Zum Glück hatte auch Tigellinus in dieser Sache seinen Vorteil zu wahren. Er stellte eine Kohorte Prätorianer ab, die einerseits für Ruhe und Ordnung im Theater sorgen und andrerseits an bestimmten Stellen, dem Beispiel der von Nero selbst zu diesem Zweck gedungenen Männer folgend, klatschen mußte. Als Anführer wurden einige junge Ritter auserwählt, die ein wenig von Musik und Gesang verstanden und nicht den Fehler begingen, den Beifall im falschen Augenblick einsetzen zu lassen. Alle mußten außerdem üben, vor Entzücken zu trällern, mit zu Schalen gewölbten Händen dumpf zu klatschen und dann wieder weithin schmetternde Klatschlaute hervorzubringen und an ergreifenden Stellen schmachtend und im Takt zu seufzen.
Das Gerücht von einer politischen Kundgebung im Theater lockte ungeheure Mengen von Zuschauern an, die unter anderen Umständen wohl kaum meine Vorstellung mit ihrer Gegenwart beehrt hätten. Das Gedränge war so groß, daß bei den Eingängen einige Menschen niedergetrampelt wurden und die Sklaven so manchen alten Senators handgreiflich werden mußten, um ihren Herrn zu den Ehrensitzen des Senats tragen zu können. Es ging zu wie bei den Wagenrennen im Zirkus, wenn etwas Besonderes zu erwarten stand.
Nero war so aufgeregt, daß er sich vor der Vorstellung mehrere Male erbrach und seine Kehle unaufhörlich mit Getränken spülte, die sein Lehrer ihm verschrieben hatte und die die Stimmbänder kräftigen sollten. Ich muß jedoch gestehen, daß er eine glänzende Vorstellung gab, sobald er die Szene betreten hatte. Seine mächtige Stimme hallte durch das ganze Theater und erreichte die Ohren von wohl zwanzigtausend Menschen, und er stellte seine grausame Rolle so echt und ergreifend dar, daß einige empfindsamere Frauen in Ohnmacht fielen.
Das Trällern, Seufzen und Klatschen kam an den richtigen Stellen, und das gewöhnliche Publikum stimmte bereitwillig in den Beifall ein. Als Nero aber zuletzt mit blutbefleckten Händen auf die Szene stürzte, erhob sich von den Bänken der Senatoren und Ritter ein lautes Miauen, Krähen und Zischen, das selbst der stärkste Beifall nicht zu übertönen vermochte. Ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, als ich mit weichen Knien hinter die Szene ging, um zusammen mit Nero, der die Maske abgenommen hatte, hinauszutreten und zu verkünden, dal? der Kaiser selbst vor seinem Volke aufgetreten war.
Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung fand ich jedoch einen Nero vor, der, schweißnaß und mit vor Erschöpfung verzerrtem Gesicht, vor Freude weinte.
»Hast du gesehen, hast du gehört, wie ich das Publikum mitriß?« fragte er mich. »Sie miauten und krähten sogar, um die Strafe für den Muttermord auf Orest herabzurufen! Ich glaube, es ist noch nie vorgekommen, daß die Zuschauer bei einer Aufführung so vollständig mitlebten!«
Nero trocknete sich den Schweiß ab und trat dann siegesstolz lächelnd hinaus, um den Beifall entgegenzunehmen, der zu Donnertosen anschwoll, als ich, durch einen Trichter rufend, verkündete, daß der Kaiser in eigener Person mitgespielt hatte. Das Publikum forderte wie ein Mann, er solle noch mehr singen.
Mir wurde die Ehre zuteil, Nero die Zither zu bringen. Er sang und begleitete sich selbst, um auch seine Meisterschaft als Zitherspieler zu beweisen, bis es so dunkel wurde, daß man sein Gesicht nicht mehr erkennen konnte. Erst dann hörte er widerstrebend auf, ließ aber kundmachen, daß er auch in Zukunft vor dem Volk auftreten werde, wenn dies der Wunsch des Volkes sei.
Als ich ihm die Anweisung auf eine Million Sesterze reichte, sagte ich ihm, daß ich Befehl gegeben hatte, seinem Geburtsgenius, seiner verstorbenen Tochter und zur Sicherheit auch Apoll ein Dankopfer darzubringen. »Obwohl«, fügte ich hinzu, »obwohl ich glaube, daß du Apoll bereits übertroffen hast und seine Hilfe nicht mehr brauchst.«
Während er noch vor Freude ganz außer sich war, brachte ich so beiläufig wie möglich den Wunsch vor, er möge meine Ehe in aller Stille auflösen, da wir uns, Sabina und ich, nicht vertrugen, beide die Scheidung wünschten und im übrigen auch die Einwilligung unserer Eltern hatten.
Nero begann laut zu lachen und sagte, es sei ihm schon längst klar, daß ich meine sonderbare Ehe aus reiner Lasterhaftigkeit weitergeführt hätte. Er fragte mich neugierig, ob es wahr sei, daß Sabina geschlechtlichen Umgang mit den afrikanischen Riesenaffen pflege, wie in der Stadt so hartnäckig behauptet werde. Er hätte ganz und gar nichts dagegen, sich einmal heimlich so eine Vorstellung anzusehen. Ich bat ihn, Sabina selbst danach zu fragen, und gab vor, wir seien so verfeindet, daß wir nicht einmal mehr miteinander redeten. Er stellte mir nur noch die Bedingung, daß Sabina auch nach der Scheidung zum Vergnügen des Volkes im Amphitheater auftreten müsse, und schon am nächsten Morgen erhielt ich die Scheidungsurkunde, für die ich nicht einmal die übliche Gebühr zu entrichten brauchte.
Neros Auftreten als Orest erweckte Verwunderung und endlose Diskussionen, und ich geriet in den Ruf eines kühnen, rücksichtslosen Menschen. Zu jener Zeit begannen Neros Feinde boshafte Geschichten über ihn zu erfinden, indem sie den gleichen Grundsatz befolgten, den er selbst sich zu eigen gemacht hatte, als er beispielsweise Octavias Ehebruch bekanntgab: Je größer die Lüge, desto lieber wird sie geglaubt.
Diese Wahrheit kehrte sich nun gegen Nero selbst, denn das Volk glaubte die schamlosesten Lügen mit der größten Bereitwilligkeit. Dagegen wollte niemand von dem Guten hören, das man über ihn berichtete.
Daß die Herrscher Roms das Volk belogen, war freilich nichts Neues. Denken wir nur an den Gott Julius, der durch tägliche Bekanntmachungen seinem schlechten Ruf entgegenzuarbeiten versuchte, oder an den Gott Augustus, dessen Grabinschrift auf der Mauer des Mausoleums ungezählte Verbrechen verschweigt.
Ich hatte mir unter Einsatz meines Lebens die Scheidung verschafft, aber damit waren meine Schwierigkeiten noch nicht zu Ende. Zwar bedeutete die Scheidung an sich eine Erleichterung, denn sie befreite mich von der herrschsüchtigen Sabina, aber ich konnte natürlich nicht daran denken, mich mit Claudia zu vermählen, die der Tatsache, daß wir sozusagen aus reinem Zufall, der Verlockung des Augenblicks gehorchend wie in unserer Jugend Tagen, beieinandergelegen waren, eine übertriebene Bedeutung beimaß.
Ich sagte ihr offen ins Gesicht, daß ich nicht der Meinung war, ein Mann müsse jede Frau, die sich in seine Arme warf, gleich heiraten. Unter solchen Umständen wäre ja unter den Menschen kein vernünftiges Zusammenleben mehr möglich. In meinen Augen war das Geschehene weder eine Sünde noch eine Erniedrigung für Claudia.
Nicht einmal Christus selbst hatte, während er auf Erden lebte, eine Ehebrecherin verdammen wollen, weil er diejenigen, die sie anklagten, für nicht minder schuldig hielt. Diese Geschichte hatte ich selbst gehört. Aber Claudia erboste sich und sagte, sie wisse besser als ich, was Christus gesagt und getan habe, denn sie habe es aus Kephas’ eigenem Munde gehört. Nachdem sie gefallen sei und mit mir gesündigt habe, sei sie auch sündhaft und werde immer sündhafter, je öfter sie mich sehe.
Ich versuchte ihr daher nach Möglichkeit auszuweichen, damit sie mich nicht so oft zu sehen brauchte. Ich ließ mich auf neue große Geschäfte ein, um meine Stellung zu fördern und mich durch Arbeit abzulenken. Einer meiner Freigelassenen brachte mich zu der Einsicht, daß wirklich große Vermögen nur durch den Getreidehandel und die Einfuhr von Speiseöl zu verdienen waren. Der Handel mit Seide aus China, Gewürzen aus Indien und anderen Kostbarkeiten für die Reichen und Vornehmen war daneben eine ganz unbedeutende Erwerbsquelle. Dank meinen Tiereinkäufen hatte ich bereits gute Handelsverbindungen in Afrika und Iberien, und durch meine Freundschaft mit Fenius Rufus war es mir möglich, im Getreidehandel Fuß zu fassen. Mein Freigelassener reiste selbst nach Iberien, um Olivenöl aufzukaufen.
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