Doch ich sagte schon, daß Piso der Aufgabe nicht gewachsen war, für die man ihn ausersehen hatte. Er zauderte einen Augenblick und ging dann einfach nach Hause. Daraufhin gingen auch seine Freunde ihre eigenen Wege, um zu retten, was noch zu retten war.
Lateranus war der einzige, der Widerstand leistete. Er wurde dafür, ungeachtet seines Konsulranges, zur Richtstätte der Sklaven geschleppt, und der Kriegstribun Statius schlug ihm mit solcher Eile den Kopf ab, daß er sich selbst die Hand verletzte. Lateranus war der einzige, der schwieg und nicht einmal verriet, daß auch Statius an der Verschwörung teilgenommen hatte. Daher dessen Eile.
Alle anderen redeten bereitwillig und zeigten einander an, bevor sie starben – der Dichter Lucanus sogar seine eigene Mutter, und Junius Gallio, mein ehemaliger Vorgesetzter in Korinth, seinen Bruder Seneca. Bei der nächsten Sitzung des Senats wurde Gallio offen des Brudermordes angeklagt, und man behauptete, er sei in weit höherem Maße schuldig als Seneca, doch Nero tat, als hörte er nichts. Auch die Mutter des Lucanus verfolgte er nicht, obwohl sie, um den Dichterruhm ihres Sohnes zu fördern, immer abfällig von Nero gesprochen und ihn einen schamlosen Zitherspieler genannt hatte.
Es würde zu weit führen, wollte ich alle die berühmten Persönlichkeiten aufzählen, die hingerichtet wurden oder Selbstmord begingen, obwohl Nero viele schonte. Aber er war auch nur ein Mensch, und man konnte nicht gut von ihm erwarten, daß er sich bei der Auswahl der Angeklagten nicht von persönlichen Neigungen oder Abneigungen und seinen finanziellen Bedürfnissen leiten ließ.
Die Stadt war voller Leichen. Von den mutigen Männern will ich nur den Kriegstribunen Subrius Flavus nennen. Als Nero ihn fragte, wie er seinen Eid habe vergessen können, antwortete er offen: »Du hattest keinen treueren Soldaten als mich, solange du wert warst, geliebt zu werden. Ich begann dich erst zu hassen, als du deine Mutter und deine Gattin ermordetest und als Wagenlenker, Gaukler und Mordbrenner auftratest.«
Durch so viel Offenherzigkeit begreiflicherweise erzürnt, befahl Nero einem Neger, den er zum Zenturio befördert hatte, Subrius zum nächsten Anger zu führen und zu tun, was zu tun war. Der Neger gehorchte dem Befehl und ließ in aller Eile ein Grab ausheben. Als Subrius sah, daß das Grab zu flach ausfiel, sagte er spöttisch zu den Legionären: »Diese Schwarzhaut kann nicht einmal ein Grab nach der Dienstvorschrift machen.« Der Negerzenturio war durch die vornehme Abstammung des Subrius so beeindruckt, daß seine Hände zitterten, als dieser ihm furchtlos den Hals hinstreckte, und erst beim zweiten Hieb gelang es ihm, den Kopf vom Rumpf zu trennen.
Fenius Rufus blieb lange verschont, aber zuletzt ärgerte es die Angeklagten, daß er, wie es sein Amt erforderte, als ihr Richter auftrat. Er wurde von so vielen angezeigt, daß Nero an seine Mitschuld glauben mußte, obwohl Rufus sich als Ankläger sehr streng gab, um jeden Verdacht von sich selbst abzulenken. Auf Neros Befehl wurde er während eines Verhörs von einem Soldaten niedergeschlagen und gefesselt. Er verlor sein Leben wie die anderen – zu meinem großen Kummer, denn wir waren gute Freunde gewesen, und nach ihm wurde ein sehr selbstsüchtiger Mann Aufseher über die staatlichen Getreidelager.
Doch letzten Endes war er selbst an seinem Schicksal schuld. Er hätte eine außergewöhnliche Gelegenheit gehabt, in den Gang der Ereignisse einzugreifen. Seneca war wirklich zum Ceresfest nach Rom gekommen. Er hielt sich in einem Haus am Stadtrand, beim vierten Meilenstein, auf, als er hörte, was geschah. Nero schickte den Tribunen Gavius Silvanus aus seiner Leibwache zu ihm und ließ ihn fragen, was er nach dem Geständnis des Natalis zu seiner Verteidigung vorzubringen habe. Silvanus ließ das Haus in der Abenddämmerung umstellen und trat selbst ein, als Seneca eben mit seiner Gattin Paulina und einigen Freunden in gedrückter Stimmung zu Tisch gegangen war.
Seneca ließ sich nicht beim Mahle stören. Er antwortete gleichsam ganz beiläufig, Natalis habe ihn als Bote Pisos besucht, um sich darüber zu beklagen, daß er die Einladung Pisos nicht angenommen hatte. Darauf habe Seneca höflich auf seine schlechte Gesundheit hingewiesen. Er habe keinen Anlaß, irgend jemanden zu unterstützen. Mit dieser Antwort mußte sich Silvanus zufriedengeben.
Als Nero fragte, ob Seneca Anstalten treffe, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, mußte Silvanus ihm erklären, daß er keine Anzeichen von Furcht an ihm entdeckt habe. Daraufhin schickte Nero Silvanus noch einmal zu Seneca, um ihm zu sagen, daß er sterben müsse. Dieser Befehl widerstrebte Nero. Er würde es um seines eigenen Ansehens willen lieber gesehen haben, wenn sein alter Lehrer von sich aus beschlossen hätte, sich in aller Stille das Leben zu nehmen.
Daß aber in diesem Augenblick Neros Schicksal noch immer auf des Messers Schneide stand, mag man daraus ersehen, daß Silvanus nicht geraden Wegs zu Seneca zurückkehrte, sondern Fenius Rufus im Prätorianerlager aufsuchte, ihm von dem Befehl berichtete und fragte, ob er ausgeführt werden solle. Silvanus war nämlich selbst einer der Verschwörer gewesen. Nun hatte Rufus noch immer die Möglichkeit, Seneca zum Imperator ausrufen zu lassen, die Prätorianer zu bestechen und einen bewaffneten Aufruhr anzustiften, wenn er schon glaubte, Nero aufgrund seiner Stellung nicht selbst ermorden zu dürfen.
Ich überlegte mir später, was für Möglichkeiten ihm eigentlich zur Wahl standen. Die Prätorianer wären gewiß nicht sehr darauf erpicht gewesen, an Stelle eines Zitherspielers einen Philosophen auf den Thron zu setzen, aber sie verabscheuten Tigellinus wegen seiner Härte und wären gern bereit gewesen, ihn aus dem Wege zu räumen. Außerdem kannten sie Senecas Reichtum und hätten große Geldgeschenke erpressen können.
Rufus hätte aber noch einen besonderen Grund gehabt, Seneca zu stützen. Er war jüdischer Abstammung und ursprünglich in Jerusalem daheim. Seines hohen Amtes wegen hielt er jedoch seine Herkunft geheim. Sein Vater war ein Freigelassener gewesen, ein Getreidehändler in Kyrene. Als der Sohn nach Rom ging, zahlte er den Feniern große Summen, damit sie ihn adoptierten. Rufus hatte sodann eine gründliche juristische Ausbildung erhalten und dank seiner Begabung und seinem Geschäftssinn Erfolg gehabt.
Ich weiß nicht, warum sein Vater Simon gewollt hatte, daß Rufus Römer wurde, aber ich weiß, daß dieser Sympathien für die Christen hegte. Mein Vater hatte mir einmal davon erzählt, daß Simon für Jesus von Nazareth das Kreuz zur Richtstätte in Jerusalem getragen haben soll, aber genau erinnere ich mich nicht mehr. Später stieß ich dann noch einmal auf den Namen Simon von Kyrene in den verworrenen Briefen, die mein Vater aus Jerusalem geschrieben hatte, und ich vermute, mein Vater half Rufus, seine Abstammung zu verbergen, und legte bei den Feniern ein Wort für ihn ein. Vielleicht hatte ich deshalb so leicht die Freundschaft des Rufus gewinnen können, als ich mich auf den Getreidehandel verlegte und seine Hilfe nötig hatte.
Seneca auf dem Kaiserthron wäre ein so großer politischer Vorteil für die Christen gewesen, daß es sich gelohnt hätte, einige Grundsätze zu opfern. Gewiß aber hatte Fenius Rufus eine schwere Wahl. Doch er war in erster Linie Jurist und Kaufmann, nicht Soldat. Deshalb konnte er sich nicht zu dem großen Entschluß durchringen und verließ sich offensichtlich darauf, selbst nicht entdeckt zu werden. Er bat also Silvanus, Nero zu gehorchen, Silvanus, das muß zu seiner Ehre gesagt werden, schämte sich, selbst zu Seneca zu gehen. Er schickte ihm einen Zenturio. Über Senecas Gleichmut im Angesicht des Todes ist so viel Erbauliches geschrieben worden, daß ich nicht mehr viel darüber zu sagen brauche. Ich meine allerdings, es war nicht sehr edel von ihm, seine junge Gattin, die noch das Leben vor sich hatte, überreden zu wollen, mit ihm zu sterben.
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