Ihr Arzt war ihr aufgeregt gefolgt. »Poppaea wird ihr Kind verlieren, wenn sie sich nicht beruhigt«, versicherte er und versuchte, sie mit sanfter Gewalt aufzuheben.
»Wie soll ich Ruhe finden, solange dieses entsetzliche Weib auf Pandataria seine Ränke schmiedet!« klagte Poppaea. »Sie hat dein Bett entehrt, sie hat Zauberei getrieben und mich zu vergiften versucht. Ich habe mich heute vor Angst schon einige Male erbrechen müssen.«
Tigellinus sagte mit Nachdruck: »Wer einmal seinen Weg gewählt hat, darf nicht mehr zurückblicken. Wenn dir an deinem eigenen Leben nichts liegt, Nero, so denke an uns. Durch deine Unentschlossenheit bringst du uns alle in Gefahr. Wen werden die Aufrührer als erste aus dem Weg räumen? Uns, deine Freunde, die dein Bestes wollen und nicht, wie Seneca, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Vor dem Unvermeidlichen müssen sich selbst die Götter beugen.«
Nun wurden auch Neros Augen feucht, und er bat uns: »Seid ihr alle meine Zeugen, daß dies die schwerste Stunde meines Lebens ist. Ich gebiete meinen eigenen Gefühlen zu schweigen und unterwerfe mich der politischen Notwendigkeit.«
Tigellinus’ harte Züge erhellten sich, und er hob den Arm zum Gruß. »Nun bist du ein wahrer Herrscher, Nero. Zuverlässige Prätorianer sind bereits auf dem Wege nach Massilia. Nach Asia habe ich, da wir mit bewaffnetem Widerstand rechnen müssen, eine ganze Manipel geschickt. Der Gedanke war mir unerträglich, daß deine Neider die Gelegenheit nützen könnten, dich zu stürzen und dem Vaterland zu schaden.«
Anstatt sich über diese Eigenmächtigkeit zu erzürnen, seufzte Nero erleichtert auf und lobte Tigellinus als wahren Freund. Dann fragte er zerstreut, wie lange ein Eilbote nach Pandataria brauche.
Nur wenige Tage danach fragte mich Poppaea Sabina mit geheimnisvoller Miene: »Willst du das schönste Hochzeitsgeschenk sehen, das ich von Nero bekommen habe?«
Sie führte mich in eines ihrer Gemächer, zog ein rotbraun geflecktes Tuch von einem Weidenkorb und zeigte mir Octavias blutleeren Kopf. Sie rümpfte ihre hübsche Nase und sagte: »Pfui, er fängt schon an zu stinken und die Fliegen anzuziehen. Mein Arzt hat mir befohlen, ihn wegzuwerfen, aber wenn ich ab und zu dieses Hochzeitsgeschenk betrachte, dann weiß ich, daß ich wirklich die Gemahlin des Kaisers bin. Denk dir, als die Prätorianer sie in ein heißes Bad hoben, um ihr auf schmerzlose Art die Pulsadern zu öffnen, schrie sie wie ein Mädchen, das seine Puppe zerbrochen hat: ›Ich habe nichts getan!‹ Dabei war sie immerhin schon zwanzig Jahre alt, aber ich glaube, sie war ein wenig zurückgeblieben. Wer weiß, von wem Messalina sie hatte. Vielleicht sogar von dem verrückten Kaiser Gajus.«
Nero forderte den Senat auf, ein Dankopfer im Kapitol für die glücklich abgewendete Gefahr, die dem Staat gedroht hatte, zu beschließen. Zwölf Tage später traf aus Massilia der vorzeitig ergraute Kopf des Faustus Sulla ein, und der Senat beschloß von sich aus, mit den Dankopfern fortzufahren.
In der Stadt verbreitete sich das hartnäckige Gerücht, Plautus habe in Asia einen regelrechten Aufstand angestiftet. Man sprach von einem möglichen Bürgerkrieg und dem Verlust der ganzen Provinz. Die Folge davon war, daß Gold und Silber im Preis stiegen und viele es für angebracht hielten, Grundstücke und Ländereien zu verkaufen. Ich nutzte die Gelegenheit und schloß einige sehr günstige Geschäfte ab.
Als Plautus’ Kopf endlich, mit einer gewissen Verzögerung wegen des stürmischen Wetters, aus Asia eintraf, war die allgemeine Erleichterung so groß, daß nicht nur der Senat, sondern auch einfache Bürger Dankopfer darbrachten. Nero machte sich diese Stimmung zunutze, um Rufus wieder in sein früheres Amt als Aufseher über den Getreidehandel einzusetzen und ihn zugleich zum Verwalter der staatlichen Getreidevorräte zu befördern. Tigellinus führte unter seinen Prätorianern eine Säuberung durch und schickte eine ganze Anzahl verdienter Männer vorzeitig in die Veteranenkolonie in Puteoli. Ich selbst war nach all diesen Ereignissen um, vorsichtig geschätzt, fünf Millionen Sesterze reicher.
Seneca nahm an den festlichen Umzügen und den Dankopfern teil, aber viele bemerkten, daß sein Schritt wankte und seine Hände zitterten. Er war nun schon fünfundsechzig Jahre alt und dick geworden. Sein Gesicht war aufgedunsen, und über den Backenknochen traten die Adern blau hervor. Nero wich ihm nach Möglichkeit aus und vermied es, mit ihm unter vier Augen zusammenzutreffen, weil er seine Vorwürfe fürchtete.
Eines Tages bat Seneca jedoch um eine offizielle Audienz. Nero versammelte vorsichtshalber seine Freunde um sich und hoffte, Seneca werde es nicht wagen, ihn im Beisein anderer zu tadeln. Dies war auch nicht seine Absicht gewesen. Er hielt vielmehr eine schöne Rede und pries Nero für seinen Weitblick und die Entschlossenheit, mit der er das Vaterland aus Gefahren errettet hatte, die seine, Senecas, eigenen, alt gewordenen Augen nicht mehr zu erkennen vermochten. Danach war Seneca für niemanden mehr zu sprechen. Er verabschiedete seine Ehrenwache und zog aufs Land, auf sein schönes Landgut an der Straße nach Praeneste. Als Grund gab er an, daß er leidend sei und sich im übrigen mit einem philosophischen Werk über die Freuden der Entsagung beschäftigen wolle. Er hielt angeblich strenge Diät und wich den Menschen aus, so daß er seine Reichtümer nicht zu genießen vermochte.
Mir wurde die unerwartete Ehre zuteil, mitten in einer Amtsperiode zum außerordentlichen Prätor ernannt zu werden. Das verdankte ich wahrscheinlich der Freundschaft Poppaeas, andrerseits aber auch der Tatsache, daß Tigellinus mich für willensschwach genug hielt. Nero, der unter der Stimmung litt, die durch die politischen Morde entstanden war, und sich zudem wegen Poppaeas Schwangerschaft beunruhigte, fühlte das Bedürfnis, sich als guter, tüchtiger Herrscher zu erweisen, und drang darauf, daß die vielen Prozesse, deren Akten sich im Prätorium türmten, endlich zu Ende gebracht wurden.
Sein Selbstvertrauen wurde übrigens bald durch ein seltsames Vorzeichen gestärkt. Während eines plötzlich losbrechenden Gewitters schlug ihm der Blitz einen goldenen Becher aus der Hand. Ich glaube allerdings nicht, daß der Blitz den Becher selbst getroffen, sondern eher, daß er so nahe bei Nero eingeschlagen hatte, daß diesem der Becher aus der Hand gefallen war. Man versuchte das Geschehnis geheimzuhalten, aber es wurde bald in der ganzen Stadt bekannt und selbstverständlich als böses Vorzeichen gedeutet.
Nach der uralten Blitzkunde der Etrusker ist jedoch ein Mensch, der vom Blitz getroffen wird, ohne getötet zu werden, heilig und den Göttern geweiht. Nero, der gern an Vorzeichen glaubte, betrachtete sich von dieser Stunde an als einen Heiligen und versuchte eine Zeitlang sogar dementsprechend aufzutreten, solange nämlich die aus politischen Gründen nötigen Morde sein überempfindliches Gewissen noch belasteten.
Als ich mein Amt antrat, stellte mir Tigellinus einen Raum zur Verfügung, der mit staubbedeckten Akten vollgestopft war. Sie betrafen allesamt Streitsachen, in denen sich im Ausland ansässige römische Bürger an den Kaiser gewandt hatten. Tigellinus legte einige davon zur Seite und sagte: »Ich habe ansehnliche Geschenke entgegennehmen müssen, um diese hier rascher zu erledigen. Bearbeite sie zuerst. Ich habe dich zu meinem Mitarbeiter erwählt, weil du eine gewisse Geschmeidigkeit in schwierigen Angelegenheiten bewiesen hast und weil du selbst so reich bist, daß deine Rechtschaffenheit nicht angezweifelt zu werden braucht. Die Ansichten, die bei deiner Ernennung im Senat geäußert wurden, waren übrigens nicht sehr schmeichelhaft. Sei also darauf bedacht, daß sich der Ruf unserer Rechtschaffenheit in allen Provinzen verbreitet. Wenn man dir Geschenke anbietet, so weigere dich, sie entgegenzunehmen. Du darfst aber durchblicken lassen, daß ich als Präfekt die Möglichkeit habe, eine Sache zu beschleunigen. Bedenke dabei jedoch, daß das endgültige Urteil in keinem Fall erkauft werden kann, denn es wird auf Grund unserer Vorträge von Nero selbst gefällt.«
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