Wir tauschten kein Versprechen aus und wollten nicht an die Zukunft denken. Wenn mich wirklich ein dunkles Schuldbewußtsein drückte, so sagte ich mir, daß Claudia wissen mußte, was sie tat. Zumindest hatte sie nun an etwas anderes zu denken als an die abergläubischen Mysterien der Christen, und das war gut so.
Als ich nach Hause kam, sagte Tante Laelia giftig, sie habe sich meinetwegen große Sorgen gemacht, da ich die ganze Nacht bis in den Vormittag hinein ausgeblieben sei, ohne ihr vorher ein Wort zu sagen. Sie musterte mich mit ihren rotgeränderten Augen und sagte vorwurfsvoll: »Dein Gesicht leuchtet, als hättest du ein schändliches Geheimnis. Du hast dich doch nicht am Ende in ein syrisches Bordell verirrt?« Sie schnupperte mißtrauisch an meinen Kleidern. »Nein, nach Bordell riechst du nicht, aber irgendwo mußt du ja die Nacht verbracht haben. Laß dich nur nicht auf irgendeine unwürdige Liebschaft ein. Das würde dir und anderen nur Verdruß bringen.«
Am Nachmittag besuchte mich mein Freund Lucius Pollio, dessen Vater in diesem Jahr Konsul war, und erzählte mir aufgeregt: »Die Juden werden im Schutze ihrer Privilegien immer frecher. Der Präfekt hat den ganzen Vormittag die Festgenommenen verhören lassen und eindeutige Beweise dafür erhalten, daß ein Jude namens Christus die Sklaven und den Pöbel aufwiegelt. Er ist jedoch nicht, wie seinerzeit Spartacus, ein ehemaliger Gladiator, sondern ein Staatsverbrecher, der in Jerusalem zum Tode verurteilt wurde, dann aber auf irgendeine merkwürdige Weise die Kreuzigung lebend überstand. Der Präfekt läßt ihn suchen und hat einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, aber ich fürchte, der Kerl hat sich aus der Stadt geschlichen, nachdem der Aufruhr mißglückt war.«
Ich hatte gute Lust, dem Bücherwurm Lucius Pollio zu erklären, daß die Juden mit Christus den Messias meinten, an den sie glaubten, aber ich durfte mir nicht anmerken lassen, daß ich von dieser neuen, aufrührerischen Lehre allzuviel wußte. Wir gingen zusammen noch einmal mein Buch durch, da ich eine möglichst reine Sprache anstrebte. Lucius Pollio versprach, mir einen Verleger zu finden, wenn das Buch die Feuerprobe der öffentlichen Vorlesung bestand. Seiner Meinung nach konnte es einen recht guten Absatz finden. Claudius gedachte gern seiner eigenen erfolgreichen Kriegszüge in Britannien. Man konnte sich bei ihm einschmeicheln, indem man Interesse für Britannien bekundete, und dazu war mein Buch, Lucius Pollio zufolge, gut geeignet. Die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Eigentumsrechts an den Synagogen, die der erste Anlaß zu den Judenunruhen gewesen waren, versuchte der Stadtpräfekt durch die Bestimmung zu schlichten, daß alle jene die Synagogen benützen durften, die zu ihrer Errichtung beigetragen hatten. Sowohl die strenggläubigen, engstirnigen Juden wie auch die freisinnigeren hatten ja ihre eigenen Synagogen. Sobald aber die Juden, die Christus anerkannten, eine Synagoge für sich in Anspruch nahmen, holten die strenggläubigen Juden die kostbaren Schriftrollen aus ihrem heiligen Schrein und steckten die Synagoge in Brand, um sie nur ja nicht den verhaßten Christen überlassen zu müssen. Daraus entstanden neue Unruhen, und zuletzt begingen die rechtgläubigen Juden in ihrer Unverschämtheit einen schweren politischen Fehler, indem sie sich an den Kaiser selbst wandten.
Claudius war bereits über die Schlägereien aufgebracht, die sein neues Eheglück störten. Er geriet außer sich, als der jüdische Rat ihn daran zu erinnern wagte, daß er ohne die Unterstützung der Juden niemals Kaiser geworden wäre. Es verhielt sich nämlich tatsächlich so, daß Claudius’ Zechkumpan Herodes Agrippa von den reichen Juden Roms das Geld geborgt hatte, das Claudius brauchte, um nach der Ermordung Gajus Caligulas die Prätorianer zu bestechen. Claudius mußte für dieses Geld Wucherzinsen zahlen und mochte an diese Sache, die seine Eitelkeit kränkte, nicht erinnert werden.
Sein Säuferschädel begann vor Wut zu zittern, und noch ärger stotternd als sonst, befahl er den Juden, ihm aus den Augen zu verschwinden, ja er drohte ihnen, er werde sie allesamt aus Rom verbannen, wenn er noch einmal von Streit und Schlägerei zu hören bekäme.
Die Judenchristen und das Gesindel, das sich ihnen anschloß, hatten sogar ihre Führer. Zu meinem Entsetzen stieß ich bei meinem Vater in Tullias Haus auf den eifrig disputierenden, schiefnasigen Aquila, seine Frau Prisca und einige andere offenbar durchaus achtbare Bürger, deren einziger Fehler darin bestand, daß sie sich zu der Mysterienlehre der Christen hingezogen fühlten. Ich war gekommen, um mit meinem Vater unter vier Augen über Claudia zu sprechen. Ich besuchte sie nun zweimal in der Woche und blieb über Nacht bei ihr, und ich fühlte mich verpflichtet, irgend etwas in unserer Sache zu unternehmen, obgleich sie selbst keine Forderungen an mich gestellt hatte.
Als ich überraschend bei meinem Vater eintrat und die Versammlung störte, sagte dieser: »Bleib, Minutus«, und fuhr zu den anderen gewandt fort: »Ich kenne den König der Juden und weiß einiges über ihn, denn ich wanderte nach seiner Kreuzigung in Galiläa umher und konnte mich sogar selbst vergewissern, daß er aus seinem Grabe auferstanden war. Seine Jünger wiesen mich zwar ab, aber ich kann bezeugen, daß er niemals das Volk aufgewiegelt hat, wie es nun hier in Rom geschieht.«
All das hatte ich schon früher gehört, und ich wunderte mich darüber, daß mein Vater, der sonst so vernünftig war, nun in der Weisheit des Alters noch immer die gleiche alte Geschichte wiederkäute. Der schiefnasige Aquila verteidigte sich: »Wir mögen tun, was wir wollen: immer nimmt man Anstoß. Man haßt uns mehr als die Götzenanbeter. Nicht einmal unter uns selbst vermögen wir Liebe und Demut zu bewahren, sondern ein jeder will es besser wissen als die anderen, und am eifrigsten wollen jene die anderen belehren, die eben erst auf den Weg gefunden und Christus anerkannt haben.«
Und Prisca fügte hinzu: »Es wird jedenfalls behauptet, daß er selbst einen Feuerbrand über die ganze Erde schleuderte, den Mann von seinem Weibe trennte und die Kinder sich gegen ihre Eltern erheben hieß, und gerade das geschieht eben jetzt in Rom, obwohl wir nur das Beste wollen. Wie freilich Liebe und Demut zu Streit, Uneinigkeit, Haß, Groll und Neid führen können, das begreife ich nicht.«
Als ich dies alles gehört hatte, ergriff mich ein gerechter Zorn, und ich rief: »Was wollt ihr von meinem Vater? Was setzt ihr ihm so zu, daß er mit euch streiten muß? Mein Vater ist ein guter, sanftmütiger Mann. Ich dulde nicht, daß ihr ihn in eure unsinnigen Zwistigkeiten mit hineinzieht!«
Mein Vater richtete sich auf und bat mich zu schweigen. Dann blickte er lange in die Vergangenheit und sagte zuletzt: »Im allgemeinen schafft ein Gespräch Klarheit, aber dieses unbegreifliche Ding wird um so verworrener, je länger man darüber spricht. Da ihr mich aber um Rat gefragt habt, sage ich euch: bittet um Aufschub. Zu Kaiser Gajus’ Zeiten hatten die Juden in Antiochia großen Nutzen von diesem Rat.«
Sie starrten meinen Vater an und verstanden ihn nicht. Er lächelte gedankenverloren. »Trennt euch von den Juden, verlaßt die Synagogen, zahlt die Tempelsteuer nicht mehr. Baut euch eigene Versammlungshäuser, wenn ihr wollt. Es gibt Reiche unter euch, und vielleicht könnt ihr auch große Zuwendungen von solchen Männern und Frauen erhalten, die glauben, sich ein ruhiges Gewissen dadurch zu erkaufen, daß sie diese und jene Götter unterstützen. Fordert die Juden nicht heraus. Schweigt, wenn man euch verhöhnt. Bleibt auf eurer Seite, so wie ich auf meiner Seite bleibe, und versucht niemanden zu kränken.«
Da riefen sie wie aus einem Munde: »Das sind harte Worte. Wir müssen für unseren König Zeugnis ablegen und das Kommen seines Reiches verkünden, wenn wir seiner würdig sein wollen.«
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