Ich hatte nicht gewußt, daß Aulus Plautius ihr Onkel war, und fragte nach weiteren Einzelheiten. Claudia erklärte mir, daß ihre Mutter eine Plautia gewesen war. Als Aulus Plautius’ Frau Paulina die elternlose Nichte ihres Mannes in ihre Obhut nahm, behandelte der gutmütige Aulus Claudia wie seine eigene Tochter, zumal die beiden selbst keine Kinder hatten.
»Onkel Aulus mochte meine Mutter Urgulanilla nicht«, erzählte Claudia. »Aber sie war immerhin auch eine Plautia, und es kränkte meinen Onkel tief, daß Claudius sich unter einem fadenscheinigen Vorwand von ihr scheiden und mich nackt auf ihre Schwelle legen ließ. Onkel Aulus war auch bereit, mich zu adoptieren, aber dazu bin ich zu stolz. Vor dem Gesetz bin und bleibe ich die Tochter des Kaisers Claudius, sosehr mich auch der Lebenswandel dieses Mannes anwidert.«
Ihre Herkunft langweilte mich in diesem Augenblick, aber der Gedanke an Britannien erregte mich, und ich sagte: »Dein gesetzlicher Vater Claudius hat Britannien nicht unterworfen, wenn er auch einen Triumph feierte. Im Gegenteil, man führt dort unaufhörlich Krieg. Es heißt, dein Onkel Aulus kann über fünftausend erschlagene Feinde nachweisen und hat sich daher ebenfalls das Recht auf einen Triumph erworben. Das sind widerspenstige, heimtückische Stämme. Kaum ist in einem Teil des Landes der Friede hergestellt, bricht in einem anderen Teil erneut der Krieg aus. Gehen wir sogleich zu deiner Tante Paulina.«
»Du hast es sehr eilig, Kriegsruhm zu gewinnen«, sagte Claudia gereizt. »Tante Paulina hat mir streng verboten, allein in die Stadt zu gehen und die Statuen meines Vaters anzuspucken, aber heute habe ich ja dich als Begleiter. Ich führe dich gern zu ihr, denn ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Wir gingen zusammen in die Stadt, und ich eilte heim, um mich standesmäßig zu kleiden. Claudia wollte aus Angst vor Tante Laelia nicht mit ins Haus kommen, sondern wartete vor dem Tor und plauderte mit Barbus. Als wir uns auf den Weg zum Haus der Plautier auf dem Caelus machten, blitzten Claudias Augen vor Zorn.
»Du hast dich also mit Agrippina und ihrem verdammten Bengel eingelassen!« rief sie. »Dieses schamlose Weib ist gefährlich. Dem Alter nach könnte sie übrigens deine Mutter sein.«
Ich wandte verwundert ein, daß Agrippina zwar schön, aber dabei doch sehr zurückhaltend sei und daß ich ihren Sohn noch als ein Kind betrachtete, doch Claudia unterbrach mich wütend: »Ich weiß mehr als genug über alle diese bis ins Mark verdorbenen Claudier. Agrippina holt sich jeden ins Bett, von dem sie glaubt, daß er ihr nützen könnte. Der Schatzmeister des Kaisers, Pallas, ist seit langem ihr Liebhaber. Sie sucht vergeblich einen neuen Gatten. Die Männer, die vornehm genug sind, sind viel zu vorsichtig, um sich in ihre Intrigen mit einspinnen zu lassen, aber du in deiner Unerfahrenheit läßt dich natürlich von jeder liederlichen römischen Witwe verführen.«
Streitend gingen wir durch die ganze Stadt, aber im Grunde war Claudia sehr zufrieden, weil ich ihr versicherte, daß mich noch keine verführt hatte und daß ich des Versprechens eingedenk war, das ich ihr an dem Tag, an dem ich die Toga erhielt, auf dem Heimweg vom Tempel der Mondgöttin gegeben hatte.
Im Atrium der Plautier gab es eine lange Reihe von Ahnenbildern, Totenmasken und Kriegstrophäen. Paulina Plautia war eine alte Frau mit großen Augen, die durch mich hindurch auf irgendeinen Punkt weit hinter mir zu blicken schienen. Man sah ihr an, daß sie geweint hatte. Als sie meinen Namen und mein Anliegen erfuhr, verwunderte sie sich, fuhr mir mit ihrer mageren Hand über die Wange und sagte: »Dies ist ein wunderbares, unfaßbares Zeichen von dem einzigen Gott. Du weißt vermutlich nicht, Minutus Manilianus, daß dein Vater und ich Freunde wurden und einen heiligen Kuß tauschten, als wir beim Liebesmahl zusammen Brot gebrochen und Wein getrunken hatten. Es ist jedoch nichts Böses geschehen. Tullia hat deinem Vater nachspionieren lassen. Als sie genug Beweise gegen mich gesammelt hatte, zeigte sie mich an und behauptete, ich hätte an schändlichen östlichen Mysterien teilgenommen.«
»Bei allen Göttern Roms!« rief ich erschrocken aus. »Hat sich mein Vater wirklich auch hier wieder in die Verschwörung der Christen eingemischt? Ich glaubte, er hätte seine Grillen in Antiochia gelassen!«
Die alte Frau sah mich mit seltsam glänzenden Augen an. »Das sind keine Grillen, Minutus. Es ist der einzige Weg zur Wahrheit und zum ewigen Leben. Ich schäme mich nicht, zu glauben, daß der Jude und Nazarener Jesus Gottes Sohn war und ist. Er zeigte sich deinem Vater in Galiläa, und dein Vater weiß mehr über ihn zu berichten als so mancher andere hier. Seine Ehe mit der herrschsüchtigen Tullia betrachtet er als Gottes Strafe für seine Sünden. Daher hat er seinen früheren Hochmut fahrenlassen und ebenso wie ich die heilige Taufe der Christen angenommen. Und keiner von uns schämt sich dessen, obwohl sich unter den Christen nicht viele Reiche oder Vornehme finden.«
Diese schreckliche Neuigkeit ließ mich verstummen. Als Claudia meinen finsteren, vorwurfsvollen Blick bemerkte, verteidigte sie sich: »Ich bin zwar nicht zu ihrem Glauben übergetreten und habe mich nicht taufen lassen, aber drüben auf der anderen Tiberseite, im Judenviertel, habe ich ihre Lehren gehört. Ihre Mysterien und heiligen Mähler befreien sie von allen Sünden.«
»Raufbolde sind sie!« rief ich zornig. »Ewige Stänkerer, Unruhestifter und Aufwiegler! Das habe ich schon in Antiochia gesehen. Die richtigen Juden verabscheuen sie mehr als die Pest.«
»Man braucht nicht Jude zu sein, um zu glauben, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist«, erklärte Paulina. Ich verspürte jedoch keine Lust, Glaubensfragen zu diskutieren. Mir stieg das Blut zu Kopf bei dem Gedanken, daß mein Vater nun gar noch zu einem Anhänger der verachteten Christen herabgesunken war.
»Mein Vater war natürlich wieder betrunken und zerfloß vor Selbstmitleid«, sagte ich schroff. »Außerdem bedient er sich jedes noch so unsinnigen Vorwands, um Tullias Schreckensherrschaft zu entrinnen. Er hätte doch auch mit seinem Sohn über seinen Kummer sprechen können.«
Die großäugige Frau schüttelte den Kopf darüber, daß ich so unehrerbietig von meinem Vater sprach, und sagte: »Gerade bevor ihr kamt, erfuhr ich, daß der Kaiser, um das Ansehen meines Gatten zu retten, keinen öffentlichen Prozeß wünscht. Aulus Plautius und ich sind nach der längeren Formel getraut worden. Daher hat der Kaiser bestimmt, daß ich von meinem Gatten vor dem Familiengericht abgeurteilt werden soll, sobald er aus Britannien heimkehrt. Als ihr kamt, dachte ich eben darüber nach, wie ich ihm eine Botschaft zukommen lassen könnte, bevor er von anderer Seite übertriebene Anschuldigungen zu hören bekommt und sich gegen mich erzürnt. Mein Gewissen ist rein, denn ich habe nichts Schändliches oder Böses getan. Möchtest du nicht nach Britannien reisen und einen Brief an meinen Gatten mitnehmen, Minutus?«
Ich war nicht gerade darauf erpicht, mit unliebsamen Nachrichten von daheim bei dem berühmten Feldherrn einzutreffen, denn ich begriff nur zu gut, daß ich mir auf diese Weise seine Gunst verscherzen konnte, aber die sanften Augen der alten Frau bezauberten mich, und ich dachte, daß ich gewissermaßen in ihrer Schuld stand, da sie doch meines Vaters wegen in Schwierigkeiten geraten war. Aulus Plautius konnte sie auf Grund dieser altmodischen längeren Formel ohne weiteres töten lassen. Ich sagte daher widerwillig: »Es ist mir wohl so bestimmt. Ich bin bereit, morgen zu reisen, wenn du in deinem Brief ausdrücklich vermerkst, daß ich mit deinem Aberglauben nichts zu schaffen habe.«
Das versprach sie mir und machte sich sogleich daran, den Brief zu schreiben. Dann fiel mir jedoch ein, daß die Reise viel zu lange dauern würde, wenn ich mein eigenes Pferd, Arminia, nahm, das immer wieder rasten mußte. Paulina versprach, mir das Brustschild eines kaiserlichen Boten zu verschaffen, das mich dazu berechtigte, die Postpferde und Wagen des Kaisers zu benützen wie ein reisender Senator. Paulina war ja die Gemahlin des Oberbefehlshabers in Britannien. Als Entgelt verlangte sie jedoch noch einen Dienst von mir: »Auf dem Hang des Aventins wohnt der Zeltmacher Aquila. Geh zu ihm, sobald es dunkel geworden ist, und sage ihm oder seiner Frau Prisca, daß man mich angezeigt hat. Sie wissen dann, daß sie auf der Hut sein müssen. Sollte dich aber irgendein Fremder ausfragen, so sagst du, ich hätte dich geschickt, um eine Bestellung auf Zeltleinen, die Aulus Plautius aufgegeben hat, wieder rückgängig zu machen. Meine eigenen Diener wage ich nicht zu schicken, da mein Haus seit der Anzeige unter Bewachung steht.«
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