Nero beteiligte sich nun öffentlich an Wagenrennen und erklärte zu seiner Rechtfertigung, sie seien vorzeiten ein Zeitvertreib der Götter und Könige gewesen. Um den Vornehmen Roms ein Beispiel zu geben, trat er vor seinen großen Spielen nach griechischem Vorbild als Sänger auf und begleitete sich selbst auf der Zither. Seine Stimme war seit dem Tod seiner Mutter kräftig, weittragend und blank wie Metall geworden. Sicherheitshalber schickte jedoch Burrus jedesmal eine Abteilung Prätorianer ins Theater, die für Ruhe und Ordnung zu sorgen und Nero Beifall zu spenden hatten. Er ging selbst mit gutem Beispiel voran und klatschte laut, obwohl er sich für das Benehmen seines Kaisers schämte. Vielleicht war er aber im stillen der Meinung, daß Nero auf einen noch viel schändlicheren Zeitvertreib als diesen verfallen konnte.
Die Folge von all dem war, daß die griechische Mode endgültig Rom eroberte. Ein großer Teil der Senatoren und der Ritterschaft nahm an Neros Spielen teil. Vornehme junge Mädchen führten griechische Tänze auf, und sogar zu Jahren gekommene Matronen stellten in der Arena die Geschmeidigkeit ihrer Glieder unter Beweis. Ich hatte nichts gegen die Vergnügungen, die das Volk veredeln sollten, da sie mir Mühe und Unkosten ersparten, aber das Volk selbst konnte den Vorführungen mit Ausnahme der Wagenrennen keinen Geschmack abgewinnen.
Es war der Ansicht, daß Berufskünstler – Sänger, Spielleute, Tänzer und Schauspieler – ihre Sache unvergleichlich besser machten als Laien, und es herrschte auch große Enttäuschung darüber, daß nicht einmal in den Pausen wilde Tiere vorgeführt wurden, von den Gladiatoren ganz zu schweigen. Die Älteren unter den Vornehmen waren entsetzt, weil sie meinten, daß gymnastische Übungen, heiße Bäder und weibische Musik die römische Jugend verweichlichten und ihre Kriegstüchtigkeit gerade in einem Augenblick schwächten, da Rom nicht genug hart erzogene und vorzüglich ausgebildete Kriegstribunen haben konnte.
Wie um ihnen recht zu geben, brach der Krieg in Armenien von neuem aus, und in Britannien einte eine Frau namens Boadicea die Stämme zu einer großen Erhebung gegen Rom. Eine ganze Legion wurde aufgerieben, mehrere römische Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, und der Prokurator verlor in dem Maße die Fassung, daß er nach Gallien floh.
Ich für meinen Teil glaube, daß die Königin Boadicea kaum so viele Anhänger in Britannien gewonnen hätte, wenn die Legionen nicht gezwungen gewesen wären, sich aus dem Lande zu ernähren, und wenn die hohen Zinsen und Rückzahlungsraten für die Anleihen, die Seneca den britischen Stammeskönigen bewilligt hatte, nicht fällig gewesen wären. Die Barbaren verstehen nichts von dem heute üblichen Geldwesen.
Die jungen Ritter zeigten keine Lust, freiwillig nach Britannien zu gehen, um sich pfählen und verbrennen zu lassen. Sie blieben lieber in Rom, klimperten auf der Zither, wanderten in der griechischen Tunika umher und ließen sich die Haare lang wachsen. Bevor die Lage noch endgültig geklärt war, gab Nero dem Senat zu bedenken, ob es nicht überhaupt das beste sei, die Legionen aus Britannien zurückzuziehen. Das Land verschlang mehr, als es einbrachte. Durch die Aufgabe Britanniens wurden drei Legionen frei – die vierte war ja vernichtet worden – und konnten im Osten den Parthern entgegengestellt werden.
Während der erregten Debatte, die auf diesen Vorschlag folgte, hielt Seneca, der Fürsprecher des Friedens und der Menschenliebe, eine glänzende Rede, in der er auf die Siege des Gottes Claudius in Britannien hinwies. Nero könne nicht auf die Eroberungen seines Adoptivvaters verzichten, sagte er, ohne seinen Namen und seinen Ruf zu verlieren. In Wirklichkeit ging es Seneca natürlich nur um die ungeheuren Geldsummen, die er in Britannien angelegt hatte.
Einer der Senatoren fragte, ob es unbedingt nötig gewesen sei, daß siebzigtausend römische Bürger und Bundesgenossen ermordet und zwei blühende Städte geplündert und niedergebrannt wurden, nur um Senecas Einkünfte zu schützen. Seneca errötete und versicherte, das Geld, das er den Briten geliehen hatte, sei dazu bestimmt, das Land zu zivilisieren und den Handel zu fördern. Dies könnten andere Senatoren bezeugen, die ihre Mittel für denselben Zweck zur Verfügung gestellt hätten. Wenn einige unzuverlässige Stammeskönige die Anleihen dazu verwendet hatten, in Saus und Braus zu leben und Waffen anzuschaffen, so sei dies nicht seine Schuld. Die Hauptursache des Krieges sei ohne Zweifel das willkürliche, politisch unkluge Verhalten der Legionen. Man müsse ihre Befehlshaber bestrafen und unverzüglich Entsatz nach Britannien schicken.
Der Senat dachte selbstverständlich nicht daran, Britannien aufzugeben, denn noch ist der alte Römerstolz nicht erloschen. Man beschloß zuletzt, neue Truppen zu entsenden. Einige ergrimmte Väter zwangen ihre erwachsenen Söhne sogar, sich das Haar schneiden zu lassen und als Kriegstribunen nach Britannien zu gehen. Sie nahmen ihre Zither mit, warfen sie aber in die Büsche, als sie die verheerten Städte sahen und das gellende Kriegsgeschrei der Briten hörten, und kämpften tapfer.
Ich habe meine besonderen Gründe, so viel über die Ereignisse in Britannien zu berichten, obwohl ich selbst in Rom blieb. Boadicea war die Königin der Icener. Als ihr Gatte starb, legten die römischen Beamten sein Testament dahingehend aus, daß sein Land römisches Erbland wurde. Das Testament war allerdings so abgefaßt, daß sogar wir selbst zu seiner Auslegung gelehrte Juristen benötigten. Als Boadicea gegen den Beschluß Einspruch erhob und geltend machte, daß sie nach altem britischem Recht als Frau erbberechtigt sei, wurde sie von Legionären ausgepeitscht und enteignet, und ihre beiden Töchter wurden geschändet. Die Legionäre verjagten überdies viele vornehme Icener von ihrem Besitz, mordeten und begingen zahllose andere Übeltaten.
Sie hatten das Recht auf ihrer Seite. Der König, der selbst des Lesens unkundig gewesen war, hatte tatsächlich ein Testament aufsetzen lassen, in dem er sein Land dem Kaiser vermachte. Er hatte geglaubt, dadurch die Stellung seiner Witwe und seiner Töchter gegenüber den eifersüchtigen icenischen Edlen zu sichern. Die Icener waren außerdem von Anfang an Bundesgenossen Roms gewesen, obwohl sie uns Römer nicht liebten.
Zur Entscheidungsschlacht kam es nach dem Eintreffen der Entsatztruppen. Die von der rachsüchtigen Königin geführten Briten wurden vernichtend geschlagen. Rom vergalt Gleiches mit Gleichem und rächte die Schandtaten, die die Icener auf Boadiceas Geheiß an römischen Frauen begangen hatten.
In Rom traf ein langer Zug britischer Sklaven ein, allerdings nur Frauen und halbwüchsige Knaben, denn erwachsene Briten taugen nicht zu Sklaven, und Nero hatte zur großen Enttäuschung des Volkes verboten, Kriegsgefangene im Amphitheater kämpfen zu lassen.
Eines Tages suchte mich ein Sklavenhändler auf, der einen etwa zehnjährigen Britenknaben an einem Strick mit sich führte. Er trat sehr geheimnisvoll auf, zwinkerte mir unablässig zu und verlangte, daß ich alle Zeugen fortschickte. Als dies geschehen war, klagte er eine Weile über die schlechten Zeiten, seine großen Ausgaben und den Mangel an willigen Käufern. Der Knabe sah sich unterdessen mit zornigen Blicken um. Endlich erklärte der Sklavenhändler: »Dieser junge Krieger versuchte mit dem Schwert in der Hand seine Mutter zu verteidigen, als unsere ergrimmten Legionäre sie schändeten und erschlugen. Aus Achtung vor seiner Tapferkeit ließen sie ihn am Leben und verkauften ihn mir. Wie du an seinen geradegewachsenen Gliedern, seiner zarten Haut und seinen grünen Augen siehst, ist er von edler icenischer Abstammung. Er kann reiten, schwimmen und mit dem Bogen schießen, und ob du es glaubst oder nicht: er kann sogar ein bißchen lesen und schreiben und ein paar Brocken Latein radebrechen. Man hat mir gesagt, du wirst ihn unbedingt kaufen wollen und mir mehr bieten, als ich auf dem Sklavenmarkt für ihn bekommen kann.«
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