Jucundus ertrug ihre Küsse und Liebkosungen geduldig wie ein Opferlamm. Die Erziehung durch Kephas begann schon Früchte zu tragen. Tullia fuhr wehmütig fort: »Die Götter haben mir nie ein eigenes Kind gegönnt. In meiner Jugend, während meiner ersten beiden Ehen, hatte ich nichts als Fehlgeburten. Mein dritter Mann, Valerius, war seines hohen Alters wegen unfruchtbar, wenn sonst auch reich, und Marcus vergeudete seinen Samen in den Schoß eines griechischen Freudenmädchens. Doch genug davon, ich will deine Mutter nicht beleidigen, lieber Minutus. Aber daß dieser kleine Brite in unser Haus gekommen ist, darin sehe ich ein Zeichen. Marcus, rette den schönen Jucundus aus den Händen deines Sohnes. Sabina ist imstande und macht noch einen Tierbändiger aus ihm. Könnten wir ihn nicht adoptieren und wie unser eigenes Kind aufziehen?«
Ich war vor Verwunderung wie gelähmt, und mein Vater wußte zuerst nicht, was er sagen sollte. Wenn ich heute über dieses Geschehnis nachdenke, weiß ich mir keine andere Erklärung als die, daß dem Holzbecher meiner Mutter irgendeine übernatürliche Kraft innewohnte.
Wie dem auch war, ich wurde auf diese Weise von einer drückenden Pflicht befreit, denn ich taugte damals kaum dazu, jemanden zu erziehen. Ich tauge auch heute noch nicht dazu. Diese bittere Erkenntnis verdanke ich Dir, Julius. Ich hatte aus mancherlei Gründen einen schlechten Ruf, während man meinen Vater allgemein für einen gutmütigen Dummkopf ansah. Er hatte keinen Ehrgeiz, und niemand vermochte sich vorzustellen, daß er sich mit Absicht und Bedacht in politische Intrigen einmischen könnte.
Als Sachverständiger für orientalische Angelegenheiten hatte er der Form halber zwei Monate lang eine Prätur innegehabt, und einmal war er aus reinem Wohlwollen sogar zum Konsul vorgeschlagen worden. Als sein Adoptivsohn hatte Jucundus unvergleichlich bessere Zukunftsaussichten, und als Sohn eines Senators konnte er sich gleich unter den ersten Namen in die Ritterrolle einschreiben lassen, sobald er die Toga anlegte.
Kurz nachdem ich diese Sorge losgeworden war, erfuhr ich, daß der Prätorianerpräfekt Burrus mit einem Halsgeschwür auf den Tod darniederlag. Nero schickte ihm seinen eigenen Leibarzt. Als Burrus dies erfuhr, schrieb er sein Testament und sandte es zur Verwahrung in den Vestatempel.
Erst dann erlaubte er dem Arzt, ihm mit einer Feder, die in eine unfehlbare Arznei getaucht worden war, den Hals zu pinseln. Schon in der nächsten Nacht war er endgültig tot. Er wäre wahrscheinlich auf jeden Fall gestorben, denn die Blutvergiftung hatte sich schon ausgebreitet, und er hatte bereits im Fieber irrezureden begonnen.
Man begrub Burrus unter großen Ehrenbezeigungen. Bevor der Scheiterhaufen auf dem Marsfeld angezündet wurde, ernannte Nero Tigellinus zum Präfekten der Prätorianer. Dieser ehemalige Pferdehändler brauchte keine juristischen Erfahrungen. Mit der Behandlung von Streitsachen zwischen römischen Bürgern und Ausländern wurde ein gewisser Fenius Rufus betraut, ein Mann jüdischer Abstammung, der ehedem in seiner Eigenschaft als staatlicher Aufseher über den Getreidehandel weit gereist war.
Ich ging auf der Suche nach einem Geschenk, das ich für wertvoll genug halten durfte, durch die ganze Straße der Goldschmiede und entschied mich zuletzt für eine mehrfach geschlungene Halskette aus erlesenen Perlen. Diese sandte ich mit folgendem Brief an Poppaea:
»Minutus Lausus Manilianus grüßt Poppaea Sabina.
Venus wurde aus dem Schaum des Meeres geboren. Perlen sind eine würdige Gabe für Venus, wenngleich der Glanz der allerreinsten dieser bescheidenen parthischen Perlen nicht mit dem Schimmer Deiner Haut verglichen werden darf, den ich nicht vergessen kann. Ich hoffe, diese Perlen werden Dich an unsere Freundschaft erinnern. Gewisse Zeichen sagen mir, daß die Weissagung, von der Du mir einst sprachst, bald in Erfüllung gehen wird.«
Ich war offenbar der erste, der die Vorzeichen richtig zu deuten verstand, denn Poppaea ließ mich sogleich zu sich rufen, dankte mir für das schöne Geschenk und versuchte mich auszuhorchen, woher ich gewußt hätte, daß sie schwanger war, denn sie hatte selbst erst vor wenigen Tagen Gewißheit erhalten. Ich konnte mich nur auf mein etruskisches Erbe ausreden, dem ich bisweilen seltsame Träume verdankte. Zuletzt sagte Poppaea: »Nach dem traurigen Tod seiner Mutter war Nero eine Zeitlang nicht Herr seiner selbst und wollte sich von mir lossagen. Aber nun ist alles wieder gut. Er braucht wirkliche Freunde, die ihm zur Seite stehen und seine politischen Pläne unterstützen.«
Die brauchte Nero in der Tat, denn seit er Octavia vor dem Senat der Unfruchtbarkeit angeklagt und seine Absicht angedeutet hatte, sich von ihr scheiden zu lassen, herrschten in der Stadt gefährliche Unruhen. Er hatte versuchsweise eine Statue Poppaeas auf dem Forum, nahe dem Brunnen der Vestalinnen, aufstellen lassen. Ein Volkshaufe warf sie um, bekränzte die Standbilder Octavias und zog johlend den Palatin hinauf, so daß die Prätorianer zu den Waffen greifen mußten, um ihn auseinanderzujagen.
Ich vermutete, daß Seneca seine geschickten Finger mit im Spiel hatte, denn diese Kundgebungen schienen nach einem bestimmten Plan zu verlaufen. Nero bekam es jedoch mit der Angst zu tun und ließ Octavia zurückrufen, die auf seinen Befehl schon nach Kampanien unterwegs war. Eine jubelnde Menge folgte ihrer Sänfte, und in den Tempeln auf dem Kapitolinischen Hügel wurden Dankopfer dargebracht, als sie ins Palatium zurückgekehrt war.
Tags darauf schickte Nero nach zwei Jahren zum erstenmal wieder nach mir. Eine der Dienerinnen hatte Octavia des Ehebruchs mit einem alexandrinischen Flötenbläser namens Eucerus bezichtigt, und Tigellinus hatte sofort eine geheime Verhandlung angesetzt, bei der Octavia selbst nicht zugegen war.
Ich wurde als Zeuge vernommen, da ich Eucerus kannte, und ich konnte nichts anderes sagen, als daß der Klang der Flöte allein schon dazu angetan sei, dem Menschen leichtfertige Gedanken einzuflößen. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Octavia Eucerus wehmütig seufzend betrachtete, als er einmal bei Tisch spielte. Aber, fügte ich um der Gerechtigkeit willen hinzu, Octavia seufzte auch bei anderen Anlässen und war überhaupt, wie jedermann wußte, meist traurig gestimmt.
Octavias Sklavinnen wurden einer peinlichen Befragung unterzogen. Mir wurde unbehaglich zumute, als ich zusah. Einige waren bereit zu gestehen, vermochten aber nicht anzugeben, wann, wo und unter welchen Umständen der Ehebruch stattgefunden habe. Tigellinus griff in das Verhör ein, das nicht nach seinem Wunsch ging, und fragte ein sehr reizvolles Mädchen ungeduldig: »Sprach denn nicht die ganze Dienerschaft über diesen Ehebruch?«
Das Mädchen erwiderte spöttisch: »Wenn man alles glauben will, was geredet wird, dann ist Octavias Scham unvergleichlich keuscher als dein Mund, Tigellinus.«
Diese Worte lösten ein solches Gelächter aus, daß das Verhör abgebrochen werden mußte. Das Laster des Tigellinus war allgemein bekannt, und nun hatte er auch noch seine Unkenntnis in juristischen Dingen unter Beweis gestellt, indem er der Sklavin durch seine plumpe Frage eine Antwort förmlich in den Mund legte, die offenkundig nicht der Wahrheit entsprach. Das Mitgefühl der Richter galt den Sklavinnen, und sie ließen nicht zu, daß Tigellinus die peinliche Befragung gegen die Gesetzesvorschriften so weit trieb, daß die armen Frauen bleibenden Schaden hätten nehmen können.
Die Verhandlung wurde auf den nächsten Tag aufgeschoben, an dem als einziger Zeuge mein alter Freund Anicetus auftrat. Mit gespielter Verlegenheit berichtete er, indem er Ort und Zeit genau angab, daß Octavia bei einem Badeaufenthalt in Baiae ein überraschendes Interesse für die Flotte gezeigt und den Wunsch geäußert hatte, die Kapitäne und Zenturionen kennenzulernen.
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