Für einen kurzen Augenblick faßte mich eine tiefe Sehnsucht nach Rom, wo mir das Leben so viel einfacher und an eine feste Ordnung gebunden zu sein schien. Gleich darauf sagte ich mir jedoch, daß ein bloßer Ortswechsel mir auch keine Erleichterung verschaffen konnte, und seufzte.
Gallio fuhr zerstreut lächelnd fort: »Ich höre, du hast dich auf deiner Reise mit Artemis verfeindet. Es wäre wohl das klügste, wenn du ihr persönlich im Tempel zu Ephesus eine Opfergabe darbrächtest. Ich habe einen vertraulichen Brief an den Prokonsul in Asia. Wenn du mit ihm zusammentriffst, kannst du ihm auch gleich berichten, wie begabt Nero ist, wie bescheiden er in der Kurie auftritt und wie klug Agrippina ihn erzieht. Neros Ehe mit Octavia hat eine gewisse politische Bedeutung, wie du bei einigem Nachdenken selbst erkennen wirst. Natürlich leben die beiden noch nicht zusammen, denn Octavia ist ja noch ein Kind.«
Mein Kopf war so umnebelt, daß ich nur einfältig zu nicken vermochte. Gallio hielt es für nötig, mir zu erklären: »Unter uns gesagt, ist die Abstammung von Britannicus und Octavia wegen Messalinas schlechtem Ruf, gelinde ausgedrückt, zweifelhaft, aber Claudius betrachtet sie als seine eigenen Kinder, was sie vor dem Gesetz ja auch sind, und nicht einmal Agrippina wagt es, an so heikle Dinge zu rühren und seine männliche Eitelkeit zu kränken.«
Ich gab zu, daß ich in Rom vor meiner Reise nach Britannien allerlei Gerüchte vernommen hatte, fügte aber offenherzig hinzu: »Damals hatte es den Anschein, als brächte man absichtlich so furchtbare Dinge über Messalina in Umlauf. Ich konnte das Gerede nicht ernst nehmen. Sie war jung, schön und genußsüchtig, und Claudius war, verglichen mit ihr, ein Greis. Trotzdem mag ich über sie nicht das Schlimmste denken.«
Gallio schwenkte ungeduldig seinen Becher. »Vergiß nicht, daß wegen Messalinas Leichtfertigkeit fünfzig Senatoren und einige hundert Ritter den Kopf verloren oder sich selbst die Pulsadern aufschneiden durften. Dein Vater hätte sonst wohl kaum den Purpurstreifen bekommen.«
»Wenn ich dich recht verstanden habe, Prokonsul«, sagte ich zögernd, »so meinst du, daß Claudius einen kranken Magen und einen schwachen Kopf hat. Einmal wird er die Schuld eines jeden Menschen bezahlen müssen, soviel wir auch seinem Genius opfern.«
»Wer wird ihm Schlimmes voraussagen wollen!« rief Gallio. »Es soll sein, als hättest du diese Worte nie laut ausgesprochen. Claudius hat Rom trotz seiner Schwächen so gut regiert, daß der Senat ihn nach seinem Tode getrost zum Gott erhöhen kann, obgleich das nicht wenig Spott und Gelächter geben wird. Wer vorausblickt, fragt sich eben nur zur rechten Zeit, wer an seine Stelle treten soll.«
»Nero Imperator«, flüsterte ich träumend. »Aber Nero ist ja noch ein Knabe.« Zum erstenmal dachte ich an diese Möglichkeit, und der Gedanke entzückte mich, da ich schon Neros Freund gewesen war, bevor seine Mutter sich mit Claudius vermählte.
»Dieser Gedanke braucht dich nicht zu erschrecken, Tribun Minutus«, sagte Gallio. »Es ist nur gefährlich, ihn offen auszusprechen, solange Claudius noch lebt und atmet. Um aber die Fäden des Schicksals und des Zufalls zu entwirren und in die Hand zu bekommen, wäre es gewiß sehr nützlich, wenn dieser vortreffliche Gedanke auch in die Köpfe führender Männer in anderen Provinzen Eingang fände. Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich von Ephesus nach Antiochia begäbst. Das ist ja deine alte Heimatstadt. Die Freigelassenen deines Vaters sollen dort Reichtümer und großen Einfluß erworben haben. Du brauchst nur gut über Nero zu reden, sonst nichts. Nur keine Andeutungen über die Zukunft in klaren Worten – davor mußt du dich hüten! Ein jeder, mit dem du sprichst, mag seine eigenen Schlüsse ziehen. Es gibt im Osten mehr klug berechnende politische Vernunft, als man in Rom zu glauben geneigt ist.«
Er ließ mich eine Weile nachdenken, bevor er fortfuhr: »Natürlich mußt du für die Kosten deiner Reise selbst aufkommen, wenngleich ich dir der Form halber ein paar Handschreiben mitgebe. Was du sagst, das sagst du aus eigenem, freiem Willen, nicht in meinem Auftrag. Du hast ein so offenes Wesen und bist noch so jung, daß dich kaum einer für einen politischen Ränkeschmied halten wird. Und das bist du ja auch auf keinen Fall, nicht wahr? Es gibt eine ganze Anzahl Römer, die nur um einer Laune des Kaisers willen die Qualen der Verbannung erleiden müssen, und diese Männer haben Freunde in Rom. Geh ihnen nicht aus dem Weg, denn sobald Claudius tot ist, werden alle Verbannten, auch die Juden, begnadigt. Das verspricht mein Bruder, der selbst acht Jahre lang die Verbannung geschmeckt hat. Du kannst das Magenleiden des Kaisers erwähnen, darfst aber nicht vergessen hinzuzufügen, daß es sich gewiß nur um ganz harmlose Blähungen handelt, und dann magst du darauf hinweisen, daß man ähnliche Beschwerden auch bei Magenkrebs hat. Unter uns gesagt: Agrippina macht sich wegen Claudius’ Gesundheitszustand große Sorgen. Er ist ein Leckermaul und will keine vernünftige Diät halten.«
Ich mußte unwillkürlich glauben, daß Gallio der Wein zu Kopf gestiegen war. Hätte er sonst gewagt, mir solche Dinge laut zu sagen? Vermutlich überschätzte er meinen Ehrgeiz, weil er den Ehrgeiz für eine jedem Römer angeborene Eigenschaft hielt, und auch ich habe ja Wolfsblut in meinen Adern. Jedenfalls hatte er mir den Kopf heiß gemacht, und ich hatte nun über anderes nachzudenken als nur über Damaris in Athen.
Zuletzt bat er mich, die Sache in Ruhe zu überschlafen, und schickte mich nach Hause. Es war sehr spät geworden. Trotzdem brannte in dem Ring neben der Tür meines Hauses eine Fackel, und von drinnen hörte ich Gesang und Geschrei. Ich fragte mich, ob Hierax von meiner Ankunft gehört und vielleicht irgendeinen festlichen Empfang vorbereitet hatte. Als ich eintraf, erblickte ich eine große Menge Menschen, Männer und Frauen, die sich gerade von einem gemeinsamen Mahl erhoben. Offensichtlich waren alle schwer bezecht. Einer tanzte herum und verdrehte die Augen, ein anderer schwatzte ununterbrochen in einer Sprache, die ich nicht verstand. Hierax ging als Gastgeber umher und küßte seine Gäste der Reihe nach mit großer Zärtlichkeit. Als er mich endlich bemerkte, blieb er verwirrt stehen, gewann jedoch rasch die Fassung wieder und rief: »Gesegnet sei dein Eingang und dein Ausgang, Herr! Wie du siehst, üben wir uns gerade in heiligen Gesängen. Auf deinen Befehl habe ich mich mit der neuen Lehre der Juden bekannt gemacht. Sie paßt einem einfachen Sklaven wie ein Handschuh.«
Der Türhüter und die Köchin wurden rasch nüchtern und warfen sich vor mir auf die Knie. Als Hierax sah, wie mein Gesicht vor Zorn rot anlief, zog er mich beiseite und erklärte eilig: »Ärgere dich nicht, Herr. Es ist alles in guter Ordnung. Der strenge Paulus hat aus dem einen oder anderen Grunde plötzlich den Mut verloren. Er schnitt sich das Haar und segelte nach Asia und Jerusalem, um den Ältesten Rechenschaft abzulegen. Als er fort war, begannen wir Christen darum zu streiten, wer nun die anderen lehren solle. Die Juden glauben, sie wüßten alles besser als andere, selbst wo es sich um Christus handelt. Deshalb versammeln wir Unbeschnittenen uns hier in deinem Haus, wo wir, so gut wir es verstehen, die neue Lehre ausüben und auch ein wenig besser essen können als bei den gemeinsamen Mählern, zu denen immer viel zu viele arme, nicht zahlende Gäste kommen. Dieses Mahl hier bezahle ich selbst. Ich habe nämlich diese vermögende und noch recht ansehnliche Witwe dort drüben an der Angel. Unter den Christen habe ich überhaupt lauter nützliche Bekanntschaften geschlossen. Das ist bei weitem die beste geheime Gesellschaft, der ich je angehört habe.«
»Bist du Christ geworden und hast dich taufen lassen, und hast du Buße getan und was sonst noch alles dazugehört?« fragte ich entsetzt.
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