Ich glaube aber, daß Gallio sich viel mit übernatürlichen Dingen beschäftigte, da er bisweilen darüber sprach, und welcher Römer ist wohl ganz frei von Aberglauben! Um sich abzulenken, bat er mich nun, Wein mit ihm zu trinken. Er rief seine Frau, damit sie uns Gesellschaft leiste, und begann uns ein Schauspiel vorzulesen, das er nach einer griechischen Vorlage in lateinischer Sprache geschrieben und für den römischen Geschmack bearbeitet hatte. Zwischendurch las er immer wieder griechische Verse vor, um zu zeigen, wie gut sich unsere Sprache den griechischen Rhythmen fügte, wenn man es nur richtig anpackte.
Das Schauspiel handelte vom Trojanischen Krieg und hätte mich interessieren müssen, da die Troer ja durch Aeneas die Vorfahren der Römer sind. Nachdem ich ein wenig Wein getrunken hatte, sagte ich jedoch: »Die griechische Buchsprache ist schön, aber heute klingt sie für meine Ohren merkwürdig tot. Paulus spricht die lebendige Sprache des Volkes.«
Gallio sah mich mitleidig an und erklärte: »In der Volkssprache kann man nur die allergröbsten Satyrspiele schreiben, weil sie an und für sich komisch wirkt. Daher bedienen sich ja auch die oskischen Schauspieler in Rom der Sprache des Marktes. Aber Philosophie in der Volkssprache? Du bist nicht bei Sinnen, Minutus!«
Er wurde plötzlich rot im Gesicht, rollte seine Handschrift zusammen und sagte: »Es wird Zeit, daß wir dir die jüdischen Giftdämpfe aus dem Kopf vertreiben. Du warst noch nicht in Athen. Wir haben einen kleinen Grenzstreit in Delphi, der eine Besichtigung am Platz erfordert, und in Olympia wird man sich wegen der Wettspiele nicht einig. Mach dich auf den Weg. Mein Vortragender in der Kanzlei gibt dir alle Auskünfte, die du brauchst, sowie eine Vollmacht.«
Die schöne Helvia strich ihm mit den Fingerspitzen über die Schläfe und die eine seiner feisten Wangen und sagte mitleidig: »Warum willst du einen begabten jungen Mann zu unaufhörlicher Wanderschaft verdammen? Die Griechen werden schon noch mit ihren Streitigkeiten zu dir kommen. Wir sind hier in Korinth. Die Freundschaft einer reifen Frau würde ihm gewiß mehr nützen als alles Umherziehen.«
Sie sah mich an Gallio vorbei lächelnd an und bedeckte ihre weiße Schulter, die sich unversehens entblößt hatte. Ich verstehe nicht genug von dergleichen Dingen, um den kunstvollen Faltenwurf ihres Gewandes, ihre Haartracht und den seltenen indischen Schmuck, den sie trug, zu beschreiben. Ich riß meine Blicke von ihr los, sprang auf, stellte mich breitbeinig in vorschriftsmäßiger Haltung vor Gallio auf und murmelte: »Wie du befiehlst, Prokonsul!«
Auf diese Weise hatte der jüdische Unruhestifter Paulus auch Gallio und mich entzweit. Ich ließ mein Haus in der Obhut meines Sklaven Hierax zurück und ritt mit einigen Männern der Kohorte und einem griechischen Führer aus der Stadt.
Über Delphi, Olympia und Athen gibt es so viele begeisterte Reiseschilderungen, daß ich ihre unvergleichlichen Sehenswürdigkeiten nicht eigens zu erwähnen brauche. nicht einmal Rom ist es bisher geglückt, aus diesen Städten mehr als einen geringen Teil der Kunstschätze fortzuschleppen, obwohl zugegeben werden muß, daß wir seit Sulla unser Bestes getan haben, Rom auf Kosten des griechischen Wunders zu bereichern.
Aber sosehr ich mich auch bemühte, alles Sehenswerte in mich aufzunehmen, erschien mir doch die Schönheit, die ich allenthalben sah, im Grunde nichtssagend. Weder der bemalte Marmor noch das Elfenbein noch das Gold der schönsten Statuen, die je geschaffen wurden, sprach zu meinem Herzen.
Mit dem Grenzstreit in Delphi befaßte ich mich gründlich und ließ mich der Gerechtigkeit halber von beiden Parteien zum Mahl einladen. In Delphi selbst sah ich mit eigenen Augen die Pythia in ihrem Rausch. Aus ihren unverständlichen Worten formte ihr Priester ein paar für mich schmeichelhafte Orakelverse, die es nicht wert sind, hier wiedergegeben zu werden.
Nahe bei Olympia gibt es einen heiligen Bezirk mit einem Tempel, den der Feldherr Xenophon vor mehr als vierhundert Jahren der Göttin Artemis weihte.
Ein Zehntel von allem, was dort geerntet wurde, war früher für das Erntefest der Bewohner dieses Landstrichs verwendet worden, und in den uralten Obstgärten durfte jeder so viel Früchte pflücken, wie er nur wollte.
Im Laufe der Jahre waren jedoch viele Grenzsteine verrückt worden, und der Tempel war verfallen. Zu Pompejus’ Zeiten hatte man sogar die Statue der Göttin nach Rom entführt. Die Bewohner der Gegend führten nun darüber Klage, daß der Mann, der das der Göttin geweihte Land in Besitz genommen hatte, die ursprünglich aufgestellten Bedingungen nicht mehr erfüllte. Sie bewahrten eine alte Steintafel auf, worauf noch deutlich zu lesen war: »Dies Land ist Artemis geweiht. Wer es besitzt, opfere jährlich einen zehnten Teil. Vom Verbleibenden unterhalte er den Tempel. Versäumt er diese Pflicht, die Göttin wird es ihm nicht vergessen.«
In der Volksversammlung berichteten einige Greise langatmig von ihren Erinnerungen aus früheren Zeiten, da zum Artemisfest Wein, Mehl und süßes Backwerk ausgeteilt worden waren. Ein jeder hatte auf dem heiligen Boden im Namen der Artemis jagen dürfen. Ich ließ sie alle ausreden. Der Besitzer des Landes gelobte, er werde den alten Brauch beim Erntefest wieder einführen, erklärte aber, es übersteige sein Vermögen, den Tempel instand zu halten.
In meinem Urteilsspruch sagte ich hierzu: »Dies ist nicht Sache Roms. Macht es mit der Göttin aus, wie es hier auf der Steintafel steht.«
Mit dieser Entscheidung war niemand zufrieden. Später, während meines Aufenthalts in Olympia, hörte ich, daß der Besitzer bei einer Rehjagd in eine Schlucht gestürzt war. Artemis hatte sich das Ihre geholt. Er hatte keine Leibeserben, weshalb die Bewohner der Gegend das heilige Land unter sich aufteilten. Ich nahm mir vor, mir diese Geschehnisse gut zu merken, um sie, falls ich noch einmal mit ihm zusammentreffen sollte, Claudius zu berichten. Der Kaiser liebte alte Denkmäler und Inschriften und konnte den Tempel leicht wieder instand setzen lassen.
Zuletzt kam ich nach Athen. Wie es die gute Sitte verlangt, legte ich meine Rüstung am Stadttor ab, zog einen weißen Mantel an, setzte mir einen Kranz auf und ging zu Fuß und nur von meinem griechischen Führer begleitet in die Stadt. Die Soldaten schickte ich auf Urlaub nach dem Piräus, wo sie sich im Schutz der römischen Garnison ein paar vergnügte Tage machen mochten.
Es stimmt, was man mir berichtet hatte; daß man nämlich in Athen mehr Götterbilder als Menschen sieht. Es gibt dort prachtvolle Bauten, die Könige aus dem Osten haben aufführen lassen, und auf dem Forum wandeln von morgens bis abends die Philosophen mit ihren Schülern umher. In jedem Winkel stößt man auf einen der Andenkenläden, in denen der billigste Kram verkauft wird, aber auch kostbare kleine Nachbildungen der Tempel und Götterbilder der Stadt.
Nachdem ich pflichtgemäß die Besuche im Rathaus und im Versammlungshaus des Areopags hinter mich gebracht hatte, zog ich in die beste Herberge und wurde dort mit allerlei jungen Leuten aus Rom bekannt, die in Athen ihre Bildung vervollkommneten, bevor sie die Beamtenlaufbahn antraten. Der eine lobte mir seinen Lehrer, ein anderer zählte mir die Namen und Preise berühmter Hetären auf, und wieder ein anderer nannte mir die besten Speisehäuser, in denen ich seiner Meinung nach unbedingt essen mußte.
Zahlreiche Führer wollten mir die Sehenswürdigkeiten Athens zeigen, aber als ich ein paar Tage auf dem Markt umhergegangen war und verschiedene Lehrer angehört hatte, kannte man mich und ließ mich in Ruhe. Ich fand bald heraus, daß alle Philosophen Athens darin wetteiferten, andere die Kunst zu lehren, wie man Gleichmut und unerschütterliche Seelenruhe erlangt. Sie redeten feurig und schnell, wandten treffende Gleichnisse an und disputierten gern miteinander.
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