich, zwar unruhig, aber nichts Böses ahnend, von uns treuen Freunden umgeben, bald weinend, bald lachend, darauf vorbereitet, den Tod seiner Mutter zu betrauern. Er plante Trauerfeiern im ganzen Imperium und entwarf eine Mitteilung an den Senat und das Volk von Rom.
Da ihm das Gewissen doch keine Ruhe ließ, fragte er uns, ob er wohl den Vorschlag machen dürfe, Agrippina zur Göttin zu erhöhen. Sie war schließlich die Tochter des großen Germanicus, die Schwester des Kaisers Gajus, Witwe nach Claudius und Mutter des Kaisers Nero, mithin eine Frau von noch höheren Verdiensten, als es Livia gewesen war. All dies wirkte auf eine grauenerregende Weise lächerlich, und wir begannen uns gegenseitig zu Mitgliedern des Priesterkollegiums der neuen Göttin zu ernennen.
Während wir so unsern Scherz trieben, kam plötzlich Obaritus hereingestürzt und meldete, daß das Schiff nur zur Hälfte auseinandergefallen war und daß von Agrippina jede Spur fehlte. Die Hoffnung, sie könnte ertrunken sein, erlosch, als kurz darauf an der Spitze eines jubelnden Volkshaufens die Fischer ankamen und von Agrippinas Rettung berichteten. Sie hofften, Nero werde sie belohnen, aber der verlor die Fassung und schickte nach Seneca und Burrus wie ein Schuljunge, den man bei einem Streich ertappt hat und der nun weinend zu seinem Lehrer flüchtet.
Ich behielt so viel Geistesgegenwart, daß ich Anicetus befahl, die Fischer an einem sicheren Ort einzusperren, während sie auf ihre Belohnung warteten, damit sie nicht Gerüchte verbreiteten, die die ohnehin verworrene Lage noch hätten verschlimmern können. Zum Glück für Nero hatte Agrippina den Fischern gegenüber offenbar keinen Verdacht geäußert, denn sonst würden diese nicht so froh und in aller Unschuld von der Rettung gesprochen haben.
Seneca und Burrus erschienen zur gleichen Zeit, Seneca barfuß und im Untergewand. Nero benahm sich wie ein Wahnsinniger und rannte hin und her. Anicetus berichtete kurz, was geschehen war. Von seinem schlechten Gewissen gequält, fürchtete Nero ernstlich für sein eigenes Leben, und er schrie laut hinaus, was seine erregte Phantasie ihm vorgaukelte. Agrippina bewaffnete ihre Sklaven oder wiegelte die Soldaten der Garnison gegen ihn auf, oder sie befand sich bereits auf dem Wege nach Rom, um ihn vor dem Senat des Mordversuchs anzuklagen, ihre Wunden vorzuweisen und von dem grausamen Tod ihrer Diener zu berichten.
Seneca und Burrus waren erfahrene Staatsmänner und brauchten keine langen Erklärungen. Seneca begnügte sich damit, Burrus fragend anzusehen. Burrus zuckte die Schultern und sagte: »Ich werde weder die Prätorianer noch die Germanen der Leibwache ausschicken, um die Tochter des Germanicus zu töten.« Dann wandte er sich mit einer Miene unverhohlenen Abscheus nach Anicetus um und fügte hinzu: »Anicetus soll zu Ende führen, was er begonnen hat. Ich wasche meine Hände.«
Anicetus ließ es sich nicht zweimal sagen. Er fürchtete mit gutem Grund für sein eigenes Leben. Nero hatte ihn bereits in seinem Zorn mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er versprach eifrig, mit Hilfe der Seeleute seinen Auftrag auszuführen. Nero starrte Seneca und Burrus mit einem irren Blick an und rief vor wurfsvoll: »Erst heute nacht werde ich der Vormundschaft ledig und wirklich zum Herrscher. Aber ich verdanke die Macht einem ehemaligen Barbier, einem freigelassenen Sklaven, nicht dem Staatsmann Seneca und nicht dem Feldherrn Burrus. Geh, Anicetus, beeile dich und nimm alle mit, die willens sind, ihrem Herrscher diesen Dienst zu erweisen.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als er plötzlich erbleichte und einen Schritt zurücktrat, denn man meldete ihm, ein Freigelassener Agrippinas, ein gewisser Agerinus, habe ihm eine Botschaft auszurichten. »Ein Mörder!« rief Nero, ergriff sein Schwert und verbarg es unter seinem Mantel.
Er hatte im Grunde nichts zu befürchten, denn die durch den Blutverlust und von der Anstrengung des Schwimmens erschöpfte Agrippina hatte ihre Möglichkeiten überdacht und eingesehen, daß ihr nichts anderes blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu, machen und so zu tun, als ahnte sie nichts von dem Mordanschlag. Agerinus trat zitternd ein und brachte mit einem leichten Stottern seine Botschaft vor: »Die Götter und der Schutzgeist des Kaisers haben mich vor dem Tode bewahrt. Sosehr es dich erschrecken wird, von der Gefahr zu hören, die deiner Mutter drohte, sollst du mich einstweilen nicht aufsuchen. Ich brauche Ruhe.«
Als Nero erkannte, daß er von Agerinus nichts zu fürchten hatte, gewann er die Fassung zurück, ließ heimlich das Schwert dem Boten vor die Füße fallen, sprang zurück, zeigte anklagend auf die Waffe und rief: »Ich nehme euch alle zu Zeugen dafür, daß meine eigene Mutter ihren Freigelassenen geschickt hat, um mich zu ermorden!«
Wir stürzten vor und ergriffen Agerinus, ohne auf seine verzweifelten Einwände zu achten. Nero befahl, ihn gefangenzusetzen, aber Anicetus, kaum daß er mit ihm den Raum verlassen hatte, hielt es für klüger, ihm das Schwert in den Hals zu stoßen. Ich beschloß, Anicetus zu begleiten, um mich zu vergewissern, daß er seinen Auftrag auch wirklich zu Ende führte. Nero eilte uns nach, glitt im Blut des Agerinus aus und rief erleichtert: »Meine Mutter trachtet mir nach dem Leben. Niemand wird sich darüber wundern, daß sie sich selbst das Leben nahm, als ihr Verbrechen aufgedeckt wurde. Handelt danach!«
Auch Obaritus schloß sich uns an, um seinen Fehler wiedergutzumachen. Anicetus befahl seinem nächsten Untergebenen, Herculeius, in der Kaserne Alarm zu schlagen. Wir holten unsere Pf erde und ritten los. Eine Schar Seesoldaten lief barfuß vor uns her und trieb brüllend und die Schwerter schwingend die Menge auseinander, die nach Bauli unterwegs war, um Agrippina zu huldigen, und uns am Vorwärtskommen hinderte.
Als wir in Bauli ankamen, graute der Morgen. Anicetus befahl seinen Leuten, das Haus zu umzingeln. Wir schlugen die Tür ein und verjagten die Sklaven, die Widerstand zu leisten versuchten. Der Schlafraum war spärlich erhellt. Agrippina lag mit einem warmen Umschlag um die eine Schulter in ihrem Bett. Eine Dienerin, die gerade nach ihr gesehen hatte, floh Hals über Kopf. Agrippina hob die Hand und rief nach ihr: »So verläßt auch du mich!«
Anicetus schloß die Tür hinter uns, damit nicht zu viele Zuschauer nachdrängten. Agrippina grüßte uns mit matter Stimme und sagte: »Wenn ihr gekommen seid, um auch nach meinem Befinden zu erkundigen, so sagt meinem Sohn, daß ich mich schon ein wenig erholt habe.«
Dann erst sah sie unsere Waffen. Ihre Stimme wurde fester, und sie rief drohend: »Wenn ihr aber gekommen seid, um mich zu töten, so glaube ich nicht, daß es auf Befehl meines Sohnes geschieht. Er würde nie einen Muttermord begehen!«
Anicetus, Herculeius und Obaritus traten an ihr Lager, standen täppisch da und wußten nicht, was sie tun sollten, so gebieterisch wirkte Agrippina noch als Kranke. Ich selbst drückte mit dem Rücken die Tür zu. Endlich versetzte Herculeius Agrippina mit seinem kurzen Befehlsstab einen Schlag auf den Kopf, jedoch so ungeschickt, daß sie nicht das Bewußtsein verlor. Er hatte die Absicht gehabt, sie bewußtlos zu schlagen, um ihr dann die Pulsadern aufzuschneiden, so daß die Behauptung, sie habe Selbstmord verübt, wenigstens den Anschein von Wahrscheinlichkeit gehabt hätte.
Agrippina gab nun alle Hoffnung auf. Sie entblößte den Unterleib, spreizte die Beine auseinander und schrie Anicetus zu: »Stoße dein Schwert in den Schoß, der Nero geboren hat!«
Der Zenturio zog sein Schwert und stieß zu. Danach hieben und stachen auch die anderen auf Agrippina ein, so daß sie viele Wunden erhielt, ehe sie röchelnd den letzten Atemzug tat.
Als wir uns vergewissert hatten, daß sie tot war, steckten wir rasch einige kleine Gegenstände, die sich im Raum befanden, als Andenken zu uns. Anicetus befahl den Dienern, die Leiche zu waschen und für den Scheiterhaufen herzurichten. Ich selbst nahm eine kleine goldene Fortunastatue mit, die neben dem Bett stand und von der ich glaubte, sie sei dieselbe, die Kaiser Gajus seinerzeit immer bei sich gehabt hatte. Später erfuhr ich, daß sie es nicht war, und das betrübte mich.
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