Paulus hielt sich eine Weile versteckt und mußte dann aus der Stadt fliehen. Nachdem ich ihm auf Umwegen eine ernste Warnung hatte zugehen lassen, hörten wir, daß er nach Makedonien gereist war. Nach seinem Fortgang wurde es allmählich ruhig in der Stadt, und die Juden hatten an anderes zu denken. Es befanden sich unter ihnen übrigens viele aus Rom verbannte Handwerker, die auf Grund der allgemeinen Begnadigung bei Frühjahrsbeginn zurückzukehren gedachten.
Einstweilen tobten die Winterstürme, und im Hafen lag nicht ein einziges Schiff, das bereit gewesen wäre, nach Italien abzusegeln. Publius Celer hatte jedoch einen tiefen Groll gegen mich gefaßt. Um nicht bleiben und mit ihm streiten zu müssen, suchte ich weiter und machte schließlich ein kleines Schiff ausfindig, das, mit Götterbildern schwer befrachtet, unter dem Schutz der Artemis die Fahrt nach Korinth anzutreten wagte. Wir hatten das Glück, den Nordstürmen zu entgehen, mußten aber unterwegs mehrere Male in Inselhäfen Schutz suchen.
Hierax Lausius hatte mich als tot betrauert, da er so lange nichts von mir gehört hatte. Er war noch dicker geworden, trug den Kopf sehr hoch und hatte sich beim Sprechen einen feierlichen Tonfall angewöhnt. Er war mit der fülligen griechischen Witwe verheiratet und hatte zwei elternlose Knaben ins Haus genommen, um für ihre Erziehung zu sorgen und ihr Eigentum zu verwalten. Stolz zeigte er mir seinen Fleischladen, der im Sommer durch Quellwasser aus dem Berg kühl gehalten wurde. Er hatte auch Anteile an Schiffen erworben und kaufte handwerklich ausgebildete Sklaven, um eine eigene Bronzegießerei zu gründen. Als ich ihm von den Unruhen in Ephesus erzählte, nickte er verständnisvoll und sagte: »Ja, wir haben auch hier unsere Zwistigkeiten. Du erinnerst dich gewiß, daß Paulus nach Jerusalem reiste, um vor den Ältesten Rechenschaft abzulegen. Sie fanden seine Lehre zu verworren und verweigerten ihm, soviel wir hörten, ihre Zustimmung. Kein Wunder, daß er nun in seinem Zorn noch hitziger predigt. Es ist vielleicht wirklich etwas von der Kraft Christi auf ihn übergegangen, da er ja einige Wunderheilungen zustande gebracht hat, aber die vernünftigen Christen halten sich lieber von ihm fern.«
»Du bist also immer noch Christ?« fragte ich verwundert.
»Ich glaube sogar, ich bin ein besserer Christ als je zuvor«, antwortete Hierax. »Ich habe den Frieden in meiner Seele, eine gute Frau und Erfolge in meinen Unternehmungen. Es kam übrigens ein Bote, der Apollos heißt, hierher nach Korinth. Er hat die Schriften der Juden in Alexandria studiert und ist in Ephesus von Aquila und Prisca unterrichtet worden. Er ist ein hinreißender Redner und gewann sich viele Anhänger. Wir haben daher nun eine Apollos-Partei, die ihre eigenen Versammlungen und Mähler abhält und nicht mit den übrigen Christen verkehrt, Prisca hatte so gut von ihm gesprochen, daß er hier herzlich empfangen wurde, und später erst erkannten wir, wie machtlüstern er ist. Zum Glück weilt auch Kephas unter uns, der Erste der Jünger Christi. Er ist viel umhergereist, um die Gemüter zu beruhigen, und gedenkt im Frühling Rom aufzusuchen, um dafür zu sorgen, daß nicht der alte Streit wieder ausbricht, wenn die verbannten Juden zurückkehren. Ich glaube ihm mehr als allen anderen, denn was er lehrt, das hat er aus dem Munde Christi selbst gehört.«
Hierax sprach so ehrerbietig von Kephas, daß ich Lust bekam, ihn zu sehen, obwohl mir Juden wie Christen schon bis zum Halse standen. Ich erfuhr, daß Kephas ursprünglich ein galiläischer Fischer gewesen war, den Jesus von Nazareth etwa fünfundzwanzig Jahre vor meiner Geburt gelehrt hatte, Menschen zu fischen. Kephas hatte da gewiß eine schwere Bürde auf sich genommen, denn er war ein ungebildeter Mann aus dem Volke und sprach mit knapper Not ein paar Worte Griechisch. Er mußte daher immer einen Dolmetsch mitführen. Ich glaubte jedoch allen Grund zu haben, einen Mann kennenzulernen, dem es gelungen war, Hierax fromm zu machen, denn dieses Wunder hatte nicht einmal Paulus mit all seiner jüdischen Gelehrsamkeit und seinem Glaubenseifer bewirken können.
Kephas wohnte bei einem der Juden, die sich zu Christus bekannten. Dieser Jude betrieb einen Handel mit in Öl eingelegtem Fisch und war kein vermögender Mann. Als ich sein Haus, zu dem Hierax mich geführt hatte, betrat, rümpfte ich die Nase. Es stank nach Fisch, und unter meinen Schritten knirschte der Sand, den die vielen Besucher ins Haus gebracht hatten. Ich befand mich in einem kleinen, schlecht beleuchteten Raum. Der jüdische Wirt des Kephas begrüßte uns verlegen und mißtrauisch, so als fürchtete er, meine Anwesenheit könnte seine Wohnstatt verunreinigen.
Er gehörte offenbar zu jenen Juden, die zwar Christus gewählt hatten, dabei aber immer noch versuchten, das jüdische Gesetz einzuhalten und die Berührung mit unbeschnittenen griechischen Christen zu vermeiden. Er befand sich in einer schwierigeren Lage als die Griechen, da die rechtgläubigen Juden ihn als Abtrünnigen mit besonderem Haß verfolgten, und zudem litt er ständig Gewissensqualen wegen des Gesetzes.
Der Jude Kephas trug Quasten an seinem Mantel. Er war ein hochgewachsener Mann mit dichtem Haupthaar und Silberfäden im Bart. Seinen breiten, kräftigen Händen sah man an, daß er früher einmal schwere körperliche Arbeit verrichtet hatte. Sein Blick war gelassen und furchtlos, und als er mich betrachtete, glaubte ich, in seinen Augen eine gewisse Bauernschläue zu erkennen, die mich für ihn einnahm. Er strahlte Ruhe und Sicherheit aus.
Ich muß gestehen, daß ich von unserem Gespräch nicht viel behalten habe. Meist sprach Hierax, auf eine schmeichlerische Art, und wir hatten unsere Not mit dem Dolmetsch, einem schmächtigen Juden, der Marcus hieß und viel jünger als Kephas war. Kephas sprach ein träges Aramäisch in kurzen Sätzen. Ich erinnerte mich meiner Kindheit in Antiochia und versuchte zu verstehen, was er sagte, bevor der Dolmetsch übersetzte, doch das verwirrte mich nur. Im Grunde aber fand ich, daß Kephas eigentlich nichts Bemerkenswertes zu sagen hatte. Er wirkte am stärksten durch die versöhnliche Wärme, die von ihm ausging.
Kephas versuchte auf eine etwas kindliche Art seine Gelehrsamkeit zu beweisen, indem er aus den Schriften der Juden zitierte. Er wies die Schmeicheleien des Hierax würdevoll zurück und ermahnte ihn, nur Jesu Christi Gott und Vater zu preisen, der ihn, Hierax, in seiner Barmherzigkeit zu lebendiger Hoffnung wiedergeboren hatte.
Hierax hatte plötzlich Tränen in den Augen und bekannte aufrichtig, daß er zwar eine Art Wiedergeburt in seinem Herzen wahrgenommen habe, daß aber sein Körper noch immer ein Tummelplatz selbstsüchtiger Begierden sei. Kephas tadelte ihn nicht, sondern betrachtete ihn nur mit einem zugleich milden und schlauen Blick, so als durchschaute er ihn zwar in seiner ganzen menschlichen Schwäche, sähe aber doch auch eine Spur echten Strebens nach dem Guten in seiner abgefeimten Sklavenseele.
Hierax bat Kephas eifrig, zu berichten, wie er König Herodes entronnen war und welche Wunder er in Jesu Christi Namen getan hatte. Der aber hatte begonnen, mich aufmerksam zu mustern, und mochte nicht mit seinen Wundertaten prahlen. Statt dessen trieb er ein wenig Spott mit sich selbst und sagte uns, wie wenig er Jesus von Nazareth verstanden hatte, als er vor dessen Kreuzigung noch mit ihm wanderte. Er berichtete uns sogar, daß es ihm nicht einmal gelungen war, wach zu bleiben, während Jesus in der letzten Nacht seines Erdenlebens betete. Als Jesus gefangengenommen worden war, war er ihm nachgegangen und hatte draußen im Hof beim Kohlenfeuer dreimal geleugnet, daß er ihn kannte, ganz wie Jesus es ihm vorausgesagt hatte, als er, Kephas, sich damit brüstete, daß er bereit sei, mit ihm zu leiden.
Ich kam allmählich zu der Überzeugung, daß des Kephas eigentliche Stärke gerade solche einfachen Geschichten waren, die er Jahr für Jahr so oft wiederholt hatte, daß er sie fließend vorzutragen vermochte. Er, der ungelehrte und des Schreibens unkundige Fischer, trug Christi eigene Worte und Lehrsprüche genau im Gedächtnis und versuchte durch seine Demut und Bescheidenheit anderen Christen ein Vorbild zu sein, die sich, wie Hierax, im Namen Christi wie Kröten aufblasen konnten.
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