Ich glaube, sie lehrte mich bei unseren Gesprächen durch ihr bloßes Verhalten mehr als durch ihre Worte, und es kam der Tag, an dem ich mir eingestehen mußte, daß ich blind in sie verliebt war. Ich sehnte mich nach ihr, nach ihrer Nähe, ihrer Berührung, ihrem Kuß mehr, als ich mich je zuvor nach irgend etwas gesehnt hatte. Meine früheren Liebeserlebnisse erschienen mir bedeutungslos, verglichen mit dem, was ich in ihren Armen glaubte finden zu können, und es war mir, als sei allein dadurch, daß ich an sie dachte, alles in mir zu Asche verbrannt worden.
Ich erschrak über mich selbst. War es mir wirklich vorbestimmt, für den Rest meines Lebens eine Hetäre zu lieben, die zwanzig Jahre älter als ich war und die Spuren all dessen in sich trug, was sie an Bösem erlitten hatte? ich wäre am liebsten aus Athen geflohen, als mir die Wahrheit aufging, aber ich vermochte es schon nicht mehr. ich verstand die Weisen, die nach ihr geschmachtet hatten, ja, ich verstand sogar den Philosophen, der auf ihrer Schwelle aus dem Leben geschieden war, als er das Hoffnungslose seines Begehrens erkannt hatte.
Ich konnte nicht fliehen. ich mußte zu ihr gehen. Als wir wieder beisammen saßen und ich sie betrachtete, preßte ich die Lippen zusammen, und die heißen Tränen der Begierde stiegen mir in die Augen. »Vergib mir, Damaris«, flüsterte ich. »Ich fürchte, daß ich dich bis zum Wahnsinn liebe.«
Damaris sah mich mit ihrem klaren Blick an und fuhr mir mit den Fingerspitzen über die Hand. Mehr bedurfte es nicht, daß ein schreckliches Zittern durch meinen ganzen Körper lief. Meine Lust befreite sich in einem tiefen, Seufzer.
»Auch ich habe mich davor gefürchtet«, gestand Damaris. »Ich habe es kommen sehen. Zuerst war es nur eine unschuldige weiße Wolke am Horizont, aber nun ist es ein schwarzes Gewitter in dir. Ich hätte dich zur rechten Zeit fortschicken sollen, aber ich bin trotz allem nur eine Frau.«
Sie stützte das Kinn in die Hand, so daß sich die Falten an ihrem Hals glätteten, starrte vor sich hin und fragte finster: »So geht es immer. Der Mund trocknet, die Zunge bebt, die Augen tränen.«
Sie hatte recht. Die Zunge zitterte mir in meinem ausgetrockneten Mund, so daß ich nicht ein einziges Wort hervorbrachte. Ich warf mich vor ihr auf die Knie und versuchte die Arme um sie zu schlingen, aber Damaris wich mir aus und sagte: »Bedenke, daß man tausend Goldstücke für eine einzige Nacht mit mir geboten hat. Ein reicher Emporkömmling verkaufte um meinetwillen ein Silberbergwerk und begann sein Leben von neuem als armer Mann.«
»Ich kann dir tausend, ja zweitausend Goldstücke verschaffen, wenn du mir Zeit gibst, mit meinen Bankiers zu sprechen«, gelobte ich.
»Manchmal, wenn ich an einem schönen Jüngling Gefallen fand, gab ich mich auch mit einem Veilchen zufrieden«, sagte Damaris neckend. »Doch darüber wollen wir nun nicht sprechen. Ich will von dir kein Geschenk. Ich will dir selbst eines geben, und dieses Geschenk ist die traurige Gewißheit, die mir aus all meinen Erfahrungen wurde, daß die Genüsse des Fleisches eine Qual sind. Die Befriedigung der Sinne ist keine wirkliche Befriedigung, sondern weckt nur die Begierde nach noch schrecklicherer Befriedigung. Sich in die fleischliche Liebe stürzen, das ist wie sich auf glühende Kohlen werfen. Mein Feuer ist niedergebrannt. Ich gedenke, nicht mehr zu eines anderen Menschen Untergang die Opferflamme zu entzünden. Verstehst du nicht, daß ich mich meines früheren Lebens schäme?«
»Du hast mit deinen Fingern meine Hand gestreichelt«, flüsterte ich mit gesenktem Kopf, und die Tränen aus meinen Augen tropften auf den Marmorboden nieder.
»Das war unrecht«, gab Damaris zu. »Aber ich wollte dich so berühren, daß du mich nie mehr vergißt. Minutus, mein Geliebter, die Sehnsucht bedeutet so viel mehr als die Erfüllung. Das ist eine schmerzliche, aber süße Wahrheit. Glaub mir, Minutus, mein Lieber. Wenn wir nun voneinander scheiden, bewahren wir beide eine schöne Erinnerung und brauchen nie Böses voneinander zu denken. Ich habe einen neuen Weg gefunden, aber es gibt viele Wege. Vielleicht wird dich dein Weg eines Tages zu der gleichen Seligkeit führen wie mich der meine.«
Doch ich wollte sie nicht verstehen. »Predige mir nicht, verfluchtes Weib!« rief ich mit vor Begierde heiserer Stimme. »Ich habe dir versprochen, zu bezahlen, was du verlangst.«
Damaris richtete sich steif auf und sah mir eine Weile unverwandt ins Gesicht. Dann erbleichte sie und sagte spöttisch: »Wie du willst. Komm morgen abend zu mir, so daß ich mich vorbereiten kann. Aber gib später nicht mir die Schuld!«
Ihr Versprechen machte mich schwindeln, obwohl der Klang ihrer Worte nichts Gutes verhieß. Die Knie zitterten mir, als ich ihr Haus verließ. Von Ungeduld verzehrt, wanderte ich in der Stadt umher, stieg zur Akropolis hinauf und blickte auf das weinfarbene Meer nieder. Tags darauf ging ich in ein Bad und machte durch körperliche Übungen meine Glieder geschmeidig, obwohl mir bei jeder Bewegung, und beim Gedanken an Damaris, ein verzehrendes Feuer durch den ganzen Körper flammte.
Endlich senkte sich taubenblau die Dämmerung nieder, und der Abendstern leuchtete auf. Ich klopfte laut an Damaris’ Tür, aber niemand öffnete mir. Ich dachte schon, sie habe ihren Sinn geändert und gedenke ihr Versprechen nicht zu halten, und tiefe Enttäuschung ergriff mich, doch dann drückte ich gegen die Tür und erkannte zu meiner Freude, daß sie nicht versperrt war. Ich trat ein und sah, daß der Gästesaal hell erleuchtet war.
Meine Nase nahm jedoch einen widerlichen Gestank wahr. Über die Ruhebetten waren zerlumpte Decken geworfen, die Lampen hatten die Wände berußt, der Geruch von altem Weihrauch nahm mir den Atem. Ich blickte mich verständnislos in dem sonst so schönen Raum um, schlug dann aber ungeduldig mit der Faust auf die für die Geschenke bestimmte Platte, und die Schläge hallten durchs ganze Haus. Kurz darauf erschien Damaris mit schleppendem Schritt. Ich starrte sie entsetzt an. Das war nicht die Damaris, die ich kannte.
Sie hatte sich die Lippen grell und grob bemalt, ihr Haar war ungekämmt und strähnig wie das einer Hafendirne, und sie war in Lumpen gekleidet, die nach Wein und Erbrochenem stanken. Um die Augen hatte sie unheimliche schwarze Ringe gemalt, und mit demselben Pinsel hatte sie jede Falte in ihrem Gesicht nachgezogen, so daß ich ein liederliches altes Weib vor mir sah.
»Hier bin ich, Minutus. Deine Damaris«, sagte sie gleichgültig. »Hier bin ich, so wie du mich haben willst. Nimm mich also. Zum Lohn will ich nicht mehr als fünf Kupferscherflein.«
Ich verstand, was sie meinte. Alle Kraft verließ mich, so daß ich vor ihr auf die Knie fiel. Ich beugte den Kopf zu Boden und weinte über mein ohnmächtiges Verlangen. Zuletzt sagte ich: »Vergib mir, Damaris, meine Geliebte.«
»Du verstehst also, Minutus«, sagte sie mit weicherer Stimme. »Das wolltest du aus mir machen. Dazu wolltest du mich erniedrigen. Die Sache ist dieselbe, ob sie nun nach gebildeter Menschen Art in einem duftenden Bett geschieht oder im Hafen, zwischen stinkendem Schweinemist und Urin an eine Mauer gelehnt.«
Ich legte meinen Kopf auf ihre Knie und weinte meine Enttäuschung aus. Meine Begierde war erloschen. Sie streichelte mir tröstend übers Haar und flüsterte zärtliche Worte. Zuletzt ließ sie mich allein, ging fort und wusch sich, zog ein reines Gewand an und kam mit gekämmtem Haar zurück. Auf ihrem Gesicht leuchtete eine so innige Freude, daß ich mit zitternden Lippen ihr Lächeln erwidern mußte.
»Ich danke dir, Minutus, Lieber«, sagte sie. »Im letzten Augenblick hast du mich doch verstanden, obwohl es in deiner Macht lag, mich in meine Vergangenheit zurückzustoßen. Ich werde dir, solange ich lebe, für deine Güte dankbar sein und dafür, daß du mir nicht die Freude nahmst, die ich endlich erleben durfte. Eines Tages wirst du verstehen, daß meine Freude durch Christus wunderbarer ist als alle Freuden der Welt.«
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