Es befanden sich auch einige langhaarige, in Ziegenhäute gekleidete Philosophen unter ihnen. Diese wandernden Lehrer brüsteten sich damit, daß sie Indien oder Äthiopien bereist und geheime Kenntnisse erworben hätten. Sie berichteten so unglaubliche Lügen, daß sich die Zuhörer vor Lachen krümmten. Einige der schamlosesten Lügenmäuler soll der Areopag zwar aus der Stadt verwiesen haben, aber im übrigen konnte sich dort hinstellen, wer wollte, und reden, was ihm einfiel, solange er nicht die Götter lästerte oder sich in politische Dinge einmischte.
Ich aß und trank und versuchte mein Leben zu genießen. Es war angenehm, an einem sonnigen Tag nach einem guten Mahl auf einer warmen Marmorbank zu sitzen und die Schattenbilder zu betrachten, die die Vorübergehenden auf die Marmorfliesen des Marktes warfen. Der attische Witz ist scharf und feingeschliffen. In einem Disput gewinnt, wer die Lacher auf seine Seite bekommt. Aber das attische Lachen dünkte mich unfroh, und die Gedanken, die sich dahinter verbargen, prägten sich mir nicht so tief ein, wie sie es getan haben würden, wenn sie wirklich weise gewesen wären. Ich glaube, was in unseren Tagen in Athen gelehrt wird, ist eher eine verfeinerte Lebenskunst als Gegengewicht zur Ungeschliffenheit der Römer denn eine eigentliche Philosophie.
Aus reinem Trotz beschloß ich dennoch, in Athen zu bleiben und zu studieren, bis der Prokonsul Gallio mich nach Korinth zurückbeorderte. Doch in der Gemütsverfassung, in der ich mich befand, vermochten die Bücher in den Bibliotheken mich nicht zu fesseln, und ich fand auch keinen Lehrer, dessen Schüler ich werden wollte. Eine immer tiefere Bedrücktheit bemächtigte sich meiner, und ich fühlte mich in Athen als Fremder. Einige Male aß und trank ich mit den jungen Römern, nur um das unbarmherzige klare Latein anstelle des schwülstigen Griechisch sprechen zu können.
Eines Tages ging ich mit ihnen in das Haus einer berühmten Hetäre, hörte Flötenmusik und sah die Vorführungen von Tänzerinnen und Akrobaten. Ich glaubte unserer lächelnden Gastgeberin gern, als sie sagte, sie könne den Sinnengenuß zur schönen Kunst erheben. Sie trat mir jedoch nicht nahe, und keiner, der ihr Haus besuchte, war gezwungen, die Kunst des Sinnengenusses mit Hilfe einer ihrer angelernten Sklavinnen zu erlernen. Sie selbst unterhielt sich lieber mit ihren Gästen, als daß sie sich zu ihnen legte, und von denen, die mit ihr das Lager teilen wollten, verlangte sie einen so wahnwitzigen Preis, daß nur die reichsten alten Lebemänner ihn bezahlen konnten. Sie war daher so vermögend, daß sie uns junge Römer nicht dazu verleiten wollte, unser Reisegeld zu verschwenden.
Zu mir sagte sie schließlich: »Vielleicht ist meine Schule der Sinne nur etwas für die schon verlebten Alten, obgleich ich auf meine Kunst stolz bin. Du bist noch jung. Du weißt, was Hunger und Durst ist. Harziger Wein und trocken Brot schmecken deinem hungrigen Munde besser als zyprischer Wein und Flamingozungen einem ermüdeten Gaumen. Wenn du dich in eine Jungfrau verliebst, erregt der Anblick einer entblößten Schulter deine Sinne mehr als die Erfüllung deiner Begierde. Streich die Falten aus deiner Stirn, und freue dich deines Lebens, da du noch jung bist.«
»Berichte du mir lieber von göttlichen Geheimnissen, denn du dienst Aphrodite mit deiner Kunst«, bat ich sie.
Sie sah mich aus ihren schön geschwärzten Augen an und sagte zerstreut: »Aphrodite ist eine launische und unbarmherzige, aber auch herrliche Göttin. Wer am eifrigsten nach ihrer Gunst strebt und ihr am meisten opfert, bleibt unbefriedigt. Sie ist aus dem Schaum des Meeres geboren und ist selbst wie Schaum. Wer gierig nach ihren makellosen Gliedern greift, vor dem löst sie sich in Luft auf.«
Sie runzelte selbst ihre glatte Stirn, hob beide Hände und betrachtete gedankenverloren ihre hellrot gefärbten Nägel.
»Ich könnte dir an einem Beispiel zeigen, wie launisch die Göttin ist«, fuhr sie fort. »Unserer Zunft gehörte eine Frau an, die noch nicht sehr alt ist. Sie hat noch keine Runzeln oder andere Makel. Früher stand sie Bildhauern Modell und gewann damit großen Ruhm. Die Göttin blies ihr die Laune ein, daß sie alle berühmten Philosophen verführen müsse, die nach Athen kamen, um die Tugenden und die Kunst der Selbstbeherrschung zu lehren. Sie wollte in ihrer Eitelkeit die Weisheit dieser Männer zuschanden machen und sie so weit bringen, daß sie in ihren Armen weinten, und es gelang ihr auch. Zuerst hörte sie Abend für Abend demütig ihre Belehrungen an. Die Philosophen priesen sie als die weiseste aller Frauen, denen sie je begegnet seien, da sie so aufmerksam zuzuhören verstand. Aber nicht auf ihre Weisheit war sie aus, sondern sie verwandte ihre ganze Kunst darauf, ihre Tugend zu Fall zu bringen. Kaum war ihr das geglückt, da jagte sie die Männer spöttisch davon und wollte mit ihnen nichts mehr zu schaffen haben, obwohl sie vor ihrer Tür auf den Knien lagen und einer von ihnen sich sogar auf ihrer Schwelle das Leben nahm. Eines Tages aber, anderthalb Jahre mag es nun her sein, kam ein gelehrter Jude nach Athen.«
»Ein Jude!« rief ich und fuhr auf. Meine Kopfhaut begann zu prickeln, daß sich mir die Haare aufstellten. Die Hetäre mißverstand mein Erschrecken und fuhr fort: »Ja, ich weiß. Die Juden sind mächtige Zauberer, aber dieser war anders. Er sprach auf dem Markt und wurde, wie es der Brauch ist, vor dem Areopag über seine Lehre befragt. Er war kahlköpfig, hatte eine schiefe Nase und krumme Beine, aber er war voll Feuer. Die Frau, von der ich dir berichtete, verspürte unwiderstehliche Lust, auch die Lehre dieses Juden zuschanden zu machen. Sie lud ihn zusammen mit anderen Gästen in ihr Haus, um ihn anzuhören, kleidete sich sittsam und verhüllte ihm zu Ehren ihr Haupt. Aber wie sie es auch anstellte, es gelang ihr nicht, diesen Juden zu verführen oder ihn auch nur die Versuchung empfinden zu lassen. Zuletzt gab sie die Hoffnung auf und begann, ihm ernsthaft zuzuhören. Als er Athen wieder verlassen hatte, verfiel sie in tiefe Betrübnis, schloß ihr Haus für alle Gäste und pflegt nun nur noch Umgang mit einigen wenigen Athenern, die sich von der Lehre des Juden beeindrucken ließen; und solche gibt es, denn in Athen findet auch der närrischste Philosoph noch seine Anhänger. Auf diese Weise strafte die Göttin sie für ihre Eitelkeit, obwohl sie Aphrodite großen Ruhm eingebracht hatte. Ich für mein Teil habe daraus den Schluß gezogen, daß der Jude gar kein wirklicher Weisheitslehrer war, sondern von der Göttin selbst gefeit, so daß er allen Versuchungen widerstand. Unsere Freundin aber ist über ihre Niederlage so verbittert, daß sie aus unserer Zunft austreten und in aller Bescheidenheit von ihren Ersparnissen leben will.«
Sie lachte laut auf und warf mir einen Blick zu, der mich aufforderte, in ihr Lachen einzustimmen, doch danach war mir nicht zumute. Sie wurde wieder ernst und sagte: »Die Jugend flieht rasch dahin, die Schönheit vergeht, aber die Macht zu bezaubern kann man sich durch die Gnade der Göttin bis ins hohe Alter hinein bewahren. Dafür hatten wir ein Beispiel in der seinerzeit ältesten Angehörigen unserer Zunft, die noch mit siebzig Jahren jeden Jüngling zu verführen vermochte.«
»Wie heißt sie, und wo finde ich sie?« fragte ich.
»Sie ist schon Asche. Die Göttin ließ sie in ihrem Bett an einem Herzschlag sterben, als sie zum letztenmal ihre Kunst ausübte«, antwortete die Hetäre.
»Ich meine nicht sie, sondern die andere, die der Jude bekehrte«, sagte ich.
»Sie heißt Damaris, und den Weg zu ihrem Haus kannst du leicht erfragen, aber ich sagte dir schon, daß sie sich wegen ihres Versagens schämt und keine Gäste mehr empfängt. Was gefällt dir denn nicht hier bei mir?«
Ich besann mich darauf, was die Höflichkeit erforderte, lobte ihr Haus, die Vorführungen, die sie ihren Gästen bot, ihren duftenden Wein und ihre eigene unvergleichliche Schönheit, bis sie sich beruhigte und ihren Unmut vergaß. Nach einer Weile erhob ich mich, legte meine Gabe auf die Platte und kehrte in der düstersten Stimmung in meine Herberge zurück. Es war wie ein Fluch, daß ich nicht einmal in Athen dem Juden Paulus entging, denn von ihm war die Rede gewesen.
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