Kurz vor Winteranfang traf ein römischer Schnellruderer in Ephesus ein, an dessen Bord sich Publius Celer, ein betager Ritter, befand. Er brachte die Nachricht, daß Kaiser Claudius, wie man seit langem erwartete, seiner Magenkrankheit erlegen war. Afranius Burrus, der Präfekt der Prätorianer, hatte Nero ins Prätorianerlager tragen lassen. Nero hatte eine außerordentliche Rede gehalten und den Männern das übliche Geldgeschenk versprochen. Darauf war er unter allgemeinem Jubel zum Imperator ausgerufen worden, und der Senat hatte den Beschluß einstimmig bekräftigt.
Junius Silanus prüfte die Erlässe und Vollmachten, die Celer mitgebracht hatte, genau. Publius Celer war ein für sein Alter rüstiger Mann, der genau zu wissen schien, was er wollte. Ein Schwerthieb hatte eine Narbe in dem einen Mundwinkel hinterlassen, die den Mund schief zog, so daß er stets spöttisch zu grinsen schien.
Mir überbrachte er Grüße von Seneca, der für meinen Brief dankte und mich aufforderte, nach Rom zurückzukehren, da Nero, nun er seine freisinnige Regierung antrat, seine Freunde um sich brauchte. Die Vergehen, Streitigkeiten und Fehler vergangener Tage waren vergessen und vergeben. Die Verbannten durften nach Rom zurückkehren. Von den Vätern in der Kurie unterstützt, hoffte Nero der ganzen Menschheit ein Glücksbringer werden zu können. Die üblichen offiziellen Maßnahmen wurden getroffen. Die Verwaltungsbehörde beschloß, bei dem bekanntesten Bildhauer Roms eine Statue Neros zu bestellen. Junius Silanus aber gab trotz seines Reichtums kein öffentliches Mahl zu Neros Ehren, was eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, sondern lud nur seine nächsten Freunde auf sein Landgut ein, so daß wir nicht mehr als dreißig bei Tisch waren. Nachdem er Kaiser Claudius, der durch Senatsbeschluß zum Gott erhoben worden war, ein Trankopfer dargebracht hatte, wandte sich Junius Silanus mit rotem Kopf an Celer und sagte böse: »Wir haben genug dummes Zeug geschwatzt. Sag mir jetzt, was in Rom wirklich geschehen ist.«
Publius Celer hob die Brauen und fragte mit einem schiefen Lächeln: »Haben deine Pflichten dich überanstrengt? Worüber ereiferst du dich? Dein Alter und deine körperliche Verfassung vertragen keine unnötigen Gemütsbewegungen.«
Junius Silanus atmete wirklich schwer und war gereizt wie jeder, der eine Enttäuschung erlitten hat. Aber Publius Celer berichtete in scherzendem Tonfall: »An Claudius’ Begräbnistag hielt Nero als sein Sohn die übliche Gedenkrede auf dem Forum. Ob er sie ganz allein entworfen oder ob Seneca ihm geholfen hatte, wage ich nicht zu sagen. Nero hatte trotz seiner Jugend schon Beweise seiner eigenen dichterischen Begabung abgelegt. Jedenfalls sprach er mit weithin hallender Stimme und schönen Gebärden. Die Väter, die Ritter und das Volk lauschten fromm, als Nero das berühmte Geschlecht des Claudius und die Triumphe seiner Väter, seine eigene Gelehrsamkeit und seine Regierungszeit pries, in der der Staat von allen äußeren Gefahren verschont geblieben war. Dann aber wechselte Nero geschickt den Tonfall und lobte, widerwillig und gleichsam nur durch Schick und Brauch gezwungen, auch des toten Claudius’ Klugheit, Güte und Staatskunst. Da vermochte keiner mehr an sich zu halten. Gewaltiges Gelächter unterbrach immer wieder Neros Rede. Man lachte sogar, als er von seinem eigenen unersetzlichen Verlust und großen Kummer sprach. Der Begräbniszug war eine einzige Narrenposse, und niemand verbarg mehr seine Erleichterung darüber, daß Rom endlich der Willkür eines grausamen, genußsüchtigen und schwachsinnigen Prassers entronnen war.«
Junius Silanus schlug seinen goldenen Becher so heftig gegen die Kante seines Liegesofas, daß mir der Wein ins Gesicht spritzte, und brüllte: »Claudius war so alt wie ich, und ich dulde nicht, daß man sein Andenken beschimpft. Sobald die Väter zur Vernunft kommen, werden sie wohl einsehen, daß der siebzehnjährige Sohn einer machtlüsternen Mutter nicht über die Welt herrschen kann.«
Celer nahm diese Worte ruhig auf. »Claudius ist zum Gott erhöht worden«, sagte er. »Wer kann von einem Gott schlecht sprechen! In Elysiums Blumengefilden steht Claudius göttlich erhaben über aller Kritik und Verunglimpfung; das müßtest du doch begreifen, Prokonsul. Senecas Bruder Gallio scherzte gewiß nur, als er sagte, Claudius sei mit einem Haken unterm Kinn zum Himmel hinaufgezogen worden, so wie wir die Leichen der Staatsverbrecher von Tullianum zum Tiber schleifen. Ein solcher Scherz beweist aber nur, daß man in Rom wieder offen zu lachen wagt.«
Als Junius Silanus immer noch vor Zorn und Atemlosigkeit schnaubte, schlug Publius Celer einen anderen Ton an und sagte warnend: »Es ist besser, du trinkst auf das Wohl des Imperators und vergißt deinen Groll, Prokonsul.«
Auf seinen Wink brachte Helius einen neuen Goldbecher und reichte ihn Celer. Celer mischte vor aller Augen den Wein, schenkte ein, trank selbst aus dem Becher und reichte ihn Silanus, der ihn nach seiner Gewohnheit in wenigen Zügen leerte, da er wohl oder übel auf den neuen Kaiser trinken mußte.
Als er den Becher wieder niedergesetzt hatte, wollte er offensichtlich noch eine bissige Bemerkung anbringen, aber plötzlich schwollen seine Schläfenadern, er fuhr sich mit den Händen an den Hals und stöhnte nur, während sein Gesicht blau anlief. Wir starrten ihn erschrocken an, und noch ehe einer von uns einer einzigen Bewegung fähig war, stürzte er schwer zu Boden. Sein Körper zuckte noch einige Male, und dann tat er vor unser aller Augen seinen letzten Atemzug.
Wir waren entsetzt aufgesprungen, und keiner vermochte ein Wort zu sagen. Nur Publius Celer bewahrte die Fassung und ließ sich in ruhigem Tonfall vernehmen: »Ich warnte ihn davor, sich aufzuregen. Die Pflichten, die diese unerwarteten Veränderungen mit sich brachten, haben ihn überanstrengt, und er nahm vor dem Mahl ein zu heißes Bad. Wir wollen aber diesen Herzschlag eher als ein gutes Vorzeichen betrachten denn als ein böses. Ihr habt alle gehört, welch bitteren Groll er gegen den Imperator und dessen Mutter hegte. Aus Groll nahm sich seinerzeit auch sein jüngerer Bruder Lucius das Leben, nur um Claudius und Agrippina den Hochzeitstag zu verderben, nachdem Claudius seine Verlobung mit Octavia gelöst hatte.«
Wir begannen alle durcheinanderzureden und bezeugten, daß wir gesehen hatten, wie plötzlich das Herz eines zu dicken Mannes vor Ärger brechen kann. Helius holte den Arzt des Silanus, der sich an die gesunden Lebensregeln der Bewohner von Kos hielt und schon früh schlafen gegangen war. Er eilte erschrocken herbei, wandte die Leiche um, bat um mehr Licht und blickte mißtrauisch in den Hals des Toten. Dann verhüllte er, ohne ein Wort zu sagen, sein Haupt.
Als Publius Celer ihm einige Fragen stellte, bekannte er, daß er seinen Herrn oft vor der Prasserei gewarnt hatte, und bestätigte, daß alle Anzeichen auf einen Herzschlag deuteten.
»Über diesen Vorfall muß ein ärztliches Zeugnis und ein amtliches Dokument ausgestellt werden, das wir alle als Zeugen unterzeichnen«, sagte Publius Celer. »Wenn eine bekannte Persönlichkeit eines plötzlichen Todes stirbt, geraten rasch die Lästerzungen in Bewegung. Deshalb muß auch bezeugt werden, daß ich selbst von dem Wein kostete, den ich ihm reichte.«
Wir sahen einander verwirrt an. Es hatte zwar so ausgesehen, als hätte Celer selbst aus dem Becher getrunken, aber er konnte uns auch getäuscht haben, wenn der Becher wirklich Gift enthielt. Ich habe hier alles so berichtet, wie es sich zutrug, denn später hieß es, Agrippina habe Celer mit dem ausdrücklichen Auftrag entsandt, Silanus zu vergiften, und dieser starb ja auch genau zum richtigen Zeitpunkt.
Das Gerücht behauptete, Celer habe sowohl Helius als auch den Arzt bestochen. Sogar mein Name wurde in diesem Zusammenhang genannt, und es fielen einige böse Andeutungen des Sinnes, daß ich ein guter Freund Neros sei. Der Prozeß, der auf Verlangen des Senats gegen Celer eingeleitet wurde, um der Sache auf den Grund zu gehen, wurde so lange verschleppt, bis Celer schließlich an Altersschwäche starb. Ich hätte jederzeit gern zu seinen Gunsten ausgesagt. Helius bekam später eine hervorragende Stellung im Dienste Neros.
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