Ihre Sänfte stand auf dem Boden. Die Vorhänge waren geschlossen, die Sklaven lagen im Gras und die beiden Wachtposten verboten mir fluchend, die Gefangene zu stören. Doch auch Neros neue Münzen erfüllten ihre Aufgabe. Die Posten zogen sich ein Stück zurück, ich schob den Vorhang zur Seite und flüsterte: »Epicharis, ich bin dein Freund. Ich habe Wichtiges mit dir zu reden.«
Epicharis antwortete nicht. Da erst bemerkte ich, daß sie tot war. Sie hatte sich die Binde, die die freundlichen Gefängniswärter ihr gegeben hatten, von ihrer blutenden Brust gerissen, eine Schlinge geknüpft und sich um den Hals gelegt und das andere Ende der Binde an einer Querstange im Innern der Sänfte festgebunden. So hatte sie sich erdrosselt, zweifellos, weil sie fürchtete, einem neuen Verhör nicht mehr gewachsen zu sein. Als ich mich vergewissert hatte daß sie auch wirklich tot war, stieß ich einen überraschten Ruf aus, winkte die Wachtposten herbei und zeigte ihnen, was geschehen war. Innerlich pries ich den Edelmut, den diese ansonsten alles andere denn anständige Frau in ihrer letzten Stunde bewiesen hatte. Dieser Selbstmord rettete sie davor, ihre Mitverschwörer verraten zu müssen, und gab mir freie Hand.
Die Wachen fürchteten natürlich, sie könnten für ihre Unachtsamkeit bestraft werden. Doch dazu war jetzt keine Zeit. Nero hatte zu handeln begonnen und mochte nicht mit Nebensächlichkeiten behelligt werden. Der Selbstmord der Epicharis überzeugte ihn vollends davon, daß eine Verschwörung bestand und daß die Flotte daran beteiligt war. Ich muß gestehen, daß mir beim Anblick des zerfleischten Körpers der Epicharis so übel wurde, daß ich mich neben der Sänfte ins Gras erbrach, obwohl ich an diesem Morgen noch nichts zu mir genommen hatte.
Daran waren zum Teil wohl auch mein Erschrecken und meine plötzliche Erleichterung schuld. Durch ihren tapferen Tod verschaffte mir diese Frau eine Schlüsselstellung bei der Aufdeckung der Verschwörung. Ich ließ sie aus Dankbarkeit auf meine Kosten bestatten, da ihre früheren Freunde es aus begreiflichen Gründen nicht tun konnten, sondern vielmehr selbst bald jemanden brauchten, der für ihre Bestattung sorgte.
Als Nero Scevinus listig verhörte, gewann dieser im Augenblick der Gefahr die Beherrschung zurück, blickte Nero mannhaft in die Augen und beteuerte seine Unschuld.
»Der Dolch«, sagte er verächtlich, »ist seit alters her ein heiliges Erbstück in meiner Familie, und er liegt offen sichtbar in meinem Schlafzimmer, so weit ich zurückdenken kann. Dieser betrügerische Sklave, der in mein Ehebett spuckt und darum seine Strafe fürchtet, hat ihn heimlich an sich genommen. Mein Testament habe ich schon viele Male neu abgefaßt, wie es jeder vernünftige Mensch tut, wenn sich die Verhältnisse ändern. Es ist auch nicht das erste Mal geschehen, daß ich Geldgeschenke austeile oder Sklaven freilasse, wofür Milichus selbst ein Beweis ist. Ich war gestern freigebiger als sonst, weil ich viel getrunken hatte und mir wegen meiner vielen Schulden sagte, daß die Gläubiger sich nicht mit allen Bestimmungen meines Testaments einverstanden erklären würden. Deshalb wollte ich ihnen zuvorkommen. Das Geschwätz von den Wundbinden ist eine Erfindung des Milichus. Ich müßte ihn anklagen, nicht er mich. Du brauchst nur meine Gattin ein wenig ins Verhör zu nehmen, um rasch zu erfahren, warum dieser verfluchte Sklave mich fürchtet. Ich habe bisher um meines guten Rufes willen nicht darüber gesprochen, aber wenn man mich, einen unschuldigen, rechtschaffenen Mann, nun anklagt, ich hätte Mordpläne geschmiedet, so ist es an der Zeit, daß ich die Wahrheit bekenne.«
Er beging den einen Fehler, daß er seine Schulden erwähnte. Nero zog den völlig richtigen Schluß, das Scevinus, wenn er am Rande des Bankrotts stand, durch die Verschwörung alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatte. Er nahm sich daher Scevinus und Natalis einzeln vor und fragte sie, worüber sie am Abend zuvor so lange geredet hätten. Natürlich sagte ein jeder etwas anderes, da sie nicht daran gedacht hatten, sich auf ein Verhör vorzubereiten.
Tigellinus ließ ihnen den eisernen Kragen, die Stahlklauen und andere Folterwerkzeuge zeigen, und das genügte. Als erster brach Natalis zusammen, der die Verschwörung am besten kannte und durch ein freimütiges Geständnis etwas für sich zu gewinnen hoffte. Er verriet seinen geliebten Piso und einige andere und bekannte auch, daß er mit Seneca in Verbindung getreten war. Ich konnte von Glück sagen, daß ich Seneca schon vor ihm angezeigt hatte.
Als Scevinus hörte, daß Natalis gestanden hatte, ließ er seine eitlen Hoffnungen fahren. Er gab zu, daß er den Verschwörern angehört hatte und nannte außerdem Senecio, Lucanus, Petronius und andere – und leider auch mich. Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch ein leichtes, zu behaupten, ich hätte tags zuvor nur an der Versammlung teilgenommen, um mir genaue Kenntnis von der Verschwörung zu verschaffen und das Leben meines Herrschers retten zu können.
Ich hatte mich vorsichtig zurückgehalten, als es darum ging, die Gelder für die Prätorianer einzusammeln. Daher konnte ich nun in aller Ruhe angeben, wer die Männer waren, die für die dreißig Millionen aufkommen wollten. Nero war zufrieden, weil er auf diese Weise ohne Mühe einen bedeutenden Betrag in seine stets magere Kasse erhielt, obgleich er zuletzt durch die Beschlagnahme des Eigentums der Schuldigen hundertfach erntete. Seneca und Pallas allein brachten ihm, soviel ich weiß, mindestens eine Milliarde Sesterze ein.
Um seines Ansehens willen wollte Nero jedoch nicht, daß das Volk erfuhr, welch weite Kreise die Verschwörung wirklich gezogen hatte und wie bitter der Adel ihn haßte. Man hätte sich zweifellos gefragt, was für verborgene Ursachen dieser Haß wohl haben mochte, und Neros Lebenswandel vertrug keine gründlichere Erforschung.
Um die Gerüchte zu zerstreuen, hielt er es später für das klügste, eine Ehe mit Statilia Messalina einzugehen, die Julierin war und somit weit vornehmer als Poppaea. Sowohl sie selbst als auch Nero war mir dankbar, daß ich durch meine fälschliche Anzeige einen Grund geliefert hatte, den Konsul Vestinus aus dem Wege zu räumen. Nero hatte ihr schon lange seine Neigung zu erkennen gegeben, aber Statilia Messalina hatte sich gesagt, daß sie es nicht mit Antonia aufnehmen konnte. Die ganze Stadt wußte, daß Nero um Antonia warb, und alle vernünftigen Menschen nahmen an, Antonia werde früher oder später nachgeben, obwohl sie Nero zunächst aus Schicksalsgründen abweisen mußte.
Als Nero nun das ganze Ausmaß der Verschwörung erkannte, wollte er davon Abstand nehmen, das Ceresfest zu begehen, aber Tigellinus und ich überzeugten ihn, daß das sehr unklug gewesen wäre. Es war viel leichter, die Stadt und, der Flotte wegen, auch Ostia zu besetzen, während sich das Volk im Zirkus befand, und dort konnte man auch ohne großes Aufsehen die schuldigen Senatoren und Ritter festnehmen, bevor es ihnen gelang, aus der Stadt zu entfliehen und bei den Legionen Schutz zu suchen.
Piso mußte unverzüglich verhaftet werden. Von seinem Ehrgeiz geblendet, hatte er sich schon vor der vereinbarten Stunde mit seinem Gefolge vor dem Cerestempel eingefunden. Dort erfuhr er von der Anzeige des Milichus und der Ergreifung des Scevinus und des Natalis. Er eilte nach Hause, obgleich die Mutigsten aus seinem Gefolge ihn aufforderten, sich mit dem Geld ins Lager der Prätorianer zu begeben oder zumindest die Rednertribüne auf dem Forum zu besteigen und das Volk zum Beistand aufzurufen.
Wer weiß, vielleicht würde Fortunas Waage doch noch zu seinen Gunsten ausgeschlagen haben, wenn er beherzt gehandelt hätte. Fenius Rufus befand sich im Lager, Tigellinus war abwesend, und mehrere Kriegstribunen und Zenturionen gehörten der Verschwörung an. Selbst wenn ihn das Volk und die Soldaten im Stich gelassen hätten: er wäre bei dem kühnen Versuch in Ehren gestorben, er hätte sich seiner Väter würdig erwiesen, und sein Name wäre der Nachwelt als der eines Freiheitskämpfers überliefert worden.
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