Daher erhielt das neue Priesterkollegium neben den öffentlichen Opfern noch ein besonderes, geheimes Ritual aufgetragen, das keinem Außenstehenden enthüllt werden durfte. Und wirklich wurde Neros Stimme, ganz wie nach Agrippinas Tod, kräftiger. Sie klang wie Erz und süß wie Honig zugleich, so daß die Zuhörer tiefinnerlich erzitterten. In mir rührte sich allerdings nichts. Ich gebe nur wieder, was sachkundigere Beurteiler ihm versicherten.
Nero nahm zu, seine Wangen wurden feist, er mästete sich, denn man hatte ihm gesagt, ein guter Sänger müsse reichlich Fleisch auf den Knochen haben, um die Anstrengungen des Singens zu ertragen. Und Poppaea war es lieber, er vertrieb sich die Zeit mit Gesangsübungen, als daß er wieder in sein Luderleben zurückfiel.
Nach dem Tod seiner Tochter widmete sich Nero den ganzen Winter der Ausbildung seiner Stimme, und das in dem Maße, daß er die Staatsgeschäfte als eine überflüssige Sorge ansah. Er versäumte die Versammlungen des Senats, weil er fürchtete, er könnte sich auf dem eiskalten Boden der Kurie erkälten. Wenn er wirklich einmal kam, wie üblich zu Fuß, hatte er die Füße mit Wolle umwickelt. Er erhob sich auch von seinem Platz, wenn ein Konsul ihn anredete. Sobald er aber das erstemal niesen mußte, entfernte er sich eilig und überließ es dem zuständigen Senatsausschuß, die wichtigsten Angelegenheiten zu entscheiden.
Während des Winters, kurz vor dem Saturnalienfest, wollte Claudia mich einmal dringend sprechen, um, wie sie mir sagen ließ, unter vier Augen etwas Wichtiges mit mir zu erörtern. Als ich meine täglichen Geschäfte mit meinen Klienten und Freigelassenen erledigt hatte, ließ ich sie rufen, fürchtete jedoch, sie werde wieder davon anfangen, daß ich mich bessern und die Taufe der Christen annehmen müsse.
Aber Claudia rang die Hände und sagte klagend: »Ach Minutus, ich bin eine Beute meiner widerstrebenden Gefühle, und es zieht mich bald hierhin, bald dorthin. Ich habe etwas getan, was ich dir bisher noch nicht zu sagen wagte. Doch sieh mich erst einmal an. Findest du nicht, daß ich mich verändert habe?«
Sie war mir wegen ihrer unaufhörlichen Nörgelei und ihrer christlichen Neunmalklugheit seit langem so widerwärtig gewesen, daß ich sie nie hatte ansehen mögen. Nun besänftigte mich aber ihre Demut, ich betrachtete sie näher und bemerkte zu meiner Verblüffung, daß die Sonnenbräune der Sklavin aus ihrem Gesicht verschwunden war. Sie war schön gekleidet und hatte sich das Haar nach der neuesten griechischen Mode gelegt.
Ich schlug die Hände zusammen und rief aufrichtig und ohne ihr schmeicheln zu wollen: »Du siehst aus wie die vornehmste Römerin. Ich glaube gar, du wäschst dein Gesicht heimlich mit Eselsmilch!«
Claudia errötete bis zum Hals und sagte rasch: »Nicht aus Eitelkeit pflege ich mich, sondern weil du mir deinen großen Haushalt anvertraut hast. Bescheidenheit und ein schlichter Sinn sind die schönste Zierde einer Frau, aber nicht in den Augen deiner Klienten und der Fleischhändler in den Markthallen. Ich meinte jedoch etwas anderes: entdeckst du in meinem Gesicht nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Kaiser Claudius?«
Ich beruhigte sie: »Nein, ganz gewiß nicht. Sei ohne Sorge. Der alte Claudius brauchte sich auf sein Aussehen nichts einzubilden. Du aber bist eine schöne, reife Frau, vor allem da du dir nun, wie ich sehe, die dichten Brauen auszupfst.«
Claudia war offenbar enttäuscht. »Du irrst dich ganz bestimmt«, sagte sie verdrossen. »Tante Paulina und ich haben in aller Heimlichkeit meine Halbschwester Antonia besucht, die uns in ihrer Einsamkeit dauert. Claudius ließ ihren ersten Gatten ermorden und Nero den zweiten. Daher wagt, seit sie aus Massilia zurückgekehrt ist, niemand mit ihr Umgang zu haben. Ihre Leiden haben sie gelehrt, die Dinge anders zu betrachten als zuvor. Sie bot uns Honigwein und Obsttorten an und schenkte mir ein goldenes Haarnetz. Wie die Dinge nun stehen, wäre sie vielleicht bereit, mich öffentlich als ihre Schwester anzuerkennen. Von den echten Claudiern sind nur noch sie und ich übrig.« Ich erschrak, als ich erkannte, wie sehr sie sich in ihrem weiblichen Ehrgeiz an eitle Einbildungen klammerte.
»Hast du vergessen, daß dich Agrippina auf die bloße Andeutung deiner Herkunft hin durch falsche Zeugenaussagen in Schande und Unglück stürzte?« rief ich. »Als Adoptivsohn des Claudius wird Nero kaum erfreut sein, wenn er erfährt, daß er noch eine Schwester hat!«
»Ich habe Antonia natürlich nicht gesagt, was mir widerfahren ist«, sagte Claudia verärgert. »Ich gab ihr zu verstehen, ich hätte mich aus Furcht vor Agrippina auf dem Lande versteckt, und das ist zum Teil sogar wahr. Meine bösen Erinnerungen waren wie durch Gnade ausgelöscht, sobald ich es über mich brachte, Agrippina in meinem Herzen zu verzeihen. Ich habe, wie du dich vielleicht erinnern wirst, im Sklavinnenkleid und mit geschorenen Haaren und Augenbrauen Buße getan und fühle mich rein und frei von der Sünde, an der ich nicht selbst schuld war.«
Sie sah mich mit seltsam glänzenden Augen an, seufzte so schwer, daß sich ihr fülliger Busen hob, und ergriff mit beiden Händen eine der meinen, als ich erschrocken zurückwich.
»Wie soll ich das alles verstehen, unglückliche Claudia?« fragte ich.
»Minutus«, sagte sie. »Du weißt wohl selbst, daß du nicht so weiterleben kannst. Deine Ehe mit Sabina ist keine richtige Ehe. Du bist dumm und scheinst das noch nicht begriffen zu haben. Ganz Rom lacht darüber. In deiner Jugend gabst du mir ein gewisses Versprechen. Nun bist du ein erwachsener Mann, und der Altersunterschied zwischen uns beiden ist nicht mehr so groß wie damals, ja man bemerkt ihn kaum noch. Minutus, du mußt dich um deines eigenen Ansehens willen von Sabina scheiden lassen.«
Ich fühlte mich wie ein Tier, das man in eine Ecke seines Käfigs drängt und mit glühenden Stangen bändigt. »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich. »Der Aberglaube der Christen hat deine Sinne verwirrt, was ich schon seit langem befürchte.«
Claudia starrte mich unverwandt an und sagte klagend: »Ein Christ muß die Unzucht meiden. Aber Jesus von Nazareth soll gesagt haben, wer eine Frau mit begehrlichen Blicken betrachtet, der treibt in seinem Herzen schon Hurerei mit ihr. Ich habe es unlängst erst gehört, und ich weiß, daß dieses Wort auch für eine Frau gilt. Deshalb ist mir das Leben unerträglich, denn ich sehe dich jeden Tag und fühle ein heißes Begehren in meinem Herzen. In den Nächten werfe ich mich ruhelos in meinem Bett hin und her und beiße vor Sehnsucht in mein Kissen.«
Ich fühlte mich unwillkürlich geschmeichelt und betrachtete sie mit anderen Augen. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« fragte ich. »Ich hätte ja aus reiner Barmherzigkeit die eine oder andere Nacht zu dir kommen können! Mir selbst ist es nie eingefallen, weil du immerzu mit mir gestritten hast.«
Claudia schüttelte heftig den Kopf: »Deine Barmherzigkeit brauche ich nicht. Ich würde eine große Sünde begehen, wenn ich ohne das Band der Ehe in dein Bett käme. Daß du mir so etwas vorschlägst, zeigt mir, wie verhärtet dein Herz ist und wie niedrig du mich einschätzt.«
Mein Taktgefühl verbot mir, sie daran zu erinnern, wie tief gesunken sie war, als ich sie wiederfand. Ihre Absichten waren so wahnwitzig, daß ich vor Schreck verstummte. Aber Claudia fuhr fort: »Antonia könnte vor den Vestalinnen den heiligsten Eid schwören, daß ich eine Tochter des Claudius bin und vom selben Blute wie sie. Sie wäre wahrscheinlich auch dazu bereit, und sei es nur, um Nero zu ärgern. Eine Ehe mit mir wäre dann für dich nicht ohne Vorteil. Wenn wir ein Kind hätten, wüßten die Vestalinnen von seiner hohen Geburt, und wenn sich einmal die Verhältnisse ändern, könnte dein und mein Sohn zu den höchsten Ämtern Roms aufsteigen. Antonia ist sehr unglücklich darüber, daß ihre beiden Ehen kinderlos geblieben sind.«
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