Doch auch Barbus erschrak über seine Wildheit. Eines Tages nahm er mich beiseite und sagte: »Jucundus ist ein frecher Bursche, das steht ihm zu in seinem Alter, aber wenn er mir in allen Einzelheiten erzählt, was er einmal mit römischen Männern und Frauen anstellen will, dann kommt selbst mich alten Mann, der manches gesehen und erlebt hat, das Gruseln an. Ich fürchte, er hat entsetzliche Dinge mit ansehen müssen, als der Aufstand der Briten niedergeworfen wurde. Das schlimmste ist, daß er immerzu auf die Hügel hinaufgehen will, um Rom in seiner Barbarensprache zu verfluchen. Er verehrt heimlich unterirdische Götter und opfert ihnen Mäuse. Er ist von bösen Mächten besessen, und man kann ihn nicht erziehen, solange er nicht von seinen Dämonen befreit wird.«
»Wie sollte das zugehen?« fragte ich mißtrauisch.
»Der Kephas der Christen versteht es, Dämonen auszutreiben«, antwortete Barbus und wich meinem Blick aus. »Ich habe selbst gesehen, wie ein Tobsüchtiger auf seinen Befehl lammfromm wurde.«
Barbus fürchtete, ich könnte zornig werden, aber ich war weit davon entfernt und fragte mich vielmehr, warum ich nicht auch einmal Nutzen davon haben sollte, daß ich den Christen erlaubte, sich in meinem Haus zu versammeln, und meine Sklaven glauben ließ, was sie wollten. Als Barbus merkte, daß ich seinen Vorschlag günstig aufnahm, erzählte er mir voll Eifer, daß Kephas mit Hilfe seiner des Lateinischen kundigen Jünger die Kinder Demut und Gehorsam gegenüber den Eltern lehrte. Viele Bürger, die wegen der Zuchtlosigkeit der Jugend in großer Sorge waren, schickten ihre Kinder in eine Feiertagsschule, wo man obendrein nicht einmal etwas zu bezahlen brauchte.
Einige Wochen später kam Jucundus eines Tages ganz von selbst zu mir, ergriff mich an der Hand und zog mich in mein Zimmer hinein. »Ist es wahr, daß es ein unsichtbares Reich gibt und daß die Römer den König ans Kreuz geschlagen haben?« fragte er mich erregt. »Und stimmt es, daß er bald zurückkommen wird, um die Römer allesamt ins Feuer zu werfen?«
Ich fand es sehr vernünftig, daß er nicht einfach alles glaubte, was man ihm erzählte, sondern von mir eine Bestätigung verlangte. In diesen Dingen war ich allerdings ein schlechter Ratgeber, aber ich antwortete vorsichtig: »Es stimmt, daß die Römer ihn kreuzigten. Auf einem Schild auf dem Kreuz stand, daß er der König der Juden war. Mein Vater war damals dabei und sah alles mit eigenen Augen. Er behauptet noch heute, der Himmel habe sich verdunkelt und die Felsen seien eingestürzt, als der König starb. Die Christen glauben, er werde bald wiederkehren, und es ist nun schon hoch an der Zeit, denn seit seinem Tode sind mehr als dreißig Jahre vergangen.«
Jucundus sagte nachdenklich: »Der Lehrer Kephas ist ein Hirtendruide und mächtiger als die Druiden Britanniens, obwohl er Jude ist. Er verlangt dies und jenes von einem, ganz wie die Druiden. Man soll sich waschen und saubere Kleider tragen, man soll beten, Beschimpfungen erdulden, dem, der einen geschlagen hat, auch die andere Wange hinhalten. Das sind Selbstbeherrschungsproben, wie sie auch Petro gefordert hat. Wir haben auch geheime Zeichen, an denen die Eingeweihten einander erkennen.«
Ich sagte darauf: »Ich bin sicher, daß Kephas dich nichts Böses lehrt. Die Übungen, die er vorschreibt, erfordern große Willenskraft. Doch du weißt gewiß selbst, daß dies Geheimnisse sind, über die man nicht mit dem nächsten besten sprechen darf.«
Dann tat ich sehr geheimnisvoll, holte den Holzbecher meiner Mutter aus der Truhe, zeigte ihn Jucundus und sagte: »Dies ist ein Zauberbecher. Der König der Juden hat selbst einmal daraus getrunken. Nun wollen wir beide zusammen daraus trinken, aber du darfst zu keinem Menschen davon sprechen, nicht einmal zu Kephas.«
Ich goß Wein und Wasser in den Becher, und wir tranken, mein Sohn und ich. In dem dämmerigen Raum schien es mir, als würde der Becher nicht leerer, aber das war gewiß nur eine Sinnestäuschung, die von der schlechten Beleuchtung herrührte. Dennoch fühlte ich plötzlich große Zärtlichkeit, und ich erkannte wie durch Offenbarung, daß ich mit meinem Vater über Jucundus sprechen mußte.
Wir machten uns unverzüglich auf den Weg zu Tullias prachtvollem Haus auf dem Virinal. Jucundus benahm sich wirklich fromm wie ein Lamm und sah sich mit großen Augen um, denn solchen Prunk hatte er noch in keinem Haus gesehen. Der Senator Pudens, der Kephas aufgenommen hatte, wohnte eher ärmlich und altmodisch, und ich selbst hatte in meinem Haus auf dem Aventin, obwohl es schon viel zu eng geworden war, keine Änderungen vornehmen lassen, weil Tante Laelia den Lärm der Bauarbeiten nicht ertragen hätte.
Ich ließ Jucundus bei Tullia, schloß mich mit meinem Vater ein und erzählte ihm offen alles über meinen Sohn. Ich hatte meinen Vater schon lange nicht mehr aufgesucht. Tiefes Mitleid ergriff mich, als ich sah, wie kahl er geworden war. Er war nun schon über sechzig. Er hörte mich an, ohne ein Wort zu sagen und ohne mir auch nur ein einziges Mal in die Augen zu sehen.
Zuletzt sagte er: »Wie doch das Schicksal der Väter sich an den Söhnen wiederholt! Deine eigene Mutter war eine Griechin von den Inseln, die Mutter deines Sohnes eine Britin vom Stamm der Icener. Als ich jung war, wurde mein Name im Zusammenhang mit einem Giftmord und einer Testamentsfälschung genannt. Über dich habe ich so furchtbare Dinge gehört, daß ich sie nicht ganz glauben kann. Deine Ehe mit Sabina hat mir nie gefallen, mag ihr Vater auch Stadtpräfekt sein, und ich habe aus Gründen, die ich dir wohl nicht zu erklären brauche, kein Verlangen danach, mir den Sohn anzusehen, den sie dir geboren hat. Mit deinem britischen Sohn aber verhält es sich anders. Wie bist du nur auf den klugen Einfall gekommen, ihn von Kephas erziehen zu lassen? Ich kenne Kephas aus meinen Jahren in Galiläa. Er ist heute nicht mehr der Eiferer, der er damals war. Wie denkst du dir die Zukunft deines Sohnes?«
»Am liebsten möchte ich ihn in der Schule des Palatiums erziehen lassen, wo vorzügliche Rhetoren und Schüler Senecas die Söhne der Könige und Vornehmen unserer Bundesgenossen unterrichten«, erwiderte ich. »Dort würde sein schlechtes Latein nicht weiter auffallen, und er könnte nützliche Freundschaften mit Gleichaltrigen schließen, sobald Kephas ihn ein wenig gezähmt hat. Wenn Britannien einmal eine neue Verwaltung bekommt, wird man eine vom römischen Geist durchdrungene Führungsschicht brauchen, und Jucundus ist mütterlicherseits aus vornehmem icenischem Geschlecht. Aus gewissen Gründen darf ich aber Nero zur Zeit nicht unter die Augen treten, obwohl wir einmal Freunde waren.«
Mein Vater sagte nach langem Nachdenken: »Ich bin Senator und habe mir von Nero noch nie eine Gunst erbeten. Ich habe sogar bei den Senatssitzungen den Mund zu halten gelernt, was allerdings eher Tullias Verdienst ist als mein eigenes, denn in all den Jahren unseres Zusammenlebens habe ich ihr immer das letzte Wort gelassen. In Britannien herrscht zur Zeit ein vollkommenes Durcheinander, und die Archive sind zum größten Teil zerstört. Ein geschickter Jurist wird daher leicht Unterlagen herbeischaffen können, die beweisen, daß Jucundus’ Eltern auf Grund ihrer Verdienste römische Bürger waren. Das kommt der Wahrheit sogar recht nahe, da du mit seiner Mutter nach britischer Sitte die Ehe geschlossen hast. Deiner eigenen Mutter hat man ja sogar in der Stadt Myrina eine Statue errichtet, und sobald Comulodunum wiederaufgebaut ist, kannst du im Claudiustempel eine Statue deiner Lugunda aufstellen lassen. Das bist du der Mutter deines Sohnes schuldig.« Das Unglaublichste war, daß sich Tullia während unseres langen Gesprächs in Jucundus vergafft hatte und sich vor Zärtlichkeit und Entzücken nicht zu fassen wußte. Ihre üppige Schönheit begann zu verwelken, und aus ihrem rundlichen Doppelkinn war ein runzliger Beutel geworden. Als sie von dem traurigen Schicksal seiner Eltern erfuhr, brach sie in Tränen aus, schloß Jucundus in die Arme und rief: »An seinem Mund, seiner Nase, seinen Brauen, ja sogar an seinen Ohren sehe ich, daß er aus edlem Geschlecht stammt. Seine Eltern müssen alle Tugenden besessen haben, nur am Verstand hat es ihnen offenbar gefehlt, sonst hätten sie nicht einen Mann wie Minutus zu seinem Vormund gemacht. Glaubt mir. Ich kann auf den ersten Blick Gold von Messing unterscheiden.«
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