Er wandte sich schon zum Gehen, als er noch hinzufügte: »Wir halten seit einigen Jahren einen jüdischen Zauberer gefangen. Er ist von der Schreibwut besessen und hat sogar Seneca mit seinen Briefen belästigt. Wir müssen ihn freilassen. Poppaea Sabina darf während ihrer Schwangerschaft nicht der Gefahr irgendeiner Zauberei ausgesetzt werden. Sie begünstigt diese Juden übrigens mehr als gut wäre. Unser Jude hat mehrere meiner Prätorianer Schon so verhext, daß sie nicht mehr zum Wachdienst zu gebrauchen sind.«
Meine Aufgabe war nicht so schwierig, wie ich zuerst geglaubt hatte. Die meisten Prozesse stammten noch aus Burrus’ Zeiten und waren von einem kundigeren Juristen, als ich es bin, mit Anmerkungen versehen worden. Nach Agrippinas Tod war Nero Burrus aus dem Wege gegangen und hatte die Prozesse aufgeschoben, um eine allgemeine Unzufriedenheit wegen der Saumseligkeit des Gerichts und damit eine feindselige Stimmung gegen Burrus zu erzeugen.
Aus Neugier nahm ich mir zuerst die Akten vor, die den jüdischen Zauberer betrafen, und stellte zu meiner Verwunderung fest, daß es sich um meinen alten Bekannten Saulus aus Tarsos handelte. Er war angeklagt, den Tempel zu Jerusalem geschändet zu haben. Nach den Unterlagen war er festgenommen worden, als Felix noch Prokurator war.
Bei der Neubesetzung der Beamtenstellen nach Agrippinas Tod war Felix seines Amtes enthoben worden, weil er ein Bruder des Pallas war. Der neue Statthalter, Festus, hatte Paulus gebunden nach Rom bringen lassen, und ich sah nun, daß er tatsächlich seit ganzen zwei Jahren gefangensaß.
Er durfte jedoch in der Stadt wohnen, da er seine Bewachung selbst bezahlte. Unter den Dokumenten fand ich ein Gutachten Senecas, das seine Freilassung befürwortete. Ich hatte nicht gewußt, daß Saulus, oder vielmehr Paulus, die Mittel besaß, sich sogar an den Kaiser selbst zu wenden.
Binnen weniger Tage hatte ich einige Prozesse ausgesondert, die Nero Gelegenheit gaben, seine Milde und seinen Edelmut zu beweisen. Mit Paulus wollte ich zunächst selbst sprechen, denn ich kannte seinen Eifer und fürchtete, er könnte vor dem kaiserlichen Gericht den Fehler begehen, Neros Zeit mit unnötigem Gerede zu verschwenden. Seine Freilassung war ja ohnehin beschlossene Sache.
Paulus wohnte recht bequem in einigen Räumen, die er im Hause eines jüdischen Händlers gemietet hatte. Er war in den letzten Jahren merklich gealtert. Sein Gesicht war tief gefurcht, sein Scheitel noch kahler als zuvor. Er trug zwar die vorgeschriebenen Ketten, aber seine Prätorianerdoppelwache erlaubte ihm, Gäste zu empfangen und Briefe zu schreiben, wohin er wollte.
Bei ihm wohnten einige seiner Anhänger. Er hatte sogar einen eigenen Arzt, einen Juden aus Alexandria, der Lucas hieß. Paulus mußte recht wohlhabend sein, daß er sich seine Gefangenschaft so angenehm einrichten konnte und nicht in eine der stinkenden Gemeinschaftszellen des allgemeinen Gefängnisses gesteckt worden war. Das schlimmste aller Gefängnisse, die Mamertinischen Kerker, kam für ihn nicht in Frage, weil er kein Staatsverbrecher war.
In den Akten wurde er selbstverständlich als Saulus geführt, denn dies war vor dem Gesetz sein Name. Um ihn aber freundlich zu stimmen, nannte ich ihn Paulus. Er erkannte mich sofort wieder und erwiderte meinen Gruß so vertraulich, daß ich es für angebracht hielt, den Schreiber und die beiden Liktoren hinauszuschicken, denn ich wollte später bei der Verhandlung nicht der Befangenheit bezichtigt werden. »Deine Sache steht gut«, sagte ich zu ihm. »Sie wird in den nächsten Tagen verhandelt. Der Kaiser ist jetzt, vor der Geburt seines Erben, sehr milde gestimmt. Du solltest deine Zunge im Zaum halten, wenn du vor ihm stehst.«
Paulus lächelte mit der schmerzlichen Miene eines Mannes, der viel erduldet hat, und antwortete ergeben: »Ich habe den Auftrag, die gute Botschaft zu verkünden, ob nun die Stunde günstig ist oder nicht.«
Aus Neugier fragte ich ihn, warum die Prätorianer ihn als Zauberer betrachteten. Er erzählte eine lange Geschichte von einem Schiffbruch, den er und seine Reisebegleiter auf der Fahrt nach Rom erlitten hatten. Wenn er müde wurde, übernahm der Arzt Lucas das Wort. Paulus versicherte mir, die Anklage wegen Tempelschändung sei falsch oder unbegründet oder beruhe zumindest auf einem Mißverständnis. Der Prokurator Felix würde ihn ohne Zögern freigelassen haben, wenn er, Paulus, bereit gewesen wäre, genug zu zahlen.
Von den Römern wußte er nur Gutes zu sagen, denn dadurch, daß sie ihn gebunden von Jerusalem nach Caesarea führten, retteten sie ihm das Leben. Vierzig glaubenseifrige Juden hatten nämlich geschworen, weder zu essen noch zu trinken, ehe sie ihn nicht getötet hätten. Sie dürften jedoch kaum wirklich verhungert sein, meinte Paulus lächelnd und ohne Groll. Er war außerdem seinen Bewachern dankbar, denn er fürchtete, die rechtgläubigen Juden Roms würden ihn sonst ermorden.
Ich versicherte ihm, daß seine Furcht grundlos war. Unter Claudius waren die Juden streng genug verwarnt worden, und sie enthielten sich deshalb innerhalb der Mauern aller Gewalttaten gegen Christen. Auch hatte Kephas einen beruhigenden Einfluß ausgeübt und bewirkt, daß die Christen sich den Juden fernhielten. Meiner Ansicht nach war dies um so leichter gegangen, als die Anhänger des Jesus von Nazareth, deren Zahl sich dank Kephas beträchtlich vermehrt hatte, nunmehr nur noch in den seltensten Fällen beschnittene Juden waren.
Sowohl der Arzt Lucas als auch Paulus machte eine saure Miene, als ich den Namen Kephas erwähnte. Kephas hatte dem Gefangenen große Freundlichkeit erwiesen und ihm seinen besten Jünger, den griechischen Dolmetsch Marcus, zur Verfügung gestellt. Paulus aber hatte dieses Vertrauen offenkundig mißbraucht und Marcus in seinen eigenen Angelegenheiten auf lange Reisen geschickt, mit Briefen an die Gemeinden, die er gegründet hatte und für sich behalten wollte wie ein Löwe seine Beute. Deshalb wohl sah es Kephas nicht mehr gerne, wenn Christen aus seiner eigenen Herde zu Paulus gingen und dessen dunklen Reden lauschten.
Der Arzt Lucas erzählte mir, daß er zwei Jahre lang in Galiläa und Judäa umhergereist war, um aus dem Munde von Menschen, die ihn selbst gesehen und gehört hatten, alles über das Leben, die Wundertaten und die Lehre jenes Jesus von Nazareth zu erfahren. Er hatte alles genau in aramäischer Sprache aufgezeichnet und dachte nun ernstlich daran, einen eigenen Bericht in griechischer Sprache zu schreiben, um zu beweisen, daß Paulus alles ebensogut wußte wie Kephas. Ein vermögender Grieche namens Theophilus, der von Paulus bekehrt worden war, hatte schon versprochen, das Buch zu verlegen.
Ich vermutete, daß sie reiche Gaben von den Christengemeinden in Korinth und Asia erhielten, über denen Paulus eifersüchtig wachte, damit sie weder mit den rechtgläubigen Juden noch mit den anderen Parteien unter den Christen in Berührung kamen. Er verbrachte die meiste Zeit damit, ihnen Ermahnungen zu schreiben, denn in Rom hatte er nicht viele Anhänger.
Meine Ahnungen sagten mir, daß er nach seiner Freilassung am liebsten in Rom geblieben wäre. Aber ich wußte, daß es überall, wo er erschien. Streit gab. Wenn ich ihn freibekam, was zu erwarten war, zog ich selbst mir den Zorn der Juden zu, und wenn er wirklich in der Stadt blieb, kriegten sich über kurz oder lang die Christen wieder in die Haare. Deshalb sagte ich nun vorsichtig: »Für zwei Hähne ist nicht Platz auf demselben Misthaufen. Um deines eigenen Friedens und des meinen willen würdest du gut daran tun, Rom sofort nach deinem Freispruch zu verlassen.«
Paulus blickte finster vor sich hin, meinte dann aber, Christus habe ihn zu einem ewigen Wanderer gemacht, der an keinem Ort lange verweilen dürfe. Daher sei für ihn die Gefangenschaft eine harte Prüfung gewesen. Er habe den Auftrag erhalten, alle Menschen zu Anhängern Christi zu bekehren, und wolle demnächst in die Provinz Baetica in Iberien reisen. Dort gebe es mehrere Hafenstädte, die von Griechen gegründet worden seien und in denen noch hauptsächlich Griechisch gesprochen werde. Ich legte ihm aus ganzer Überzeugung nahe, womöglich bis nach Britannien zu reisen.
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