Als Sabina sah, wie wir uns umschlungen hielten, kam auch sie wieder zur Vernunft. Wir ließen das Beste auftragen, was das Haus zu bieten hatte, tranken Wein miteinander und riefen auch Lausus zu uns, damit Epaphroditus ihn auf den Schoß nehmen und mit ihm plaudern konnte. Ab und zu lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, wenn ich bedachte, was beinahe durch meine Dummheit geschehen wäre, aber nach und nach beruhigte mich der gute Wein.
Als wir eine Weile getrunken hatten, wurde mir recht traurig zumute. Ich erinnerte mich vergangener Zeiten und fragte Sabina: »Wie konnte es dahin mit uns kommen, da wir doch anfangs glücklich waren? Zumindest war ich blind verliebt in dich.«
Der Wein hatte auch Sabina weich gestimmt. »Du hast mich nie wirklich verstanden, Minutus«, sagte sie. »Ich mache es dir nicht zum Vorwurf, und ich bereue meine bösen Worte, damals, als ich deine Manneskraft anzweifelte. Wenn du mir wenigstens einmal ein blaues Auge geschlagen hättest wie bei unserer ersten Begegnung, oder wenn du mich ab und zu verprügelt hättest! Glaub mir, dann wäre alles anders gekommen. Erinnerst du dich noch, wie ich dich in der Hochzeitsnacht bat, mich zu vergewaltigen? Aber du bist nicht so ein herrlicher Mannskerl, der mit einem macht, was er will, soviel man auch zappelt und strampelt und schreit.«
Ich sagte verblüfft: »Bisher habe ich immer geglaubt, eine Frau verlange von der Liebe vor allem Zärtlichkeit und Geborgenheit.«
Sabina schüttelte mitleidig den Kopf und antwortete: »Das beweist nur, wie wenig du von den Frauen verstehst.«
Nachdem wir uns über die nötigen finanziellen Maßnahmen einig geworden waren, und ich Epaphroditus zu wiederholten Malen als einen Ehrenmann und den größten Künstler in seinem Fach gepriesen hatte, ging ich, gestärkt vom Wein, zu Flavius Sabinus, um ihn davon zu unterrichten, daß wir uns scheiden lassen wollten. Ich hatte, offen gestanden, beinahe mehr Angst vor seinem Zorn als vor Sabina. Zu meiner Verwunderung zeigte er sich jedoch sehr verständnisvoll.
»Ich habe längst bemerkt, daß es mit eurer Ehe nicht zum besten steht«, sagte er und vermied es, mir in die Augen zu sehen. »Ich hoffe aber von Herzen, daß die Scheidung an unserer Freundschaft und an der Achtung, die wir beide füreinander hegen, nichts ändern wird. Ich würde in eine üble Klemme geraten, wenn du mir beispielsweise die Anleihe kündigtest, die du mir zugesagt hast. Wir Flavier sind leider nicht so vermögend, wie es zu wünschen wäre. Mein Bruder Vespasian soll zur Zeit vom Maultierhandel leben. Als Prokonsul in Afrika ist er nur ärmer geworden, als er ohnehin schon war. Es heißt, die Leute hätten ihn mit Kohlrüben beworfen. Er wird, fürchte ich, den Senat verlassen müssen, wenn der Zensor merkt, daß er die finanziellen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.«
Nero war unerwartet nach Neapolis gereist, nachdem er es sich in den Kopf gesetzt hatte, daß dort sein erstes großes öffentliches Auftreten als Sänger stattfinden solle. Die Zuhörer dort sind griechischer Abstammung und kunstverständiger als die Römer. Nero fürchtete sich trotz seinem Selbstbewußtsein vor jedem Auftritt und zitterte und schwitzte so, daß er sich erst beruhigte, wenn er wußte, daß seine eigenen, bezahlten Leute sich unter die Zuschauer gemischt hatten, um diese durch stürmisches Klatschen zu den ersten befreienden Beifallsäußerungen hinzureißen.
Ich reiste ihm schleunigst nach, wozu ich allein schon durch mein Amt verpflichtet war. Das schöne Theater in Neapolis war gedrängt voll. Neros glanzvolle Stimme versetzte die Zuhörer in Ekstase. Einige Reisende aus Alexandria, die ihrem Entzücken nach der Sitte ihrer Heimat durch rhythmisches Klatschen Ausdruck verliehen, fielen besonders auf.
Während der Vorstellung wurde das Theater plötzlich durch ein Erdbeben erschüttert. Unter den Zuhörern drohte eine Panik auszubrechen, aber Nero sang weiter, als wäre nichts geschehen, und machte ihnen durch seine Unerschrockenheit Mut. Man pries ihn wegen seiner Selbstbeherrschung, er aber sagte später, er habe sich so in seine Rolle eingelebt, daß er von dem Erdbeben nichts bemerkte.
Von seinem Erfolg begeistert, trat er mehrere Tage hintereinander im Theater auf. Zuletzt mußte der Rat der Stadt seinen Gesangslehrer bestechen, damit dieser ihn warnte und seine unvergleichliche Stimme zu schonen bat, denn die täglichen Geschäfte der Stadt, der Handel und die Seefahrt kamen durch die Vorstellungen beinahe völlig zum Erliegen. Die Alexandriner belohnte Nero für ihren Kunstverstand, indem er sie zu römischen Bürgern machte und ihnen viele Geschenke gab. Auch beschloß er, so bald wie möglich nach Alexandria zu reisen, um dort vor einem Publikum aufzutreten, das seiner, wie er sagte, würdig war.
Als ich bei passender Gelegenheit für mein eigen Teil seinen glänzenden Erfolg rühmte, fragte mich Nero: »Glaubst du nicht, daß ich mir, wenn ich nicht Kaiser wäre, an jedem beliebigen Ort der Welt als Künstler mein Brot verdienen könnte?«
Ich versicherte ihm, daß er als Künstler nicht nur freier, sondern in gewissem Sinne auch reicher wäre denn als Kaiser, da er sich nicht wegen jeder kleinen Ausgabe mit seinen Verwaltern herumzustreiten brauchte. Ich erwähnte, daß es nach meiner Amtszeit als Prätor meine Schuldigkeit war, dem Volk eine Theatervorstellung zu bieten, daß es aber meiner Meinung nach in ganz Rom keinen wirklich guten Sänger gebe. Zuletzt sagte ich mit gespielter Verlegenheit: »Wenn du in meiner Vorstellung auftreten wolltest, wäre mir die Gunst des Volkes gewiß. Ich würde dir eine Million Sesterze zahlen. Das Stück dürftest du dir natürlich selbst wählen.«
Soviel ich weiß, war das das höchste Honorar, das man jemals einem Sänger für ein einziges Auftreten geboten hatte. Sogar Nero war überrascht und fragte: »Meinst du wirklich, daß meine Stimme eine Million Sesterze wert ist und daß du mit ihr die Gunst des Volkes gewinnen kannst?«
Ich versicherte ihm, daß es für mich die höchste Gunst wäre, die ich mir vorstellen könne, wenn er einwilligte. Nero runzelte die Stirn, murmelte etwas von seinen vielen Pflichten und sagte schließlich: »Ich muß als Schauspieler verkleidet auftreten und mit einer Maske vor dem Gesicht. Dir zuliebe kann ich mir ja eine Maske anfertigen lassen, die mir ähnelt. Ich möchte einmal den Geschmack des römischen Publikums auf die Probe stellen, und deshalb dürfen wir meinen Namen erst nach der Aufführung bekanntgeben. Unter diesen Bedingungen nehme ich dein Angebot an. Ich glaube, ich werde den Orest wählen. Das ist eine Rolle, die ich schon lang einmal singen möchte, und ich traue mir zu, mit der aufgestauten Kraft meiner Empfindungen sogar das harthörige römische Publikum zu erschüttern.«
In seiner Künstlereitelkeit wollte er ausgerechnet diese Muttermörderrolle spielen, um seine eigenen Gefühle in Wallung zu versetzen. Im Grunde verstand ich ihn. Hatte ich selbst mich doch von meinen bösen Erinnerungen an die kilikische Gefangenschaft, die mich an den Rand des Wahnsinns trieben, dadurch befreit, daß ich ein komisches Buch schrieb. Für Nero war die Ermordung Agrippinas ein erschütterndes Erlebnis, das er durch den Gesang zu überwinden suchte. ich fürchtete jedoch, daß ich mich durch mein Angebot in große Gefahr gebracht hatte. Was geschah, wenn das Publikum Nero nicht erkannte und seine Darbietung nicht zu würdigen verstand?
Ja, es konnte sogar noch schlimmer kommen. Eine Maske, die Nero ähnelte, in der Rolle des Muttermörders! Die Zuschauer faßten die Vorstellung womöglich als eine Kundgebung gegen Nero auf und ließen sich mitreißen. In dem Falle war ich verloren. Und wenn andere Zuschauer es sich angelegen sein ließen, Neros Ruf zu verteidigen, kam es zu einem Handgemenge, das sogar Menschenleben fordern konnte.
Ich wußte mir keinen anderen Rat, als heimlich die Kunde zu verbreiten, daß Nero selbst in meiner Vorstellung als Orest aufzutreten gedachte. Viele altmodisch gesinnte Senatoren und Ritter weigerten sich, zu glauben, daß ein Kaiser imstande sei, sich mit Schauspielern und Gauklern auf eine Stufe zu stellen und mit Absicht und Bedacht zum Gespött der Leute zu machen. Als sie gar noch erfuhren, was für ein Stück gewählt worden war, hielten sie das Gerücht für einen boshaften Scherz.
Читать дальше