Ein Eilbote ritt zu Nero, um ihm Agrippinas Selbstmord zu melden. Nero, der bereits mit Senecas Hilfe einen Bericht an den Senat über den auf ihn verübten Mordanschlag abgefaßt hatte, eilte sofort nach Bauli, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, daß Agrippina tot war. So wenig traute er Anicetus.
Er traf so früh ein, daß die Diener noch damit beschäftigt waren, den nackten Leichnam zu waschen und zu salben. Nero untersuchte die Wunden mit einem Finger und sagte: »Seht nur, wie schön meine Mutter bis zuletzt noch war.«
Im Garten wurde Holz zu einem Scheiterhaufen geschichtet, und Agrippinas Leichnam wurde ohne Zeremonien auf ein Liegesofa gebettet und hinaufgehoben. Als der Rauch aufzusteigen begann, bemerkte ich plötzlich, was für ein strahlender Morgen über Bauli heraufgezogen war. Das Meer leuchtete tiefblau, die Vögel zwitscherten, und im Garten blühten die Blumen des Frühlings in prächtigen Farben. Auf den Wegen war jedoch niemand zu sehen. Die Leute waren verwirrt und hielten sich in ihren Häusern verborgen, da sie nicht wußten, wie das Geschehen zu deuten sei.
Der Scheiterhaufen brannte noch, als plötzlich ein Trupp Kriegstribunen und Zenturionen in vollem Galopp heranpreschte. Nero sah die Soldaten vor den Pferden zur Seite weichen und blickte sich entsetzt nach einem Fluchtweg um. Die Reiter sprangen jedoch aus den Sätteln, stürzten auf ihn zu, drückten ihm die Hände und dankten den Göttern, daß er dem verbrecherischen Anschlag seiner Mutter entronnen war.
Die Reiter waren vom Präfekten Burrus ausgesandt worden, der dem Volk zeigen wollte, wie man sich zu verhalten habe. Er selbst kam nicht, weil er sich zu sehr schämte. Als die Überreste von Agrippinas Leichnam aus der Asche gesammelt und im Garten vergraben worden waren, ließ Nero die Erde über dem Loch glätten. Er gönnte seiner Mutter keinen Grabhügel, weil er fürchtete, ein solcher könnte zu einer Art Pilgerstätte für politisch Unzufriedene werden.
Wir stiegen zu dem Tempel in Bauli hinauf, um den Göttern ein Dankopfer für Neros wunderbare Rettung darzubringen, aber im Tempel hörte Nero plötzlich Hörner und laute Klagerufe erschallen. Er behauptete sogar, es sei dunkel geworden, obwohl die Sonne hell schien.
Agrippinas Tod war weder für den Senat noch für das Volk eine Überraschung. Man war darauf vorbereitet, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet hatte, denn in Agrippinas Todesnacht war ein Unwetter, wie man es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte, über Rom niedergegangen. Der Senat hatte schon im voraus Versöhnungsopfer beschlossen. Als die Todesnachricht eintraf, wurden sie in Dankopfer verwandelt, und so tief war der seit langem gegen Agrippina aufgestaute Haß, daß der Senat beschloß, ihren Geburtstag künftig zu den Unglückstagen zu rechnen.
Nero hatte ohne Grund Unruhen befürchtet. Als er endlich aus Neapolis eintraf, wurde er wie ein Triumphator empfangen. Die Senatoren waren festlich gekleidet. Die Frauen und Kinder der vornehmsten Familien begrüßten ihn mit Lobgesängen und streuten ihm Frühlingsblumen auf den Weg. Zu beiden Seiten des Weges waren in aller Eile Schaugerüste errichtet worden.
Als Nero zum Kapitol hinaufging, um sein eigenes Dankopfer darzubringen, war es, als wäre ganz Rom aus einem Alptraum erwacht, und gern glaubten an diesem strahlenden Tag alle Senecas lügnerischem Bericht über Agrippinas Selbstmord. Den Alten war der bloße Gedanke an einen Muttermord so entsetzlich, daß sie ihn von sich wiesen.
Ich war selbst schon vor Nero nach Rom zurückgekehrt und hatte sofort Claudia rufen lassen. »Ich habe dich gerächt«, sagte ich stolz. »Agrippina ist tot. Ich war selbst mit dabei. Ihr eigener Sohn befahl, sie zu töten. Beim Herkules, ich habe meine Schuld beglichen. Du brauchst dich deiner Erniedrigung nicht mehr zu schämen.«
Zur Bekräftigung meiner Worte reichte ich Claudia die kleine Fortunastatue, die ich von Agrippinas Nachttisch genommen hatte . Claudia starrte mich jedoch an wie ein Ungeheuer, hob abwehrend beide Hände und rief entsetzt: »Ich habe dich nicht geheißen, mich zu rächen. Du hast Blut an deinen Händen, Minutus!«
Ich trug wirklich einen blutigen Verband um die eine Hand und versicherte ihr nun verlegen, daß ich meine Hände nicht mit dem Blut Agrippinas besudelt, sondern mir nur in der Eile mit meinem eigenen Schwert den Daumenballen geritzt hatte. Es half mir jedoch nichts. Claudia beschimpfte mich, drohte mir mit dem Zorn ihres Jesus von Nazareth und benahm sich alles in allem kindisch und dumm. Zuletzt konnte ich nicht mehr an mich halten und fuhr sie an: »Wenn es so ist, wie du sagst, war ich nur ein Werkzeug deines Gottes. Nimm an, Christus selbst habe Agrippina für ihre Verbrechen bestraft. Außerdem sind die Juden das rachsüchtigste Volk der Welt, das habe ich selbst in ihren heiligen Schriften gelesen. Du vergeudest deine Tränen, wenn du um Agrippina weinst.«
»Manche haben Ohren und hören nicht!« rief Claudia zornig. »Hast du wirklich nicht ein Wort von alledem begriffen, was ich dich zu lehren versuchte?«
Ich schrie wütend zurück: »Verfluchte Claudia, du bist die undankbarste Frau der Welt. Ich habe bisher dein Geschwätz über Christus geduldig ertragen, aber jetzt schulde ich dir nichts mehr. Halt deinen Mund und geh aus meinem Haus!«
»Christus, verzeihe mir mein heftiges Gemüt«, murmelte Claudia mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich kann mich nicht mehr beherrschen.«
Sie schlug mich mit ihren harten Händen auf beide Wangen, daß es mir in den Ohren gellte, packte mich im Genick, drückte mich auf die Knie nieder und befahl: »Nun bitte den himmlischen Vater um Vergebung für deine furchtbare Sünde.«
Meine Selbstachtung hinderte mich, mit ihr handgreiflich zu werden. Außerdem waren ihre Arme von der Sklavenarbeit noch sehr kräftig. Ich kroch auf allen vieren aus dem Raum, und Claudia warf mir die Fortunastatue nach. Als ich wieder auf beiden Beinen stand, rief ich zitternd vor Zorn die Diener und befahl ihnen, Claudias Habseligkeiten zusammenzupacken und vor die Tür zu schaffen. Dann hob ich die Fortunastatue auf, deren linker Flügel verbogen war, und ging in den Tiergarten, um wenigstens vor Sabina mit meiner Tat zu prahlen. Zu meiner Verwunderung empfing sie mich freundlich und tätschelte mir sogar die Wangen, die von Claudias Ohrfeigen geschwollen waren. Sie nahm die Fortunastatue dankbar entgegen und hörte sich willig, wenn auch etwas zerstreut, meinen Bericht über die Geschehnisse in Baiae und Bauli an.
»Du bist ein Mann, Minutus, und tapferer, als ich glaubte«, sagte sie zuletzt. »Nur darfst du nicht überall und jedem erzählen, wie alles zuging. Die Hauptsache ist, daß Agrippina tot ist. Niemand trauert ihr nach. Und die Hure Poppaea hat nun auch ausgespielt, denn nach diesem Mord wird es Nero im Leben nicht wagen, sich von Octavia zu trennen. So viel glaube ich von Politik zu verstehen.«
Ich wunderte mich über diese Behauptung, aber ehe ich noch antworten konnte, legte mir Sabina zärtlich die Hand auf meinen Mund und flüsterte: »Es ist Frühling, Minutus. Die Vögel singen, die Blumen blühen, und die Erde erzittert von dem brunftigen Gebrüll der Löwen. Es rieselt mir so heiß durch meine Glieder. Außerdem meine ich, daß wir sowohl um des Geschlechts der Flavier als auch um deiner Familie willen ein Kind haben sollten. Ich glaube nicht, daß ich unfruchtbar bin, wenngleich du mich fortwährend beleidigst, indem du meinem Bett fernbleibst.«
Ihr Vorwurf war ungerecht. Ich dachte mir jedoch, daß sie mich, nach allem, was geschehen war, vielleicht mit anderen Augen ansah oder daß die Schilderung der Bluttat ihre Sinne gekitzelt hatte, denn es gibt ja genug Frauen, die beim Anblick entsetzlicher Dinge wie Feuersbrünste oder Blut, das in den Sand rinnt, in Erregung geraten.
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