Ich drängte mich an ihnen vorbei, ergriff Aquila am Arm und flüsterte ihm zu, daß ich diesen Ort so rasch wie möglich verlassen müßte. Als er mich wiedererkannte, verklärte sich sein Gesicht vor Freude. Er segnete mich und rief: »Minutus, Sohn des Marcus Manilianus, hast auch du den einzigen Weg gewählt!«
Er umarmte mich, küßte mich auf den Mund, geriet in Verzückung und begann zu predigen: »Christus hat auch für dich gelitten. Warum nimmst du ihn nicht zum Vorbild und wandelst auf seinen Spuren? Er schmähte nicht, die ihn schmähten, und er drohte niemandem, da er litt. Vergilt auch du nicht Böses mit Bösem. Wenn du um Christi willen leiden darfst, so preise Gott dafür!«
Ich erinnere mich nicht mehr, was er noch alles daherfaselte, denn er kümmerte sich nicht um meine Einwände, sondern redete und redete, aber seine Verzückung riß die anderen mit. Nach und nach begannen sie alle um Vergebung ihrer Sünden zu beten, wenngleich einige noch zwischen den Zähnen murmelten, daß das Reich gewiß nicht kommen werde, solange die Juden die Untertanen Christi ungestraft beleidigen, unterdrücken und mißhandeln durften.
Währenddessen wurden draußen zahllose Verhaftungen vorgenommen, ohne daß man darauf sah, ob es sich um rechtgläubige Juden, Christen oder anderes Pack handelte. Da die Prätorianer alle Brücken bewachten, flohen viele in Booten. Andere machten die Lastkähne am Kai los, so daß sie mit der Strömung davontrieben. Da alle Ordnungstruppen ins Judenviertel geschickt worden waren, war die Stadt selbst ohne Schutz. Der Pöbel rottete sich in den Gassen zusammen und schrie als Losungswort den Namen Christus, den er jenseits des Tibers aufgeschnappt hatte. Er plünderte Läden und legte Feuer an einige Häuser, so daß der Stadtpräfekt, kaum daß im Judenviertel die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt war, seine Leute eilends in die eigentliche Stadt zurückziehen mußte. Das war meine Rettung, denn er hatte schon Befehl gegeben, das Judenviertel Haus für Haus zu durchsuchen, um den Aufwiegler Christus zu fassen.
Es wurde Abend. Ich saß, den Kopf in die Hände gestützt, verzweifelt auf dem Boden des Kellers und wurde immer hungriger. Die Christen sammelten, was ihnen an Speisen geblieben war, und begannen es unter sich zu verteilen, so daß keiner leer ausging. Sie hatten Brot und Öl, Zwiebeln, gedünstete Erbsen und sogar Wein. Aquila segnete nach der Art der Christen das Brot und den Wein als den Leib und das Blut des Jesus von Nazareth. Ich nahm, was man mir anbot, und teilte eines der Brote der Armen mit Claudia. Auch ein kleines Stück Käse und einen Bissen Dörrfleisch bekam ich. Den Wein trank ich aus demselben Becher wie alle anderen, als die Reihe an mich kam. Als sich alle satt gegessen hatten, küßten sie einander zärtlich. Claudia küßte mich und rief: »O Minutus, wie bin ich froh, daß auch du sein Fleisch gegessen und sein Blut getrunken hast, um der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Fühlst du nicht den Geist in deinem Innern brennen, als hättest du die zerlumpten Hüllen deines früheren Lebens von dir geworfen und dich in ein neues Gewand gekleidet!«
Ich entgegnete bitter, das einzige, was in mir brenne, sei der billige saure Wein. Dann erst verstand ich ganz, was sie meinte, und erkannte, daß ich am geheimen Mahl der Christen teilgenommen hatte. Ich erschrak so heftig, daß ich mich am liebsten erbrochen hätte, obwohl ich genau wußte, daß ich nicht wirklich Blut aus dem Becher getrunken hatte.
»Dummes Geschwätz!« sagte ich erbost. »Brot ist Brot, und Wein ist Wein. Wenn ihr nichts anderes und nichts Schlimmeres treibt als dies, dann verstehe ich nicht, warum über eueren Aberglauben soviel unsinnige Geschichten verbreitet werden, und noch unbegreiflicher ist mir, daß man sich dergleichen harmloser Dinge wegen die Schädel einschlägt.«
Ich war zu müde, um lang mit ihr zu streiten, und sie war auch noch viel zu erregt, aber zuletzt brachte sie mich doch dazu, daß ich mich bereit erklärte, mich mit der Lehre der Christen näher bekannt zu machen, vorausgesetzt, daß an ihr überhaupt etwas Vernünftiges war. Ich konnte an sich nichts Böses darin sehen, daß sie sich gegen die Juden zur Wehr setzten, aber ich war der Überzeugung, daß sie bestraft werden mußten, wenn die Unruhen nicht aufhörten, gleich, ob die Schuld bei ihnen oder den rechtgläubigen Juden lag.
Aquila erklärte mir, daß es schon früher zu Streitigkeiten und Schlägereien gekommen war, wenn auch nicht in dem Ausmaße wie jetzt. Er versicherte, daß die Christen ohnehin versuchten, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen und böse Worte mit guten zu vergelten, daß aber andrerseits die Judenchristen das Recht hätten, in die Synagogen zu gehen, um der Lesung der Schriften zu lauschen. Viele von ihnen hätten sogar selbst zum Bau der neuen Synagogen, beigesteuert.
Ich begleitete Claudia in der warmen Sommernacht aus der Stadt hinaus und am Vatikanischen Hügel vorbei zu ihrer Hütte. Auf der anderen Seite des Flusses sahen wir Brände lodern und hörten das Geschrei der Menge. Unzählige Wagen und Karren, die Gemüse und Früchte zum Markt brachten, warteten dicht gedrängt auf der Straße. Die Landleute fragten einander besorgt, was in der Stadt geschehen sei, und plötzlich ging das Gerücht von Mann zu Mann, ein gewisser Christus habe die Juden zum Morden und Brennen angestiftet. Kein einziger hatte über die Juden ein gutes Wort zu sagen.
Als wir weitergingen, begann ich zu hinken, mein Kopf schmerzte, und ich wunderte mich darüber, daß ich die Hiebe, die ich bei der Schlägerei abbekommen hatte, erst jetzt spürte. Als wir endlich Claudias Hütte erreichten, war mir so elend zumute, daß sie mich nicht gehen ließ, sondern mich bat, über Nacht bei ihr zu bleiben. Trotz meinen Einwänden bettete sie mich beim Schein einer Öllampe auf ihr eigenes Lager, wirtschaftete dann aber geräuschvoll in ihrer Hütte herum und seufzte so tief, daß ich sie schließlich fragte, was ihr fehle.
»Ich bin weder rein noch ohne Sünde«, gestand sie mir. »Wie Feuer brennt in meinem Herzen jedes Wort, das du mir über dieses schamlose Britenmädchen berichtet hast, an dessen Namen ich mich nicht einmal erinnern mag.«
Ich bat sie aufrichtig: »Versuche mir zu verzeihen, daß ich mein Versprechen nicht zu halten vermochte.«
»Was kümmert mich noch dein Versprechen«, klagte Claudia. »Ich verfluche mich selbst. Ich bin Fleisch von meiner Mutter Fleisch, und der liederliche Claudius ist mein Vater. Ich kann nicht dafür, daß eine gefährliche Unruhe in mir glüht, wenn ich dich so in meinem Bett liegen sehe.«
Sie hatte jedoch eiskalte Hände, als sie die meinen ergriff, und kalt waren auch ihre Lippen, als sie sich zu mir niederbeugte, um mich zu küssen.
»Ach Minutus«, flüsterte sie. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, dir zu gestehen, daß mein Vetter Gajus mich geschändet hat, als ich noch ein Kind war. Er tat es zum Spaß, nachdem er der Reihe nach bei allen seinen Schwestern gelegen war, und ich habe seither die Männer gehaßt. Nur dich konnte ich nicht hassen, denn du wolltest mich zur Freundin haben, ohne zu wissen, wer ich bin.«
Was soll ich noch viel erklären? Um sie zu trösten, zog ich sie zu mir ins Bett. Sie zitterte vor Kälte und vor Scham. Ich will mich nicht damit herausreden, daß sie fünf Jahre älter als ich war, sondern gebe gern zu, daß mir immer heißer wurde, bis sie mich lachend und weinend umarmte, und ich wußte, daß ich sie liebte.
Als wir am Morgen erwachten, waren wir so glücklich, daß wir nur noch an uns beide denken mochten, und Claudia, die vor Freude und Glück strahlte, war in meinen Augen trotz ihren groben Gesichtszügen und dichten Brauen schön. Lugunda verblaßte zu einem Schatten. Claudia war eine reife Frau, Lugunda dagegen ein kindlich, launisches Mädchen.
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