Proculus dagegen wollte in seiner Überheblichkeit nur sein eigenes Urteil gelten lassen und schickte eines Tages die Flotte in See, obwohl man ihm davon abriet. An die zwanzig Kriegsschiffe zerschellten an den Klippen vor Misenum und gingen mit Mann und Maus unter. Die Mannschaften kann man ja jederzeit ersetzen, aber ein Kriegsschiff ist ein allzu kostbares Spielzeug!
Nero raste vor Zorn, obwohl Proculus darauf hinweisen konnte, daß er auf kaiserlichen Befehl auch bereit wäre, selbst ins Meer zu springen. Proculus gestand, einen solchen Befehl müsse er sich noch überlegen, da er nicht schwimmen könne. Darauf bemerkte Nero bitter, er tue gut daran, auch über andere Befehle nachzudenken, denn auf See gälten die Befehle der Elemente sogar mehr als die Neros. Einen neuen Flottenbefehlshaber könne er jederzeit einsetzen, aber zwanzig neue Kriegsschiffe bauen, das käme zu teuer. Er wolle die Sache aufschieben, bis das Goldene Haus fertig sei.
Proculus fühlte sich begreiflicherweise in seiner Ehre gekränkt und erlag daher um so leichter den Verlockungen der Epicharis. Epicharis war zudem eine schöne Frau und in der Kunst der Liebe sehr erfahren. Eine andere Kunst hatte sie, soviel man weiß, nicht ausgeübt, ehe sie sich der Verschwörung anschloß. Viele wunderten sich über ihren unerwarteten politischen Eifer, als sie die Verschwörer mit scharfen Worten ermahnte, rasch zu handeln.
Ich für meinen Teil glaube zu wissen, daß Epicharis Nero haßte, weil er einmal, nachdem er viel von ihr gehört hatte, selbst ihre Kunst erprobte und hernach in seiner Unbedachtheit einige abfällige Bemerkungen machte. Das konnte sie ihm nicht verzeihen, und von dieser Stunde an sann sie auf Rache.
Epicharis wurde schließlich des Zauderns der Verschwörer in Rom müde. Sie forderte Proculus auf, ans Werk zu gehen, seine Schiffe in Kampfbereitschaft zu versetzen und nach Ostia zu segeln. Doch Proculus besann sich anders. Als vorsichtige Frau hatte ihm Epicharis nicht verraten, wer an der Verschwörung teilnahm, und er wußte daher nicht, welches Ausmaß sie bereits angenommen hatte. Er wählte daher lieber den sicheren Weg, zumal er sich sagte, daß der den größten Lohn erhalten würde, der dem Kaiser als erster von der Verschwörung berichtete.
Er eilte zu Nero nach Rom und plauderte alles aus, was er wußte. In seiner Eitelkeit und weil er die Gunst des Volkes zu besitzen glaubte, schenkte Nero seinen Worten anfangs keinen rechten Glauben, vor allem weil seine Angaben viel zu unbestimmt waren. Er ließ jedoch Epicharis festnehmen und übergab sie Tigellinus zur peinlichen Befragung. Dies war eine Kunst, auf die sich Tigellinus am besten verstand, wenn er sie an einer schönen Frau erproben durfte, denn seit er sich mit Knaben abgab, haßte er die Frauen und genoß es, sie leiden zu sehen. Epicharis hielt jedoch tapfer stand. Sie leugnete alles und behauptete, Proculus schwatze Unsinn. Dagegen erzählte sie während der Folterung den Prätorianern so viel über des Tigellinus unnatürliche Neigungen, daß dieser keine Lust mehr verspürte, das Verhör fortzusetzen. Epicharis war da freilich schon so übel zugerichtet, daß sie nicht mehr gehen konnte.
Als sie von der Verhaftung der Epicharis erfuhren, begannen die Verschwörer sich endlich zu rühren. Die ganze Stadt wurde von Entsetzen ergriffen, denn so viele waren mit beteiligt und fürchteten für ihr Leben. Ein von Piso bestochener Zenturio versuchte Epicharis im Gefängnis zu ermorden, da die Verschwörer der Verschwiegenheit einer Frau nicht trauten. Die Gefangenenwärter hielten ihn jedoch zurück, denn Epicharis hatte sich durch ihre einzigartigen Schilderungen aus dem Leben des Tigellinus die Gunst der Prätorianer erworben.
Tags darauf sollte das Aprilfest der Ceres gefeiert werden, und in dem halbfertigen großen Zirkus sollten zu Ehren der Göttin des Erdsegens Wagenrennen stattfinden. Dies dünkte die Verschwörer die beste Gelegenheit, zur Tat zu schreiten, denn sonst zeigte sich Nero kaum noch in der Stadt, weil er im Goldenen Haus und in dessen riesigen Gärten genug Raum hatte, sich Bewegung zu verschaffen.
Man beschloß in aller Eile, daß die Verschwörer sich im Zirkus in Neros Nähe aufhalten sollten. Lateranus, ein hochgewachsener, furchtloser Mann, sollte sich bei passender Gelegenheit Nero zu Füßen werfen, als wollte er eine Gunst erbitten, und ihn zu Boden reißen. Sodann sollten die Kriegstribunen und Zenturionen und andere, die dazu den Mut aufbrachten, tun, als wollten sie Nero zu Hilfe eilen, und ihm mit ihren Dolchen den Garaus machen.
Flavius Scevinus bat darum, Nero den ersten Dolchstoß versetzen zu dürfen. Er war mit dem Stadtpräfekten, meinem ehemaligen Schwiegervater, verwandt und konnte daher ohne weiteres einen Platz in Neros unmittelbarer Nähe einnehmen. Er galt für einen durch sein liederliches Leben so verweichlichten Mann, daß nicht einmal Nero Ursache hatte, ihn zu fürchten. Zudem war er ein wenig wirr im Kopf und litt des öfteren an Trugbildern. Ich will damit nichts gegen die Flavier gesagt haben. Aber Flavius Scevinus bildete sich ein, ein Dolch, den er einmal in irgendeinem uralten Tempel gefunden hatte und stets bei sich trug, habe einst der Göttin Fortuna selbst gehört, und glaubte in seinem Wahn, dieser Dolch sei ein Zeichen dafür, daß er zu großen Taten ausersehen sei. Er zweifelte nicht einen Augenblick an seinem guten Glück, als er sich bereit erklärte, den ersten Stoß zu führen.
Piso sollte beim Cerestempel warten. Dort sollten ihn Fenius Rufus und andere Verschwörer abholen, um ihn zusammen mit Antonia ins Lager der Prätorianer zu begleiten. Von Seiten des Tigellinus erwartete man keinen Widerstand, sobald Nero einmal tot war, denn er war klug und berechnend. Die Verschwörer hatten zwar beschlossen, ihn danach, um dem Volk zu gefallen, hinzurichten, aber davon konnte Tigellinus nichts wissen.
Der Plan war geschickt entworfen und gut, von welcher Seite man ihn auch besah. Er hatte nur den einen Fehler, daß er gar nicht erst zur Ausführung kam.
Am Abend vor dem Ceresfest, nach einer letzten Unterredung mit Antonius Natalis und nachdem wir andern alle Pisos Haus schon längst verlassen hatten, begab sich Flavius Scevinus heim und begann in düsterer Stimmung sein Testament zu diktieren. Während er diktierte, zog er seinen berühmten Dolch aus der Scheide und bemerkte, daß er vor Alter grün und stumpf geworden war. Er übergab ihn seinem Freigelassenen Milichus zum Schleifen und gebot ihm mit erschreckend wirren Worten und fahrigen Gesten, Stillschweigen über die Sache zu bewahren. Dadurch wurde Milichus mißtrauisch.
Scevinus befahl weiter gegen seine Gewohnheit, ein Festmahl für alle Hausgenossen aufzutischen. Während des Mahles ließ er, bald schluchzend, bald mit gezwungener Heiterkeit, mehrere seiner Sklaven frei und teilte an die anderen Geldgeschenke aus. Dann brach er zusammen und bat Milichus unter Tränen, Wundverbände und blutstillende Arzneien herzurichten. Nun konnte Milichus nicht mehr daran zweifeln, daß sich schlimme Dinge vorbereiteten. Vielleicht hatte er auch von der Verschwörung munkeln hören.
Er beriet mit seiner Frau, was zu tun sei, und sie führte ihm mit dem gesunden Hausverstand der Frauen vor Augen, daß der zuerst mahlt, der zuerst zur Mühle kommt. Es ging um sein eigenes Leben. Mehrere andere Freigelassene und Sklaven hatten dasselbe gehört wie er. Es nutzte also nichts, zu schweigen. Im Gegenteil, Milichus mußte trachten, der erste zu sein, der Scevinus anzeigte. An sein Gewissen, an das Leben seines Hausvaters und seine Dankesschuld diesem gegenüber brauche er nun nicht zu denken, meinte seine Frau. Der reiche Lohn würde ihn dies alles nach und nach vergessen machen.
Milichus fand jedoch zunächst keine Gelegenheit, das Haus zu verlassen, denn 5cevinus konnte, obwohl er so viel getrunken hatte, nicht schlafen. Dazu kam, daß Atria Gallia, die Gattin des Scevinus, die um ihrer Schönheit, ihrer Scheidungen und ihres leichtfertigen Lebens willen berühmt war, durch das reichliche Mahl angeregt, gewisse Dienste von Milichus forderte, gegen die weder dessen Frau noch Scevinus – dieser aus nur ihm bekannten Gründen – etwas einwenden durfte. Ich glaube, dieser Umstand hatte einiges mit dem Rat zu tun, den die Frau des Milichus ihrem Manne gab, und erwähne ihn, um sie zu entschuldigen.
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