Als es auf den Winter zuging, kam endlich der Tag, auf den ich mich so eifrig vorbereitet hatte. Ich durfte mein Buch im Vorlesungssaal der kaiserlichen Bibliothek auf dem Palatin vortragen. Durch meinen Freund Lucius Domitius ließ mich Kaiser Claudius wissen, daß er selbst am Nachmittag anwesend sein werde. Das hatte zur Folge, daß alle, die nach der Gunst des Kaisers strebten, um die Plätze im Saal kämpften.
Unter den Zuhörern befanden sich Offiziere, die in Britannien gedient hatten, Mitglieder des Senatsausschusses für britische Fragen und sogar der Feldherr und Triumphator Aulus Plautius. Viele, die die Lesung hören wollten, mußten vor den Türen bleiben und beklagten sich später bei Claudius, weil sie ungeachtet ihres, wie sie behaupteten, ungeheuren Interesses für das Thema keinen Platz bekommen hatten.
Ich begann mit der Vorlesung am frühen Vormittag, und trotz meiner begreiflichen Erregung las ich ohne zu stottern und geriet, während ich las, immer mehr in Feuer, wie es allen Schriftstellern ergeht, die auf die Vollendung ihres Werkes genug Mühe und Sorgfalt verwendet haben. Es störte mich auch niemand und nichts, wenn ich von Lucius Domitius absehe, der ständig flüsterte und mir Zeichen machte, um mir zu bedeuten, wie ich zu lesen hätte. Zu Mittag wurde ein allzu köstliches Mahl aufgetragen, das Tullia angeordnet und mein Vater bezahlt hatte. Als ich danach weiterlas und zu den Göttern und Mysterien der Briten kam, nickten viele meiner Zuhörer ein, obwohl dies meiner Ansicht nach der interessanteste Teil des Buches war.
Bald darauf mußte ich unterbrechen, denn Claudius hielt sein Wort und erschien wirklich. Mit ihm kam Agrippina. Sie ließen sich auf der Ehrenbank nieder und nahmen Lucius Domitius in ihre Mitte. Der Vorlesungssaal war plötzlich gedrängt voll, und Claudius rief denen, die keinen Platz mehr bekamen, gereizt zu: »Wenn das Buch wert ist, gehört zu werden, wird man es noch einmal vorlesen. Seht zu, daß ihr dann dabei seid. Jetzt aber geht, sonst haben wir anderen keine Luft zum Atmen.«
Er war, um die Wahrheit zu sagen, leicht angetrunken und rülpste oft laut. Ich hatte kaum ein paar Zeilen gelesen, als er mich auch schon unterbrach und sagte: »Mein Gedächtnis ist schlecht. Erlaube mir darum, daß ich als Roms erster Bürger auf Grund meines Ranges und meines Alters dich immer gleich unterbreche und dartue, worin du recht hast und worin du irrst.«
Er begann seine eigene Auffassung von den Menschenopfern der Druiden langatmig darzulegen und sagte, er habe in Britannien vergeblich nach den großen Weidenkörben gefragt, in die man angeblich die Gefangenen sperrt, um sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen. »Ich glaube natürlich, was mir zuverlässige Zeugen berichten, aber mehr noch verlasse ich mich auf meine eigenen Augen. Daher schlucke ich diese deine Behauptung nicht ungekaut. Doch sei so gut und fahre fort, junger Lausus.«
Ich war nicht viel weitergekommen, als ihm schon wieder etwas einfiel, was er in Britannien gesehen hatte und den anderen sogleich mitteilen mußte. Das laute Gelächter der Zuhörer verwirrte mich, und ich bekam einen heißen Kopf. Claudius machte allerdings auch einige sachliche Anmerkungen zu meinem Buch.
Plötzlich begann er mit Aulus Plautius ein lebhaftes Gespräch über gewisse Einzelheiten seines Feldzugs. Die Zuhörer feuerten die beiden an und riefen: »Hört! Hört!« Ich mußte schweigen, aber eine beruhigende Geste Senecas ließ mich meinen Ärger rasch vergessen. Ein Senator namens Ostorius, der alles besser wissen wollte, mischte sich ins Gespräch. Er behauptete, der Kaiser habe einen politischen Fehler begangen, indem er den Feldzug abbrach, ehe ausnahmslos alle britischen Stämme unterworfen waren.
»Die Briten unterwerfen, das ist leichter gesagt als getan!« schnaubte Claudius, mit Recht gekränkt. »Zeig ihm deine Narben, Aulus. Aber du erinnerst mich daran, daß in Britannien zur Zeit alles stillsteht, weil ich noch keinen Nachfolger für Aulus Plautius ernennen konnte. Zum Glück haben wir dich, Ostorius. Ich glaube, ich bin nicht der einzige hier im Saal, der deine ewige Besserwisserei satt hat. Geh nach Hause und bereite deine Reise vor. Narcissus schreibt dir noch heute die Vollmacht aus.«
Ich glaube, mein Buch hatte den Zuhörern schon vor Augen geführt, daß es kein Leichtes war, Britannien zu zivilisieren, denn alle lachten nun. Nachdem Ostorius den Saal gedemütigt verlassen hatte, konnte ich in Ruhe meinen Vortrag beenden. Claudius gestattete mir wohlwollend, bei Lampenlicht weiterzulesen, da er selbst mich ständig unterbrochen und viel Zeit vergeudet hatte. Als er zuletzt klatschte, brach ein ganzer Beifallssturm im Saale los. Niemand hatte mehr irgendwelche Berichtigungen vorzubringen, denn zu dieser späten Stunde waren alle hungrig geworden.
Ein Teil der Zuhörer begleitete mich nach Hause, wo Tullia ein Festmahl hatte vorbereiten lassen, denn ihr Koch war berühmt. Über mein Buch wurde nicht mehr viel gesprochen. Seneca stellte mich seinem eigenen Verleger vor. Der fein gebildete, alte Mann, bleich, gebückt und kurzsichtig vom vielen Lesen, erklärte sich gern bereit, mein Buch anzunehmen und fürs erste in einer Auflage von fünfhundert Stück herauszubringen. »Zwar hast du gewiß die Mittel, dein Buch selbst zu veröffentlichen«, meinte er freundlich, »aber der Name eines bekannten Verlegers ist dem Absatz eines Buches doch sehr dienlich. Mein Freigelassener verfügt über einhundert kundige Schreibsklaven, die nach einem einzigen Diktat jedes beliebige Buch rasch und leidlich fehlerfrei nachschreiben.
Seneca lobte diesen Mann mit vielen Worten, der ihn auch in den Tagen der Verbannung nicht im Stich gelassen, sondern die Buchhändler treu mit den vielen Schriften beliefert hatte, die aus Korsika nach Rom gesandt worden waren. Der Verleger sagte sanft: »Am meisten verdiene ich selbstverständlich mit den Übersetzungen und Bearbeitungen griechischer Liebesgeschichten und Reiseschilderungen, aber ich habe noch bei keinem Werk Senecas zusetzen müssen.«
Ich verstand den Wink und erklärte, ich sei bereit, mich an den Kosten der Herausgabe meines Buches zu beteiligen, war es doch eine große Ehre für mich, daß er mit seinem geachteten Namen für die Güte meines Werkes bürgen wollte. Dann mußte ich ihn verlassen, um mich anderen Gästen zu widmen. Es waren so viele, daß ich bald nicht mehr wußte, wo mir der Kopf stand. Zuviel Wein trank ich außerdem, und zuletzt ergriff mich tiefe Mutlosigkeit, da ich erkannte, daß keinem der Anwesenden wirklich an mir und meiner Zukunft gelegen war. Mein Buch war ihnen nur ein Vorwand. Sie waren gekommen, um seltene Gerichte zu essen, die besten Weine Kampaniens zu trinken, einander zu beobachten und zu bemäkeln und sich im stillen über die Erfolge meines Vaters zu verwundern, für die ihm in ihren Augen alle persönlichen Voraussetzungen fehlten.
Ich sehnte mich immer mehr nach Claudia, die mir der einzige Mensch auf der ganzen Welt zu sein schien, der mich wirklich verstand und auf mein Wohl bedacht war. Sie hatte natürlich nicht gewagt, zur Vorlesung zu kommen, aber ich wußte, wie sehr sie darauf brannte, zu erfahren, wie alles abgelaufen war, und ich ahnte, daß sie in dieser Nacht keinen Schlaf fand. Ich stellte mir vor, wie sie vor ihre Hütte trat, zu den Sternen des Winterhimmels emporblickte und dann nach Rom herüberstarrte, während nicht weit von ihr in der Stille der Nacht die Gemüsekarren rumpelten und das Schlachtvieh brüllte. Ich hatte mich in den Nächten bei Claudia so sehr an diese Laute gewöhnt, daß ich sie liebte, und nun führte mir der bloße Gedanke an polternde Karrenräder Claudia so lebendig vor Augen, daß mein Blut unruhig wurde.
Es gibt wohl kaum einen bedrückenderen Anblick als das Ende eines großen Festes. Die niedergebrannten Fackeln beginnen zu schwelen. Die Sklaven führen die letzten Gäste zu ihren Sänften, die Lampen verlöschen, vergossener Wein wird von den glänzenden Mosaikböden aufgewischt, andere Diener waschen das Erbrochene von den Marmorwänden der Abtritte. Tullia war selbstverständlich von der gelungenen Feier entzückt und unterhielt sich angeregt mit meinem Vater über den einen oder andern Gast und berichtete, was dieser und jener gesagt oder getan hatte. Ich selbst fühlte mich alldem sehr fern.
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